Aus “Unser Danzig“, Heft Nr.14, vom 20.07.1965, Seite 15:

An See und Kiefernwald - Volksbad Heubude

Heubude, vor vielen Jahrzehnten ein selbständiges Fischerdorf, bis es der Stadt Danzig eingemeindet wurde, ist allen Danzigern, die in der Stadt und ihrer Umgebung wohnten, wohl bekannt.

Damals, vor 60 Jahren, konnte man es von Danzig aus nur zu Fuß erreichen wenn man es nicht vorzog, sich eine Droschke oder einen Kremser zu mieten. Aber die Danziger gingen lieber zu Fuß, das war gesund und billig und ein jeder sparte am Pfennig. Damals gab es auch keine Breitenbachbrücke. In aller Herrgottsfrühe wanderte man durchs Werdertor hinaus, hin zur „Ganskrugfähre“, benannt nach dem Gasthaus, das an der Toten Weichsel lag. Für ein paar Pfennige nur konnte die ganze Familie hier über die Tote Weichsel gesetzt werden. Drüben angelangt, ging es dann mit Sang und Klang am Nordufer des Flusses entlang an Werkstätten und kleinen Schiffswerften vorüber zur Chaussee, die in das traute Fischerdorf an der Ostsee führte.

Vorbei führte uns unser Marsch an Fabriken und Betrieben, die für die wachsende Stadt von Bedeutung waren. Gärtner lieferten der Markthalle frisches Gemüse und knackige Früchte, eine Großbäckerei versorgte die Danziger mit dem schmackhaften Schwarzbrot und anderen leckeren Brotsorten. Auf einem der alten Bauernhäuser entdeckten wir einen Storch, der wahrscheinlich schon Generationen hindurch dort seinen Standort hatte.

In Heubude schließlich wurde Rast gemacht. „Wohin aber gehen wir?“ lautete die Frage, die einer Antwort nicht lange zu harren brauchte. „Cafe Albrecht, natürlich“, ertönte es einstimmig — ein großes Lokal mit weitem herrlichem Garten, in dem sonntags die Militärkapelle ihre flotte Musik zur Erheiterung der zahlreichen Gäste zum besten gab. Würzigen Harzduft trug der Wind von den hohen Kiefern des Heubuder Waldes herüber. Kiefernwald trennte den ganzen Dünenstrand entlang die behäbige Weichsel von der silbern schimmernden See. Gut aufgehoben war man im „Cafe Albrecht“, Ausflügler und Vereine trafen sich hier. Wer bei Albrecht keine Bleibe fand, zog in das am Heidsee romantisch gelegene Kurhaus, wo man erstklassig speiste. „Seefahrer“ kamen hier auf ihre Kosten. In einem Ruderboot pullte man sich in zügigem Schlag auf die Mitte des Sees hinaus. Auch die Beschaulichkeit kam zu ihrem Rechte, denn hier hatte man Zeit, die Blicke über die glitzernde Wasserfläche schweifen zu lassen und im Sonnenscheine seinen Gedanken nachzuhängen. Groß war auch die Nachfrage nach Wasserfahrzeugen, die man durch Treten von Pedalen fortbewegen konnte. Lange musste man oft warten, bis hier oder dort eines frei wurde. In der Nähe des Kurhauses lag auch ein „Etablissement“, wie man dazumal Gasthäuser nannte, in denen während der Saison Varieté-Veranstaltungen stattfanden, die sonntags stets gut besucht waren. Außerdem warteten noch eine Anzahl kleinerer Gasthöfe auf den Kurgast, in denen er sich für längere Zeit einmieten konnte, denn Heubude war ja ein Kurort.

Wir aber wollten ja zum Strand. Eine halbe Stunde noch durchwanderten wir den Kiefernwald auf seinen sandigen Wegen und die „Kruschken“ fielen hier und da wie reife Äpfel von den Bäumen. Jetzt winkten schon die Dünen mit ihren harten silbergrünen Gräsern, die sich unter leichter Brise wiegten, die von See her kam. Jetzt stapften wir barfüßig durch die Dünen und plötzlich breitete der Silberspiegel des Meeres sich vor uns aus. Frisch geteerte Fischerkähne lagen kieloben am Strände, und in den Netzen zauste der Wind. Ein windstilles Plätzchen in den Dünen war unsere Bleibe. Wir streckten uns behaglich in den Sand. Nur die Kinder waren munter - so munter, als wäre der zweistündige Fußmarsch nur das Vorspiel gewesen zu ihrem Leben und Treiben, das sich uns bot. Sie sammelten Muscheln und Bernstein, den die See preisgab, wenn ein Sturm in den Vortagen das Meer aufgewühlt hatte. Große goldgelbe Stücke, kleine braune, so groß wie eine Erbse. Man war glücklich und Stolz über diesen Fund, wenn man auch - so wollte es das Gesetz - verpflichtet war, den Bernstein beim Strandvogt abzugeben. Wo aber wohnte der?

In den Bernsteindrechseleien ließ man sich hernach ein schönes Schmuckstück anfertigen - ein Medaillon, eine Brosche, ein Armband oder gar eine schöne Zigarrenspitze für den feinen Herrn. So manches pralle Säcklein brachten wir nach Hause, gefüllt mit dem „Gold der Ostsee“. Hier am Strand verweilte man lange Zeit, bis die herannahende Dunkelheit jeden zum Heimweg gemahnte. Oft fuhren wir mit dem Dampfer nach Danzig zurück, wenn auch der Weg vom Strand zur Dampferanlegestelle eine Dreiviertelstunde dauerte. Immer war diese Fahrt interessant, vorbei an Holzfeldern, an den zahllosen Flößen mit den Flößerhütten hier und dort. Viele Wochen lang waren diese armseligen Strohdächer die Heimstatt der Flößer, wenn sie das Holz aus Russland nach Danzig herbrachten. Eigentümlich und doch angenehm würzig war der Geruch nach harzigem Holz. Am Milchpeter endlich bog der Dampfer in die Mottlau ein. Jetzt waren wir wieder in der Stadt.

Nach dem ersten Weltkrieg aber änderte sich das Bild. Mit viel Mühe und großen Kosten wurde eine Straßenbahnlinie nach Heubude gebaut. Wie einfach war es nun, an die geliebte See zu gelangen. Man stieg in die Linie 4 und erreichte in einer halben Stunde bequem den hellen breiten Strand des Kurortes und Seebades. Der Fahrpreis war gering, so dass ein jeder sich diesen Ausflug vor Danzigs Türe leisten konnte. dass der Heubuder Strand oft überfüllt war, lässt sich denken, und so breitete das Badeleben sich nach Weichselmünde und Krakau hin aus. Heubude, jedenfalls, war ein „Volksbad“ geworden, das jeden Danziger, ob groß ob klein, wohlwollend in seine sonnigen Arme schloss.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang