Aus "Unser Danzig", Heft Nr.9, vom 05.05.1966, Seiten 14-15:

Frühlingserwachen im Werderland
von Gustav Penner

Noch hält der starke Frost wie mit eisernen Klammern den fetten Boden des fruchtbaren Werderlandes eisern umspannt. “Er ist in diesem Winter besonders tief in den Erdboden eingedrungen, und nur langsam erwärmt sich derselbe durch die schon starken Frühlingssonnenstrahlen. Ja, es ist soweit, dass der Frost, und damit der Winter, seinen Rückzug antritt. Nur die Nachtfröste decken diese Rückzugsgefechte, um dann bald den Kampf aufzugeben. Nun, aber schickt der Frühling seine Sendboten ins Werderland. Eines Tages steht ein Storch auf dem Strohdach der nahen Scheune. Klappernd grüßt er die vertraute Stätte und sein unbeschädigtes Nest. Bald darauf fliegen sie an in Scharen, die lieben Artgenossen, und lassen sich nieder auf ihrem Nest. Aber nicht immer geht es so friedlich zu hierbei. Schwere Kämpfe werden ausgetragen um den Besitz eines manchen Nestes.

Auch andere Zugvögel machen sich stark bemerkbar. Die Schwalben und die Stare durchsegeln in großer Zahl die Luft: Der Werderaner schätzt die Schwalben als glückbringende Vögel und sieht es gerne, wenn sie ihr Nest an die Wirtschaftsgebäude bauen. Noch in den Lüften aber trillern die zahlreichen Feldlerchen ihre Lieder in die klare Frühlingsluft.

Inzwischen ist der Schnee des Winters geschmolzen und das abflutende Schmelzwasser sucht seinen Weg durch Gräben und Vorfluter hin zur nahen Ostsee. Die schneegefüllten Gräben sind jedoch manchmal schwer von dem Schneewasser zu befreien, und häufig muss durch Ausgraben des Schnees ein Weg für das anströmende Wasser freigemacht werden. Die immer stärker werdenden Sonnenstrahlen beschleunigen dieses Abfließen; und bald ist das Land, bald sind die Gräben vom Schmelzwasser befreit. Ein eigenartiger Schollengeruch entströmt dem Ackerland. Die Bodenbakterien beginnen ihr Werk. Die Ackerkrume beginnt zu leben. Nirgendwo wie im Werderland habe ich einen derartigen kräftigen Schollengeruch wahrnehmen können.

Ehe der Boden sich abzutrocknen anschickt, erlebt das Werderland eine gewisse Schlammperiode. Dieser sogenannte „werderaner Blott“ verbannt eine Zeit lang jedes größere Lebewesen von Feldwegen, und Fußgängerpfaden. Er ist klebrig wie Kitt und behindert stark die Fortbewegung auf unbefestigten Straßen. Und trotzdem liebt ihn der Werderaner und findet sich ab mit dieser Art des Frühlingserwachens.
Das Erwachen aus dem Winterschlaf wird jedoch am gewaltigsten durch das Verhalten des mächtigen Weichselstromes dokumentiert. Eben noch still und harmlos, sprengt er eines Tages mit Heulen und Krachen den Eispanzer. Donnernd stürzen die freigewordenes Eisschollen gegeneinander und häufen sich zu grandiosen Eisbergen. Indessen steigt das Hochwasser zu ungeahnter Höhe und spült die Eisberge hinweg. Höher und höher steigt die Flut. Sie überschwemmt die großen Außendeiche und beginnt an den hohen Weichseldämmen heraufzuklettern. Gefährlich wie ein Raubtier ist nun der Strom. Dieses rasende Frühlingserwachen kann Überschwemmung, kann Tod und Verwüstung für das Werderland bedeuten. Aber der Werderaner kennt diese Gefahr, und der Deichschutz arbeitet zielbewusst, um jede Gefahr abzuwenden. Bald ist die Weichsel jedoch wieder in ihr natürliches Bett zurückgekehrt. Bald fließt sie wieder zwischen Buhnen und Kämpen friedlich der nahen Ostsee zu. Ein bunter Feldblumenteppich und frisches Grün zieren nunmehr die Außendeiche. Bald grasen schwarzweiße Rinderherden auf diesen üppigen Weiden.

