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Thema: Der Riese Tullatsch

  1. #1
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard Der Riese Tullatsch

    Folgenden Beitrag schrieb meine Mutter im Juli 2000 in unserem Vorgängerforum Danzig-L:

    Als der Riese Tullatsch wieder einmal nach einer langen Wanderung müde in Danzig ankam sah er mit erstaunen das die Bürger ihm einen angemessenen Stuhl hingestellt hatten. Freudig setzte es sich auf diesen und stellte seine schweren Körbe, die voller Spielzeug für seine Kinder waren, vor sich hin. Er sah den Menschen zu die geschäftig durch ihre Strassen liefen, ihre Häuser schmückten und auch sonst fleißig und regsam waren. Und je länger er schaute, desto besser gefielen ihm die Leute und die Stadt. Da wollte er sich für seinen Ruhesitz erkenntlich zeigen und nahm aus seinen Körben Löwen, Drachen und allerlei Getier, vergoldete Kugeln und solche aus Stein und verschönerte damit die Stadt. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Die Danziger aber ließen aus Dankbarkeit den Turm der Marienkirche abgeflacht damit er sich jederzeit, wenn er wiederkommen sollte, darauf ausruhen konnte. Es ist halt wirklich nur eine Kurzfassung. Trotzdem hoffe ich, Dir und vielleicht auch den anderen gefällt die Sage.
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

  2. #2
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    Standard

    Hallo lieber Schreiber. Nach langem Suchen hab ich jetzt endlich das Märchen gefunden. Mein Vater hatte diese Geschichte auf einer Single-Schallplatte und sie wurde bei uns zu Weihnachten abgespielt. Ihre Kurzfassung ist mir noch ein bißchen zu kurz und falls Sie Luft und Laune haben, wäre ich wirklich glücklich, wenn Sie mir die lange Fassung aufschreiben könnten.
    Es grüßt, Ute Schröder

  3. #3
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    Standard AW: Der Riese Tullatsch

    Vom Riesen Tullatsch und dem Pfarrturm

    Elsa Faber von Bockelmann

    Habt ihr euch noch nicht gewundert, daß der der Danziger Pfarrturm keine Spitze
    hat? Vielleicht hat es der liebe Gott nicht erlaubt, denn dann würde es ja ein
    Loch im Himmel geben. Vielleicht haben auch die Menschen kein Geld gehabt, um
    weiterzubauen. Der alte Pfarrturm lacht für sich. Er weiß warum.

    Da ist nämlich Tullatsch daran schuld. Das war der allerletzte der Riesen. Er
    lebte damals noch, als man am Turm baute. Angst hatten die Danziger nicht vor
    ihm, denn er hauste in einer eisigen Höhle ganz, ganz oben in Norwegen, und das
    ist weit fort. Nur die Seeleute,die von dort herüber kamen, erzählten
    Wunderdinge von ihm.
    Wie er aussah, wußte eigentlich niemand, denn alles machte sich aus dem Staube,wenn man ihn von Ferne sah, doch daß er mit einem Schritt über den Langen Markt weggehen konnte, war eine ausgemachte Sache. Manche erzählten, sein Gesicht sei so rund wie die Sonne, wenn sie am tiefsten steht! Seine Augen so groß wie Mühlenräder, sein Mund so breit wie ein Backofen und seine Nase - du liebe Zeit, die wäre wie eine Kirchenglocke so dick. Aber erst seine Fußspuren, eine ganze Fischerkate hätte darin Platz.
    Also - gerade war das Mauerwerk zum Pfarrturm fertig, und morgen wollte man
    anfangen, ein hohes, spitzes Dach darauf zu setzen. Hei!War das ein Leben! Es
    wimmelte nur so von Zimmerleuten und Handwerkern. Von oben konnten sie bis zum
    Meer sehen. Aber - o Schreck - was sahen sie da? Ein Riese, dreimal so groß wie
    der Leuchtturm, stampfte durchs Meer über Hela hinweg gerade in die Danziger
    Bucht und kam mit Riesenschritten näher. Das konnte niemand anders als
    Tullatsch sein. Hast du nicht gesehen, rannten sie die vielen, vielen Treppen
    hinunter, und das war keine Kleinigkeit - hatten doch die Treppen 365 Stufen.
    Der Turmwärter, der tags zuvor in sein Stübchen gezogen war tutete aus
    Leibeskräften nach allen vier Himmelsrichtungen in sein blitzblankes Horn:
    Achtung! - Tullatsch kommt! - Gleich ist er da! - Gefahr! - Trara! Trara!" Dann
    aber sauste auch er herunter, daß die Rockschöße nur so flogen. Er nahm immer
    drei Stufen auf einmal oder noch mehr. Nur der Baumeister war oben
    geblieben, und das gehörte sich auch so.
    Unten in der Stadt flogen die Zugbrücken nur so in die Höhe. Die Mutigsten
    luden die größte Kanone auf dem Walle, aber dann liefen auch sie fort. Auf
    den Straßen war es still, wie nachts um zwölf Uhr. Nur auf dem Fischmarkt
    stolperten hastig einige Leute durcheinander, sie hatten gar zu viel
    wegzuschaffen, aber schon dröhnte und donnerte es,und Tullatsch stand mit dem
    einen Fuß auf dem Langen Markt und mit dem anderen tief in der Mottlau, daß
    das Wasser platschte. Die Fischweiber kreischten auf, denn das Wasser war über
    den Rand getreten und schwemmte sie alle fort.
    Gut, daß sie immer so viel Röcke anhaben, die blähten sich im Wasser auf, und
    das sah furchtbar komisch aus. Tullatsch musste so lachen. daß Türme und
    Haäser nur so wackelten.
    Jetzt aber zog er langsam seinen Fuß in die Höhe, sorgsam fischte er die
    Weiblein mit seinen riesigen Händen aus dem Wasser und setzte sie behutsam auf
    die Dächer zum Trocknen. Fein,daß es Sommer war. Na, da oben ist den Weiblein
    das Schimpfen und Keifen vergangen.

