Nächtliches Schneegestöber in Danzig
Montag, 16. Februar 2009, abends
Ein Kellner hält uns die Tür auf, wünscht uns noch eine gute Nacht. Vom Rathaus schlägt es acht Uhr. Wir waren im „Salonik“, einem kleinen feinen Restaurant in der oberen Langgasse. Kinga feiert heute Geburtstag und so hatten wir beschlossen, einen gemütlichen Abend zu verbringen und gut essen zu gehen. Im letzten Sommer waren wir bereits einmal hier gewesen, mitten in der touristischen Hochsaison, und seinerzeit begeisterten uns Qualität und Service. Auch heute hatten wir sehr ansprechende Gerichte auf der Speisekarte gefunden, aber die Qualität entsprach bei weitem nicht dem geforderten Preis. Für umgerechnet gut einhundert Euro hatten wir uns doch etwas Anderes vorgestellt...
Kinga möchte mich Richtung Langgasser Tor ziehen, damit wir dann auf dem Kohlenmarkt ein Taxi nach Hause nehmen können. Aber ich will noch ein bisschen laufen, schließlich ist es ja noch recht früh. Und kaum haben wir die ersten Schritte zum Langen Markt unternommen, fallen die ersten Schneeflocken. Leise, langsam, sanft. Sie haften an unseren schwarzen Wollmänteln und benetzen die großen feuchten Steinplatten mit denen Langgasse und Langer Markt gepflastet sind. Der Rathausturm ragt still in den Nachthimmel. Er ist heute merkwürdigerweise nicht angestrahlt, aber trotzdem heben sich die großen Schneeflocken kontrastreich zum dunklen Hintergrund ab. Neptun begrüßt uns wie immer mit Dreizack und nachdem wir ihn passieren, drehen wir uns noch einmal um und freuen uns über die Silhouette des hinter dem Rathaus liegenden wuchtigen Turmes von Sankt Marien. Wir gehen weiter, lassen den Artushof hinter uns, wechseln auf die rechte Seite des Langen Marktes um kurz vor dem Grünen Tor in die Röpergasse einzubiegen. Mit kurzem Anlauf schlittern wir ein wenig über die nun weißen Steinplatten. Es schneit heftiger, die Flocken fallen fast senkrecht, und im Nu sind die hinter uns liegenden Spuren unserer Schlitterpartie kaum mehr sichtbar.
In der Röpergasse, dort wo einst mein Großvater geboren wurde, wird rechter Hand ein Hotelkomplex errichtet. Der Haupteingang des Radisson-Luxushotels wird auf dem Langen Markt liegen, aber viele Zimmer werden zur Röpergasse ausgerichtet sein. Ich hatte aufgrund der langen Bauzeit vermutet, dass das Hotel bereits fertig ist, aber noch liegt es leer vor uns. Ein paar Schritte zurück, dann rechts durch den mittleren Bogen des Grünen Tores und gleich anschließend links auf die Lange Brücke. Uns bietet sich ein phantastischer Blick bis hinunter zum Krantor. Auf der Mottlau das verschneite Restaurantschiff „Rubin“ und von Langgarten her grüßt durch einen Vorhang von Schneeflocken der Kirchturm von Sankt Barbara.
Wir halten uns Richtung Krantor, achten auf rutschige Stufen, kommen am Brodbänkentor vorbei, dessen Öffnung im geheimnisvollen Dunkel liegt. Ein paar Schritte weiter das Frauentor, gleich danach das Heilig-Geist-Tor. Es liegen jetzt bestimmt zwei, drei Zentimenter Neuschnee. Die Laternen werfen ein warmes Licht über Lange Brücke und Mottlau. Der Souvenierladen des „Danziger Bowke“ ist geschlossen. Über dessen Geschäftsräume scheint sich eine Galerie zu befinden. Auf den Wänden hell erleuchteter Räume sind ausgestellte Bilder erkennbar. Im Restaurant "Goldwasser" sitzen einige Gäste, trinken Tee oder Kaffee. In zwei Schaukästen vor dem Restaurant sind Flaschen mit polnischem Danziger Goldwasser, Kurfürsten und Tiegenhofer Machandel ausgestellt.
Kurz vor dem Krantor bleiben wir stehen. Rechts von uns die Alte Mottlau, durchgängig vereist, schneebedeckt. Die Mottlau Richtung Fischmarkt, aber auch die Neue Mottlau die vor uns abzweigt und die Speicherinsel umfließt, sind vollkommen eisfrei. Phaszinierende Kontraste! Das helle, weiße Eis, und von einer scharfen Kante getrennt, die dunklen sich leicht kräuselnden Wasser der Mottlau.
Ich puste, nein, ich hauche in die Luft, will langsam an meinem Gesicht vorüberschwebende Schneeflocken zum Schmelzen bringen. Sie tun mir den Gefallen nicht sondern lassen sich auf meinem Mantel nieder, auf Ärmeln, auf dem Revers, auf der Brust. Nur Kinga und ich sind hier unterwegs. Einsam stehen wir am Krantor, freuen uns unter der Laterne am Krantor über den dichten Schneefall, der jeden Laut verschluckt. Stille wird hörbar.
Wir müssen uns aufraffen um weiterzugehen. Kinga schüttelt sich einen Moment frierend. Ein paar Tröpfchen geschmolzenen Schnees fanden trotz Mantelkragen und Schal einen Weg ins Genick. Sie schaut mich fragend an und unausgesprochen ahne ich, was sie wissen möchte. „Wir laufen noch den Fischmarkt runter und gehen dann hoch zur Markthalle. Dort finden wir ein Taxi“, antworte ich.
Ausgelassen gehen wir, schlittern wir, springen wir, kommen am Johannistor vorbei, am Häkertor. Dort, auf Höhe des ehemaligen Elektrizitätswerkes, der heutigen Baltischen Philharmonie, streife ich Schnee vom Geländer, forme ihn zu einem Ball, werfe ihn mit Schwung über die Mottlau. Nicht hörbar fällt er ins Wasser. Ich reibe meine kalten Hände, strahle Kinga an, freue mich wie ein Schneekönig und sehe ein glückliches Lächeln meiner Schneekönigin. Was Schnee doch bewirken kann! Wir fühlen uns wie ausgelassene Kinder.
Und weiter geht es! Vorbei an einem Rohbau, der später vielleicht ein Appartementhaus oder ein Hotel wird. Hinter dem Schwanenturm ebenfalls eine große Baustelle. Dort soll das neue Hilton-Hotel bis Mitte 2010 entstehen. Wie wird sich der historische Schwanenturm mit dem neuzeitlichen Hilton vertragen?
Aber jetzt frösteln wir beide. Wir legen einen Schritt zu. Vom Fischmarkt aus geht’s in den Altstädtischen Graben, vorbei am alten Arbeitsamt hinter dem sich die Polnische Post befindet. Wo ist ein Taxi? Müssen wir wirklich noch bis zur Markthalle oder zum Holzmarkt laufen? Kinga deutet auf die andere Straßenseite. Und wirklich, dort stehen mehrere Taxis. Wir springen hinüber, klopfen uns den Schnee von den Mänteln und steigen in den Wagen. Und auf geht’s nach Saspe!
Schön war’s!