Aus „Unser Danzig“, 1960, Heft Nr. 02, Seite 08, vom 20. Januar 1960

Danziger Hobby vor 50 Jahren

von Hugo Arendt

Vor 50 Jahren kannte man das heute so überaus bekannte Wort „Hobby“ noch nicht. Es hat sich mit dem Amerikanismus bei uns eingeschlichen. Man übersetzt dieses Wort z. T. mit „Stelle“, Der Danziger sagt dazu „ Schau dien“, auch wendet man diesen Wortbegriff etwa für „Liebhaberei“, „Sammelleidenschaft“ oder für eine bestimmte „Manie“ an. Da kommen wir der Sache schon näher, das kannten wir Danziger vor 50 Jahren auch schon.

Erinnerst du dich, lieber Danziger, noch an die traute Stille, die unsere alte Stadt auszeichnete? Einmal kam durch die Straßen der Bierwagen der Danziger Aktien-Bierbrauerei mit den schweren belgischen Pferden und dem prächtigen Leder und Messingzeug. „D.A.B.“ stand auf dem Leder am Stirnzeug der Pferde. Für uns Danziger Lorbasse hieß das nur „Das Aas beißt!“ Dann fuhr der Müllwagen noch einmal durch die Straße, und dann war alles ruhig und still. Etwa 1912 kaufte sich Herr Dommasch auf Niederstadt ein Motorrad, eine wahre Sehenswürdigkeit für jung und alt. Bis diese Kiste ansprang, musste er immer 200 bis 300 Meter laufen, begleitet von der grölenden Jugend. Kam um diese Zeit einmal ein Flugzeug, dann stand alles, ehrfurchtsvoll den Himmel betrachtend, vor der Haustür. Kein Radio plärrte damals, nur ab und zu kam ein Leiermann mit seinem 8 Drehorgelkasten und der neue Schlager „Puppchen, du bist mein Augenstern“, wurde begeistert mitgesungen. Kinder, was waren das für ruhige, schöne Zeiten! Doch will ich nun nach dieser kleinen Abschweifung beweisen, dass auch wir vor jenen 50 Jahren schon viele Hobby hatten, die im Wesen unserer Stadt verankert waren. Unterteilen könnte man diese Liebhabereien in solche der Erwachsenen und der Jugend.

Der Danziger war ein großer Taubenfreund (Douwe hieß es auf mochumsch). Fast jeder Dachboden war zu Taubenschlägen ausgebaut. Die Taubenzüchter (Douwemajore) waren stolz auf ihre Breverts (Brieftauben), sie hatten aber auch ihren Spaß an den „Spöcks“, den unechten Tauben. Futter brauchte man nicht zu kaufen. In den Waggons in der Hopfengasse war genügend Abfall zu finden, Futter wurde „geruschelt“. Jeden Abend konnte man die Douwemajore auf den Dächern stehen sehen, wo sie mit einem „Louiert“, einem Pfiff auf zwei Fingern, ihre Tauben anlockten.

Auch der Angelsport wurde bei uns sehr gepflegt, die wasserreiche Umgebung bot reichlichen Fischfang. Viele Danziger Petrusjünger zogen schon am Samstagabend los, um in der Nacht zu angeln. Die Holzfelder an der Mottlau waren sehr ergiebig für den Aalfang. Mit von Stolz geschwellter Brust kam am Sonntagmorgen der „Olle“ von seiner Angeltour zurück, um der Mutter seine Beute zu übergeben. Die ganze Nachbarschaft begutachtete dann den Fang mit kritischen Augen.

In welcher Stadt war das Drachenfliegen so ausgeprägt wie in Danzig? Nirgends, behaupte ich, und dieser Sport wurde von alt und jung betrieben. In jeder Wohnung wurde im August herumgebastelt, und wahre Musterexemplare von Drachen konnte man bewundern: Vierecks, Sternchen, Kastendrachen. Eine wahre Völkerwanderung ergoss sich dann zum nahen Bischofsberg, wo die Drachen aufgelassen wurden. Tausende Spaziergänger bewunderten dann diese Hochflieger, und jeder Vater war auf sein Werk stolz.