Auf dem flachen Lande setzt nun ein emsiges Wirken ein. Der abgetrocknete Boden muss nun schnellstens bestellt werden. Er ist ein sogenannter „Fünf-Minuten-Boden“, der zur rechten Zeit, nicht zu nass und nicht zu trocken, bearbeitet werden muss Eifrig ziehen die pferdebespannten Ackergeräte durch das weiche Ackerland. Meistens sind dieselben vierspännig bespannt (Riedperd, Hingernewel, Leitperd on Vernewel). Es ist der Viererzug. Der Kutscher reitet auf dem Sattelpferd. Die Vorderpferde hält er mit Leine und Peitsche in Schach. Die Peitsche besteht aus gedrehtem Peitschenstock, langer eigentlicher Peitsche mit Spitzpeitsche und präparierter Aalhaut. Letztere gibt der Peitsche den rechten Knall.

Lange Ackerarbeiten können im Frühjahr bei dem schweren Boden nicht getätigt werden. Ein schnelles Abschleppen des schon im Herbst gepflügten Bodens, ein Kultivatorstrich mit nachfolgendem Abeggen, und die Sämaschine kann ihre Tätigkeit beginnen und schnellstens zu Ende bringen. Der nächste Acker wartet bereits auf sie.

Bald keimt die junge Saat. Der Raps beginnt sein hellgelbes, leuchtendes Kleid anzulegen und entströmt einen honigartigen Geruch. Die Bienen wissen dieses zu schätzen. Eifrig fliegen sie durch die Luft, um diesen Nektar einzufangen. Am Bienenstock hört man sie geschäftig summen beim Ablegen ihrer Honigbeute.
Kaum gestattet der trocken gewordene Gemüsegarten das Wirken der Hausfrau, dann wird gegraben, geharkt und gesät. Auch die Frühlingsblumen werden ergänzt und neues Gesträuch gepflanzt. Es ist eisernes Gesetz der Bauersfrau im Werderland, den schönsten und gepflegtesten Garten zu besitzen. Dieser Umstand ist sicher ein Erbe der holländischen Mennoniten, die seinerzeit ihres Glaubens halber aus Holland vertrieben wurden und hier im Werderland einen neuen Wohnsitz fanden. Auch auf einem anderen Gebiet ist die Werderaner Bauersfrau firm. Ihre Geflügelzucht gedeiht bestens. Neue fröhliche Frühlingsboten entsteigen den zerbrochenen Eierschalen, und überall auf den Höfen erfüllt Piepen, Hühnergegacker und Gänsegeschnatter die Frühlingsluft. Stolz überschaut der Hahn, eifrig flirtend, sein emsig scharrendes Hühnervolk, und der Puter kollert flügelschlagend über den Hof. Irgendwie scheint er, trotz hellen Sonnenscheins, verärgert und missgestimmt. Sieht er etwa irgend etwas Rotes? Auch das Großvieh im engen Stall wittert die Frühlingsluft. Die Kühe werden unruhig auf ihrem engen Stand und der Großbulle reißt mit Gewalt an seiner Halskette. Endlich aber ist es dann soweit, das Rindvieh wird ausgejagt. Losgelöst von den engen Ketten, tollt es erst eine Weile auf dem Hof herum und genießt in vollen Zügen die Freiheit, die Sonne und die milde Frühlingsluft. Nun kann die Ausjagd auf die Weide beginnen. Bald gewöhnt sich das Vieh an die Freiheit und wendet sich heißhungrig dem Genuss des jungen Grases zu.

In der Natur aber schreitet das Frühlingsgeschehen weiter fort. Die jungen Weidenkätzchen künden das Grünen von Busch, Baum und Strauch an. Die Obstbäume prangen bald im herrlichen Blütenschmuck, und immer schneller wächst das junge Grün auf Baum und Strauch.

Pfingsten ist nahe. Dann werden Tür und Tor mit frischen grünen Zweigen geschmückt. Das Fest ist der Höhepunkt des erwachenden Lebens in der Natur. Der Frühling hat endgültig seine Herrschaft angetreten.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang