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Thema: Die Fischersiedlung von Karlikau

  1. #1
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard Die Fischersiedlung von Karlikau

    Vorab eine kleine Anmerkung: Über die Zoppoter Fischer gab es bereits früher einmal ein sehr lesenswertes und amüsantes Thema (siehe unter http://forum.danzig.de/showthread.php?t=2668). Die Fischersiedlung am Karlikauer Wäldchen gibt es auch heute noch ("Plac Rybakow") und es ist eines der nettesten Plätze von Zoppot (Richtung Glettkau).


    Aus „Unser Danzig“, 1960, Heft Nr. 04, Seite 18-19, vom 20. Februar 1960

    Die Fischersiedlung von Karlikau
    Nächtlicher Fischfang in der Ostsee
    von Gert Schoenhoff

    Das war das Schönste an unserem Zoppot: es bot jedem, der zur Erholung oder Zerstreuung herkam, das, was er suchte. Es war ein modernes Bad mit gepflegten Hotels und Pensionen, gemütlichen Gaststätten, einem herrlich in farbenfrohen Gartenanlagen gelegenen Kurhaus mit Lesesaal und Spielkasino, mit weit in die See hinausragendem breitem Seesteg, geschützter Glaswandelhalle, schattigen Strandalleen. Ferner gab es Veranstaltungen aller Art: Pferderennen, Tennis und Tanzturniere, Segelregatten, Theater und Waldoper, ernste und leichte Konzerte und als Höhepunkt der Große Donnerstag mit Blumenkorso, Dampfer und Bootparaden, Leuchtfontänentanz und Feuerwerkszauber.

    Das war die eine, die gesellschaftliche Seite von Zoppot; aber es gab noch eine andere mit einem kleinen idyllischen Winkel.

    Vom Kurhaus rechts die Strandpromenade entlang kam man in dieses andere Zoppot. Hier überwog der bescheidenere Teil der Badegäste, meist Familien aus Danzig und Umgebung und viele, viele Kinder. Zwischen Drehböcken, Ankern, Fischerkähnen und aufgespannten Netzen spielte sich hier das Badeleben ab. Mitten in dem vergnüglichen Trubel arbeiteten Fischer an ihren Netzen oder standen, die Pfeife. im Mundwinkel, die Schildmütze über dem wettergebräunten Gesicht, oben am Promenadenrand und schauten in die Ferne, wo an der Kimm ab und zu ein Dampfer vorüber zog. Es roch hier nach Tang und Teer und nach Fischen. Zwischen den Villen am andern Promenadensaum stand hier und da im Hintergrund versteckt ein Fischerhäuschen, das dem Badeverkehr noch nicht gewichen war. Ganz am Ende des baumgesäumten Strandweges, hinter dem großen Erholungsheim, lag das Karlikauer Wäldchen, als Rest eines Kiefernwaldes, der sich einstmals bis zu einem Gut an der Landstraße hingezogen hatte, begrenzt von einem Bächlein, das, von den Waldhöhen kommend, sich hier in die See ergoss.

    Mitten in diesem Wäldchen reihten sich im Viereck einstöckige saubere Häuschen mit roten Dächern und winzigen Gärten um einen von einigen hohen Kiefern bestandenen Rasenplatz: die neue Fischersiedlung. Kaum mehr als ein Dutzend Familien wohnte hier, alles Fischer, die von der andern Seite Zoppots, vom Manzenplatz, wo Raum für den sich immer mehr ausdehnenden Badebetrieb gebraucht wurde, hier angesiedelt worden waren, und die sich in ihren hübschen Eigenheimen sehr wohl fühlten. In den Sommermonaten verschafften sie sich durch Vermieten ihrer guten Stube oder auch ihrer ganzen Wohnung, während sie sich auf die Bodenräume oder den Stall beschränkten, einen Zuschuss für die verdienstarmen Wintermonate. Es waren arbeitsame, hochanständige Menschen, die Frauen wortgewandt, die Männer wortkarg und doch, wenn sie - manchmal.mit Hilfe eines Gläschens Machandel - auftauten, von trockenem Humor und feinem Spott, sofern die Badegäste ihnen gar zu vornehm kamen. Denn übertriebene Vornehmheit passte ganz und gar nicht in dieses andere Zoppot.

    Wie eine große Familie lebten die Fischer nebeneinander. Es gab kaum Neid und Missgunst unter ihnen. Sie wussten, dass ihr Gewerbe mehr oder weniger vom Glück abhing, das heute dem, morgen einem andern beschieden wurde. Sie liebten ihren Beruf und fühlten sich ihm zutiefst verpflichtet als freie, nur der Natur und ihrem Element, dem Wasser, verbundene Menschen. Ihr Handwerk war schwer. Nacht für Nacht - mit Ausnahme sonntags -, bei jedem Wetter, außer wenn es gar zu arg stürmte, zogen sie mit Netzen, Hamen und Zeesen auf den Fischfang. Vormittags schliefen sie ein paar Stunden und saßen dann stundenlang auf ihren kleinen Höfen; die zerrissenen Netze auszubessern. Ihr Gewerbe war im wahrsten Sinne des Wortes ein Handwerk; die Motorisierung beschränkte sich - wenn sie sie überhaupt anwendeten - auf den kleinen Außenbordmotor an ihrem einfachen Kahn. Seit Generationen hatte sich das Handwerk vom Vater auf den Sohn vererbt; gewöhnlich fischten Vater und Söhne oder Schwiegersöhne oder Brüder und Schwäger zusammen.

    Begleiten wir einmal eine solche Familie, Vater und zwei Söhne, auf ihrer nächtlichen Fischfangfahrt.

    Es ist wenig nach Mitternacht. Aus jedem der kleinen Häuser kommen Männer in hohen Transtiefeln, wetterfester Jacke und Südwester, das Arbeitsgerät über der Schulter. Das Licht vereinzelter Laternen auf der Strandpromenade blinkt trübe durch das nächtliche Dunkel, über der See hängen schwere Wolkenmassen tief herab. Dunkle Gestalten huschen am Strand hin und her, Fischer, die ihre Boote zurechtmachen. Da und dort treibt schon ein schiefes Segel auf der tintigen Wasserfläche. Die Segel unseres Bootes werden gespannt, Sandsäcke und Fanggerät, Thermosflaschen mit heißem Kaffee und Mundvorrat verstaut. Knirschend gleitet das Boot ins Wasser und, gepackt vom Wind, schwimmt es bald auf der weiten, wellenden See. Nur in engem Umkreis vermag der Blick die diesige Luft zu durchdringen. Hin und wieder lässt ein Wetterleuchten für Sekunden den dunklen Rumpf eines Frachters erkennen, der, einem Gespensterschiff gleich, auf der Reede vor Anker liegt. Ein lautlos einsetzendes Nieseln lähmt die Bewegung der Luft. Die Segel werden eingezogen, und die Fischer greifen zu den Rudern. Langsamer gleitet das Boot dahin. Nach einer Weile legt einer der Männer die Ruder zurück, lässt den Anker in die Tiefe sinken, wirft das verschnürte, mit lang gestieltem schwarzem Erkennungsfähnchen versehene Bojentönnchen aus und schnürt das Fanggerät auf. Am Horizont beginnt es bereits zu dämmern.

    Während der alte Mann in weitem Bogen auf das verankerte Tönnchen wieder zurudert, lassen die Söhne an beiden Enden langsam Stück für Stück der in regelmäßigen Abständen mit Bleistückchen und Bastbüscheln versehenen dicken Zeesleine ins Meer gleiten. Zuletzt wird der in der Mitte befindliche schmalmaschige Dreiecksack nachgeworfen, dann das Boot an dem inzwischen erreichten Bojentönnchen festgehakt, und der Fischzug beginnt. Aufrecht im schaukelnden Boot stehend, ziehen die jungen Männer gleichmäßig an beiden Enden das Schleppnetz wieder ein und heben den sich an der Oberfläche zeigenden schwer gefüllten Zeessack über Bord. Belebt von silbernem Gekrabbel krampfhaft zwischen Muscheln, Tang und Steinchen durch die Maschen drängender Fische liegt das Netz am Boden. Das Boot wird losgehakt, und während die beiden jungen Männer, in anderer Richtung um das schwimmende Tönnchen weiter rudernd, die Zeesleine wieder ins Wasser gleiten lassen, sondert der alte Mann die verschiedenen Fische in Körbe. Schließlich werden Muschel und Steingeröll, sowie die unausgewachsenen Fische - die Backfische - ins Meer zurückgeworfen, der Sack nachgeworfen, und der nächste Fischzug beginnt. Inzwischen ist der Regen stärker und die See bewegter geworden. Die Fischer arbeiten, immer die Stellung wechselnd, unbekümmert weiter, nehmen ab und zu einen Schluck heißen Kaffee aus der Thermosflasche. Stundenlang währt die eintönig sich wiederholende Beschäftigung schon; spärlich nur füllen sich die Körbe.

    Längst ist es völlig hell geworden, und die See beginnt sich zu beleben. Dampfer tauchen am Horizont auf. Der Schiffskoloss, der nachts so gespenstisch still dagelegen hatte, lenkt in den Hafen von Neufahrwasser ein. Fischerboote streben der Küste zu; unser Boot schließt sich ihnen an. Eine frische Brise reißt das Wolkendach auseinander, so dass plötzlich ein Stück blauer Himmel erscheint, und grelle Strahlenbündel sich über das aufglitzernde Meer ergießen. Einer der jungen Männer hisst die Segel wieder. Der Wind packt das knatternde Tuch, und schief gelegt gleitet das Boot der Küste zu. Sonnenüberflutet liegt der helle Strand da. Die rot bedachten Häuser und grünen Türme des Kurhauses tauchen aus den Dunstschleiern. Die Fenster des breit gestreckten Kasinohotels erglänzen, und im Hintergrund säumt wie ein altsilberner Rahmen der wellige Höhenzug des Waldes das liebliche Bild. Nahe scheint die Küste, und dennoch dauert es noch länger als eine Stunde, bis die Boote, eins nach dem andern, landen. Acht Uhr ist es, als unser Boot auf den nassen Sand knirscht. Am Strande stehen schon die Frauen mit Körben, Kiepen und Karren bereit, die Ernte der achtstündigen Arbeitsnacht in Empfang zu nehmen und sofort auf den Markt oder zur Stammkundschaft zu bringen. Badegäste treten heran, um gleich einige der seefrischen Fische zu erstehen.

    Wohin mag das Schicksal sie verschlagen haben, die Grönkes, Gehrkes, Bergmanns, Behnkes und wie sie sonst hießen, die Fischer vom Karlikauer Wäldchen? Vielleicht fischen sie an schwedischer, an friesischer, an holsteinischer Küste? Vielleicht ist der eine oder andere mit seiner Familie dortgeblieben, weil er die angestammte Heimat nicht verlassen wollte oder nicht verlassen konnte, und muss nun eine andere Sprache sprechen als das seit Urväterzeit überkommene Platt, hoffend, dass die Zeit in ihrem ewigen Wandel zurückbringt, was einst gewesen ist.

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    Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

    Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
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    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang

  2. #2
    Forum-Teilnehmer Avatar von radewe
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    Standard Die Fischersiedlung von Karlikau

    Guten Abend Wolfgang,
    erst heute habe Deinen Beitrag„Die Fischersiedlung von Karlikau“ entdeckt.
    Es hat mich sehr erfreut, herzlichen Dank!
    Überhaupt möchte ich mich für Deine Geschichten/Beiträge bedanken. All` diese Namen der Fischerfamilien sind auch die aus unserem Stammbaum. Alle kommen aus Zoppot, Calikau, Schmierau und angrenzenden Dörfern. In dem Bericht wird gefragt: „Wohin mag das Schicksal sie verschlagen haben“? Ich habe trotz großer Anstrengung nicht alle Nachkommen der stolzen Fischerfamilien gefunden. Einige wollten bleiben, wurden aber vertrieben – einige sind auch nicht im Westen angekommen. Die Nachforschungen waren auch durch die Teilung Deutschlands erschwert.

    Ich habe mir Deinen Bericht abgespeichert. Auf Familienfeiern werden nicht mehr „Olle Kamellen“ vorgetragen. Wir haben viele eigene Familiengeschichten / dank Deiner Veröffentlichung.

    Grüße von Hans-Werner aus Hamburg

  3. #3
    Forum-Teilnehmer Avatar von radewe
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    Standard AW: Die Fischersiedlung von Karlikau

    An einem herrlichen Sonntag im Juni 2011 besuchten wir Peter Oestmann in seinem Minigolfclub an der Promenade von Zoppot.
    Wir saßen im Garten seiner Club-Anlage und quatschten und quatschten, als Peter uns plötzlich fragte: „kennt ihr den Fischerplatz?“
    Wir sollten uns unbedingt den Fischerplatz von Kalikau ansehen, und wir gingen noch am selben Tag dorthin.

    Wir fanden den Fischerplatz so vor wie der Autor „Gert Schoenhoff“ die Fischersiedlung in Unser Danzig 1960 beschrieben hat.

    Zitat von Gert Schoenhoff:
    < Mitten in diesem Wäldchen reihten sich im Viereck einstöckige saubere Häuschen mit roten Dächern und winzigen Gärten um einen von einigen hohen Kiefern bestandenen Rasenplatz: die neue Fischersiedlung. Kaum mehr als ein Dutzend Familien wohnte hier, alles Fischer, ……..>

    Abseits der Promenade, wenig beachtet, liegt der Fischerplatz.
    Die Häuser machen einen sehr guten, gepflegten Eindruck, alle Dächer wurden mit dunkelroten Dachziegeln neu eingedeckt. Selbst Fledermausgauben wurden in einigen Dächern geschmackvoll eingearbeitet. Die Fassaden sind verputzt, in hellen Farben gestrichen oder so wie die Giebel mit roten Ziegelsteinen verblendet.
    Heute wohnen in der Fischeransiedlung keine armen Fischer, nach den Fahrzeugen zu urteilen (Geländewagen: „Porsche Cayenne“ ab 250 PS oder „Audi Q7“ mit über 300 PS usw.) sind es gutbetuchte Bürger, die hier ihre Ferienwohnungen haben oder sich einmieten.
    In der Mitte des Platzes befindet sich noch immer die Rasenfläche mit den hohen Kiefern und als Symbol ein alter Anker aus Schmiedeeisen.

    Es ist schade, wenn die historische Siedlungsanlage NICHT unter Denkmalschutz gestellt wird, um sie vor Spekulanten zu schützen.

    Dir Peter vielen Dank für den brillanten Tipp „Fischerplatz“.


    Grüße von Hans-Werner aus Hamburg

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