Auch die Kinder waren in ihre „Liebhabereien“ vernarrt. Eine Zeit lang sammelten sie alte Straßenbahnfahrscheine. Sie wurden geplättet und fein säuberlich in Kästen nach Werten geordnet. An Bierdeckelsammeln, Streichholzschachtelanhäufungen und Zuckerstückchensammeln dachten wir damals noch nicht, Straßenbahnfahrscheine war das Sammelgebot. Auch die bunten Bildchen der Stollwerck-Schokolade und im Kathreiners Malzkaffee wurden gerne gesammelt und gekuppelt (getauscht).

Jeder Danziger Junge besaß auch mehrere geschnurrte Zigarrenschachteln mit Kugeln für das Kugelchenspiel. Jeder Kasten war für eine besondere Kugelart bestimmt, die alle einen festen Kuppelwert besaßen. Für zehn Steinkugeln gab es einen kleinen „Glaser“ (Glaskugel). Ein mittlerer Glaser hatte den Wert von 20 Steinkugeln, während ein großer, bunter Glaser 50 Steinkugeln erbrachte.

Ein Danziger Junge besaß damals auch eine eigene Hausbibliothek, nein, keine klassische Lektüre nannte er sein eigen, sondern ganz gewöhnliche Romane. Harmlos an sich waren die „Old Wawerly“-Hefte. Er führte mit seiner Tochter „Wild-West-Marie“ und einem treuen „Delaware-Häuptling“ einen blutigen, nie aufhörenden Kampf gegen die „Sioux-Indianer“. Ferner waren die Hefte des „Exzentrikclubs“, wonach Fred Parker 100 schwierige Aufgaben lösen musste, um Mitglied dieses Klubs zu werden, keine geistesvergifteten Schriften.

Unser Mordgeist wurde jedoch weitgehend angeregt durch die so sehr spannenden Dittchenromane des „Nat Pinkerton“ und „Sherlock Holmes“. Diese Hefte mussten wir gut vor dem „Ollen“ verstecken, sonst wurden sie kassiert. Nachts wurden sie bei Taschenlampenbeleuchtung heimlich im Bett gelesen. Herrlich waren die Überschriften dieser Schwarten: „Der blutige Knochen an der Kirchhofsmauer“, „Der Würger von Whitcheappel“ usw. Wer hat diese Sachen nicht gelesen? Jeder Junge begeisterte sich dafür, und wir wurden doch Kerle, die im Leben ihren Mann standen, trotz dieser Schmökereien.

Ein letztes Hobby der damaligen Danziger Jugend sei zum Schluss genannt. Die marinefreudige Stadt Danzig hatte oft Besuch von den blauen Jungen. Jeder Junge hatte einen Freund auf irgendeinem Pott. Ein echtes Mützenband oder einen echten Kulischlips zu besitzen, war Ehrensache für jeden Danziger Jungen. Diese Sachen hatten einen großen Sammelwert, und sie erfreuten sich als Tauschobjekt unter den Schulbänken in langweiligen Stunden großer Beliebtheit.

Doch eins muss noch erwähnt werden, was es auch nur im schönen Danzig gab. Auf den Wiesen in Walddorf wurden die Grillen (Zinkhähne) gegriffen, und jeder Zinkhahn wurde in ein selbst gebasteltes Häuschen gesetzt. Am Abend konnte man überall auf den Fensterbänken den Wettkampf im Wettsingen der Danziger Zinkhähne vernehmen.

Ja, liebe Danziger Freunde, das waren harmlose Spielereien vor 50 Jahren, doch man darf sie nicht vergessen. Immer wieder muss die heutige Jugend erkennen, dass die „Alten“ auch einmal Kinder waren und sich an einfachen Dingen so sehr zu erfreuen vermochten.

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Wolfgang