    Nun stand Tullatsch vor dem Pfarrturm:"Seht, da haben mir die kleinen
    Menschenkinder gar einen Stuhl gebaut , freilich ein bisschen breiter dürfte er
    schon sein, aber es geht auch so", und damit zog er sein dickes Wams aus,
    faltete es und legte es als Kissen unter. Dann setzte er sich behaglich nieder.
    Der Turm krachte und ächste. - Die Risse kann man heute noch sehen, aber er
    hielt und wird noch über 1000 Jahre alt, denn was in der Jugend einen Knacks
    kriegt, hält doppelt lang.
    Gut, daß damals die Haäser nicht so dicht um den Turm gebaut waren, so konnte
    er doch seine Füße bequem hinstellen.Die Danziger, die hinter den festgerammten
    Türen und Fenstern hervorlugten, hielten den Atem an vor Schreck.
    Gemütlich guckte Tullatsch ringsum, und wo er irgendetwas umgeworfen hatte, da
    bastelte er mit seinen großen Händen herum,bis ihm aller Schaden geheilt
    schien, daß er dabei auf ein Haus ein verkehrtes Dach setzte, merkte er gar
    nicht.
    Tullatsch wartete. Als niemand kam, schrie er durch die hohle Hand hinunter:"
    Herr Bürgermeister! kommt doch einmal heraus - ich tue
    euch nichts zuleide"- Dem aber, stiegen die Haare zu Berge, er sprang in die
    Hinterstube und schloß zweimal rum.
    Zu verwundern war es nicht.
    Aber der Baumeister im Turm ,hatte schon gemerkt, was für ein guter Kerl
    Tullatsch war. Langsam schob er den Kopf aus einer Luke und rief hinauf:" was
    wünschen Euer Gnaden?"Da packte ihn Tullatsch und setzte ihn vor sich aufs
    Knie, das war so breit wie ein Tanzplatz.
    "Warum habt ihr denn alle solche Angst vor mir? Ihr wißt gar nicht, wie gerne
    ich euch Menschen habe, ich kann doch auch nicht immer so mutterseelenallein
    sein",dabei kullerte ihm eine dicke, dicke Träne herunter." Ich hab mich ja so
    gefreut ,daß ihr mir so einen feinen Stuhl hingestellt habt, und nun läßt sich
    keiner von euch sehen.-- Ei, da fällt mir ein, daß ich euch was Schönes
    schenken kann, schau mal her.“

    Aus seiner linken Hosentasche holte er mit geheimnisvollem Gesicht ein
    Spielzeug nach dem anderen heraus, d.h. Riesenspielzeug, alles aus Stein gehauen und zentnerschwer. Vögel,Krokodile, Soldaten eine Schildkröte, einen Hirsch, Löwen, Eidechsen, Sonne, Mond und Sterne kamen zum Vorschein, ein wirklicher König war auch dabei. Dann griff er ganz tief in seine rechte Hosentasche und langte eine riesige Handvoll Steinkugeln hervor:" Und das ist für die Kinder, ich habe als Junge auch mit ihnen gespielt. Ich geb sie nicht gern her - aber ihr sollt sie haben. Nun, was sagst du jetzt?" Die Augen des Baumeisters waren immer größer geworden- zum Schluß aber mußte er doch laut herauslachen , denn die Steinkugel waren größer als die größte Kanonenkugel. Jauchzend warf er den Hut in die Luft, daß die Leute unten sich fast die Hälse verdrehten.

    Und was wollen wir mit den Sachen machen?" Guter, guter Tullatsch, ich
    hab's, erlaub mir aber, daß ich der Stadt zuvor sage, wie gut ihr es mit uns
    meint " ,und hast du nicht gesehen,rutschte er an Tullatschs Stock zur Erde.
    Das gab ein Aufsehen! Rasselnd fielen die Zugbrücken hernieder. Alle Menschen
    strömten durch die Gassen, daß es wimmelte,wie in einem Bienenstock. Hei! Und
    die Buben , die waren dreist geworden und spielten auf den Riesenschuhen Ritter
    und Räuber. Die Mädchen aber steckten bunte Blumen zwischen die Schnürsenkel.

    Inzwischen hatte sich der Bürgermeister die goldenen Kette umgehängt und die
    Ratsherren zogen ihre Sonntagskleider an, um Rat zu halten..
    Da der Baumeister so mutig gewesen und auch der größte Künstler in der Stadt
    war, sollte er allein entscheiden, was mit den Geschenken des Riesen gemacht
    werden sollte." Wartet nur ab, ihr werdet schon mit uns zwei zufrieden sein",
    rief der Baumeister fröhlich, und damit war er wieder im Turm verschwunden.
    Ganz außer Atem kam er oben an."Tullatsch, Tullatsch ! Haben die sich gefreut
    und nun hör mal zu. All deine Geschenke wollen wir ganz oben auf die schönen
    Giebelhäuser setzen- da können wir die immer sehen und werden dich nie
    vergessen. Du mußt uns helfen, denn sonst wär's für uns furchtbar teuer- wir
    brauchten ja hundert Arbeiter und noch mehr. Mach aber nichts kaputt,bitte!"
    Tullatsch strahlte nur so vor Freude, und nun ging's los.

    Die Löwen kamen vor den Artushof. Der Vogelgreif kam hierhin-die Schildkröte
    auf das Dach in der Heiligengeist- Gasse , die Soldaten auf den Stockturm.sahen
    die schön aus! Ja, und der König, der wurde auf die Rathausturmspitze
    gestellt,weil er sich mit seinem Mantel so fein nach dem Winde drehte. Er war
    aus blankem Gold. So ging es eine ganze Stunde lang. Tullatsch rann der Schweiz
    von der Stirn, denn so hatte er noch nie gearbeitet. Und was machen wir mit den
    Steinkugeln?" Die legen wir vor die schönsten Häuser!Nun war alles verteilt.
    O, wie herrlich sah die Stadt aus. Jetzt kam der Abschied und das war sehr
    feierlich. Jedesmal wenn der Baumeister seinen Mütze schwenkte, wurden unten
    Kanonenschüsse abgegeben. Der Wirt vom Lachs ließ ein großes Faß herbei rollen, das leerte Tullatsch gierig mit einem Zug.
    Alle Glocken laeuteten und der Bürgermeister hielt eine Rede, von der
    Tullatsch freilich nichts verstehen konnte, aber er machte sein huldvollstes
    Gesicht dazu.

    Ja, und dann - dann wanderte der Riese fort. Zum Spaß fuhr er mit seinen
    Händen noch einige Male durch die Mottlau und warf so viel Fische über die
    Stadt, daß sie für acht Tage genug hatte. Es war wie ein Wolkenbruch, und eh'
    die Danziger zur Besinnung kamen, war Tullatsch schon über alle Berge. Niemand
    hat ihn seitdem wiedergesehen, so oft man auch nach ihm ausschaute. Zur
    dauernden Erinnerung an unsern Freund Tullatsch ließ man den Turm so, wie er
    damals war. So ist er bis heute geblieben.

    Jetzt wißt ihr warum. Manche von den ganz Gescheiten sagen, es habe niemals
    Riesen gegeben.Wir aber wissen's besser. Und sollte Tullatsch mal wiederkommen, dann will ich ihn bitten, daß er auf unser Haus eine große Sonne stellt.
    Auge um Auge- und die ganze Welt wird blind sein.
    (M. Gandhi)

  4. #4
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    Standard AW: Der Riese Tullatsch

    Schönen guten Abend,
    hallo Christa,

    danke für die Geschichte Elsa von Bockelmanns. Sie war eine große Erzählerin Danziger Märchen. Vor genau 30 Jahren, am 04. November 1980 starb sie 90-jährig. Dies ist ein Anlass, sich ihrer zu erinnern und ihr zu gedenken.
    -----
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