Schönen guten Abend,
unrühmlich in der Geschichte Danzigs ist das Schicksal der Juden, das ihnen in Freistaat- und Kriegszeiten widerfuhr. Später als im "Reich", aber trotzdem unausweichlich wurden Juden diskriminiert, verfolgt, gemordet. Nach dem Krieg begann im Restdeutschland zögerlich eine Aufarbeitung der Juden gegenüber begangenen Verbrechen. Danzig wurde dabei weitgehend ausgeblendet. Der "Bund der Danziger" hätte dabei Meilensteine setzen können. Er tat es nicht. In seinem Sprachrohr "Unser Danzig" wurden die eigenen Wunden, die der deutschen christlichen Danziger beleckt. Dass es auch deutsche jüdische Danziger -neben vielen anderen Juden- gab, wollte niemand wissen, es interessierte nicht. Dabei war Danzig -auch zu Freistaatzeiten- ein Hort der Zuflucht gewesen.
Die 60 Jahrgänge von "Unser Danzig" bilden ein Geschichtslexikon. Sie reflektieren Danzig aus deutsch-christlicher Sicht. Es ist nicht nur wichtig, was geschrieben wurde. Genauso wichtig ist das Verschwiegene.
Ich kann momentan -obwohl ich sämtliche rund 1.000 Ausgaben von "Unser Danzig" besitze- keinen einzigen Artikel in einem der Hefte benennen, der sich mit den Danziger Juden befasst. Die Aufarbeitung der Geschichte der Danziger Juden hat man diesen -soweit sie überlebten- überlassen.
Um so bemerkenswerter ist der folgende mutige Leserbrief von Werner Zynda, den "Unser Danzig" im März 1955 veröffentlichte:
Aus "Unser Danzig", Heft Nr. 03 vom März 1955
Ein Wort für die Danziger Juden
Eine "Stimme aus dem Leserkreis" von Werner Zynda
Vor zehn Jahren sahen wir unsere Heimat in Schutt und Asche versinken und mussten das Land unserer Väter und Vorväter verlassen. Den meisten von uns ist es inzwischen gelungen, eine neue Existenz aufzubauen und sich ein neues Wirkungsfeld zu schaffen. Unseren alten Freundes- und Bekanntenkreis haben wir inzwischen erweitert, und es war alles gar nicht so einfach, obwohl wir doch - bis auf wenige Ausnahmen - im deutschen Sprachraum geblieben sind.
Wir haben nun, trotz der Verbitterung über die Unmenschlichkeit der Austreibung, einen Abstand zu den Dingen gefunden, der es uns erlaubt, gewisse Parallelen zu ziehen. Gerade wir Heimatvertriebene sollten heute endlich den Juden die notwendige Toleranz entgegenbringen, die allein ein friedliches Nebeneinander duldet; denn den gleichen, harten Schicksalsweg, den wir vor zehn Jahren gegangen sind, gingen unsere jüdischen Landsleute schon zehn Jahre vor uns. Wohl jedem sind die Ereignisse der sogenannten Kristallnacht bekannt, fast jeder wusste um die antijüdische Gesetzgebung. Viele Danziger hatten jüdische Bekannte oder Freunde, die unsere Heimatstadt - welche seit oft vielen Generationen auch deren Heimat war - verlassen mussten, um sich in der Fremde ihr Brot zu verdienen. Wie schwer das damals für diese unglücklichen Menschen gewesen sein muss, können wir heute erst richtig ermessen, nachdem wir einen ähnlich schweren Weg gegangen sind. Am erschütterndsten für sie war es, dass man ihnen, die im ersten Weltkrieg, genau wie wir, ihre Söhne und Väter für Deutschland hingaben, das Deutschtum aberkannte.
Gewiss wurden die übrig gebliebenen nach dem Wiedergutmachungsgesetz für ihre materiellen Verluste entschädigt. Wer aber hat sich je bemüht, die seelische Not unserer jüdischen Landsleute zu mildern und ihnen Glauben und Vertrauen an unseren aufrichtigen Willen zu fruchtbarem Miteinander wiederzuschenken?
Ziehen wir einen Vergleich zu unserer eigenen Vertreibung, so wird uns der Ursprung zu der oft kritisierten fleißigen Geschäftigkeit der Juden sehr bald klar. Seit etwa dreitausend Jahren sind sie ständig auf der Flucht. In dieser langen Zeit hatten sie es infolge vieler Anfeindungen und Verfolgungen gelernt, sich im Lebenskampf besonders zäh und tüchtig durchzusetzen. Geht es uns jetzt nicht ebenso? Wenn heute ein Einheimischer sagt: "Seht den Flüchtling, der besitzt schon wieder mehr als wir", dann hat es beinahe denselben Klang, als wenn früher jemand sagte: "Seht, dort geht ein Jude!"
Auch wir haben es gelernt, mit allen Situationen fertig zu werden, auch wir haben im Kampf um die Existenz ein Training erhalten, das uns in vielen Fällen ermöglicht, uns besser durchzukämpfen und daher oft mehr zu erreichen als der Einheimische.
"Gerechtigkeit für Danzig!" fordern wir von der Welt. Gerechtigkeit müssen wir aber auch unseren jüdischen Mitbürgern zu geben gewillt sein! Wenn wir unserem Bestreben um Rückkehr in die angestammte Heimat ein ethisches Fundament geben wollen, sollten wir jetzt schon daran arbeiten, unseren jüdischen Landsleuten eine Brücke zu bauen und zu sagen: Ihr Danziger Juden, es ist auch eure Heimat, die wir verloren haben und mit Gottes Hilfe wiedergewinnen werden, und das Mahnen eurer vielen Gräber wird in unseren Herzen nicht ungehört verklingen - um Gottes und der Gerechtigkeit Willen!
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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang