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Thema: Wie ich wurde, was ich bin

  1. #1
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    Standard Wie ich wurde, was ich bin

    Nach meinen Erinnerungen an die Rosengasse möchte ich noch etwas weiter berichten.Wir Danziger sind ja nicht einfach vom Erdboden verschwunden, sondern alle, die das Inferno überlebt haben,sind irgendwo angekommen.
    Angekommen

    Angekommen?
    Nach endlosen Tagen im offenen Viehwaggon. Wann der Tag war, dass wir uns am Bahnhof einfinden mussten, weiß ich nicht mehr. Irgendwo in eine Ecke gequetscht, zwischen Rucksäcken und Menschenhäuflein kauerten auch wir in diesem rollenden Verschlag. Unsere Eltern und wir fünf Kinder. Wenn der Zug hielt, dann wusste man nie wie lange. Manchmal stundenlang. Viele sprangen runter und versuchten, etwas Essbares zu finden. Einmal hielt der Zug kurz, eine Frau sprang ab, weil sie mal musste, der Zug fuhr an. Der Mann blieb im Zug. Er hat furchtbar geschrien , aber der Zug rollte weiter. Er rollte über die Oder. Langsam, stockend. Unter uns konnte man das Wasser sehen. Panik kam unter den Erwachsenen auf: Wir sollen hier versenkt werden, so wurde gebangt.

    Irgendwann war Berlin erreicht.
    Sammelstelle für die Vertriebenentransporte.
    Irgendwo gab es Suppe. Und oft kamen meine Geschwister mit der leeren Kanne – morgen wieder anstellen. Hunger, nichts als Hunger. Einmal brachte mein Vater ein Kastenweißbrot. Andächtig hat jeder eine Scheibe im Mund zergehen lassen.
    Ob es auch eine Statistik gibt, wie viele Menschen noch in diesem Lager verhungert sind?
    Mein Vater hatte nur noch einen Gedanken: Raus, egal wohin.
    So brachte uns der nächste Transport nach Magdeburg.
    Magdeburg- das ist die Börde. Da ist fruchtbares Land, da gibt es zu essen. So tröstete uns unser Vater.
    Ankunft wieder in einem nächsten Verteilungslager. Wolmirstedt Pferdefuhrwerke brachten ihre Menschenladungen in die Dörfer.
    Abends wurden wir im letzten Dorf abgeladen. Wo hin mit denen? fragte der Kutscher. Am besten gleich auf den Friedhof, war die vielleicht spaßig gemeinte Antwort des Begleiters.
    Ein Bördedorf.
    Ackerbauern. Höfe und Häuser hinter dicken Mauern. Wir wurden zugewiesen.
    Wir bekamen schnell mit, dass wir nicht erwünscht waren.
    Meine Mutter ermahnte uns, dass wir ja immer höflich grüßen, wenn wir über den großen Flur mit der schönen Holztreppe in unsere Dachkammern gingen. Ich war so bemüht, dass ich der alten Bäuerin immer wieder einen guten Tag wünschte, bis sie mir sagte:“Einmal am Tag, Kind, das reicht.“ Diese alte Dame war freundlich zu uns, ihr Mann hatte kein Herz. Er konnte ungerührt in der Stube am Tisch sitzen, ohne dass auch nur ein Stückchen für uns abfiel.
    In dieser Einquartierung verbrachten wir den Winter. Das Leben begann, sich in festen Bahnen zu bewegen .Die Straßen wurden vertraut. Inzwischen besuchte ich auch die 1.Klasse.
    Ich ging gern zur Schule. Lesen konnte ich schon in Danzig. Dort lernte ich nämlich ganz beiläufig, wenn mein Bruder mit der Mutter übte. Aber mit der Aufmerksamkeit haperte es sicher öfter, denn ich erinnere mich, dass ich oft vom Lehrer erschreckt wurde, wenn er mit dem Stock auf den Tisch haute, weil ich wieder mal geträumt hatte. Dann fuhr ich zusammen, und der Lehrer ermahnte mich, besser aufzupassen.
    Mit einer Begebenheit, die ich schon mal erwähnt hatte, will ich nun diesen Abschnitt beschließen.
    Es war im März 1946.
    Der Winter- ich brauche es nicht näher zu beschreiben- es war furchtbar kalt,
    wenige Sachen, die wir aus der Heimat mitgebracht haben; also Frieren angesagt.
    Natürlich waren wir trotzdem draußen. Spielen konnte man ja wunderbar auf einem
    Börde- Bauernhof. Und so waren wir bis zum Dunkelwerden draußen, am liebsten auf der Darre, da wurde Korn oder Leinen gelagert, glaube ich. Zwischen den Garben konnte man sich gut verstecken. Aber es zog. Und ich bekam eine Ohrenentzündung.
    Anfangs jammerte ich, mit Wärme war es nicht zu beheben. Schließlich wurde ich
    schon fast apathisch, und meine Mutter musste schnellstens ein Fuhrwerk
    besorgen, damit ich zu einem Arzt gebracht werden konnte. Mit dem Pferdewagen
    nach Magdeburg rein. Zu Dr. Harnisch am Hasselbachplatz.. Sofort ins Krankenhaus! Er selbst operierte mich. Fast wäre es zu spät gewesen. Nach sechs Wochen war ich wieder zu Hause, aber auf einem Ohr taub.
    Und noch eine Erinnerung daran: meine Mutter tauschte ein ganzes Brot gegen eine
    Puppe, um sie mir mitzubringen.
    Meine Gesellschaft dort waren nur Männer, denen ein Bein, ein Arm oder auch beide Gliedmaßen fehlten.
    Ja, so war es.

    _______
    Christa.
    Auge um Auge- und die ganze Welt wird blind sein.
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  2. #2
    Forum-Teilnehmer Avatar von wenzkauer
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Christa,
    mich fesseln Deine Zeilen. Ich habe das nicht miterleben müssen. Wir Kinder wurden später oft in diese "Freßwirtschaften" mitgenommen, immer schön aufessen hieß es und manchmal war es nicht mal gut, aber Hauptsache viel.
    Ich weiß wo das herkam...
    Viele Grüße Michael

  3. #3
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    wunderbar geschrieben von Dir Christkind, aber dennoch sehr traurig zu lesen !
    LG von Sigi / Paris

  4. #4
    Anna Nyma

    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Ja, traurig.

    Zu sagen, daß mir die Augen feuchtwerden wollen, wenn ich das lese, wäre nicht ganz richtig.

    Das Papier vor mir auf dem Tisch wird naß ...

  5. #5
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Das Papier vor mir auf dem Tisch wird naß

    Auweia, hoffentlich hat der PC nicht gelitten!
    Der kann Feuchtigkeit nicht so gut ab.Sagt mein Sohn.
    Also da hör ich drauf und weine niemals am PC.

    Michael, diese Zeiten haben uns alle geprägt. Verformt wohl auch.
    Aber vor allem nicht gebrochen.
    _____
    Gruß von Christa
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  6. #6
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Danke Christkind, sehr schön geschrieben.

    Kennt ihr das auch?

    Die Mutter sammelte jeden übrig gebliebenen Nagel, jede Schraube, jedes Mütterlein. Krumme Nägel wurden mit dem Hammer gerade geklopft.
    "Wer weiß, vielleicht brauchen wir ihn noch mal", hieß es dann. Bis heute habe ich mir das nicht abgewöhnt. Jedes Schräubchen, jedes Nägelein, und sei er noch so klein, wird liebevoll in eine dafür vorgesehene Schublade gelegt.

    Tantchen hatte die Angewohnheit bei jedem Einkauf Wolle aus dem Sonderangebot mit nach hause zu bringen und sie in einen großen (sehr großen) Schrank zu legen.
    "Wer weiß, wenn die Russen mal kommen, damit wir was zum Anziehen haben. Dann können wir uns was stricken." Wer sind die Russen, fragte ich mich schon seit meiner Kindheit, wenn man ihretwegen so viel Wolle braucht? Das Sammeln preiswerter Wolle habe ich mir inzwischen abgewöhnt.

    Das mit dem "Mach deinen Teller leer", nicht. Ich wende da einen Trick an. Ich mache den Teller erst gar nicht so voll. Dann klappt es mit dem Leermachen leichter.waldkindchen grüßt.
    Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. (Karl Valentin)

  7. #7
    Forum-Teilnehmer Avatar von Belcanto
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Christa
    Da du ja schon in Danzig lesen konntest, gehe ich davon aus, dass du älter bis als ich und alles noch viel intensiver erlebst hast. Das hast es sehr schön geschrieben. Ich habe es in meinem Buch auch getan, weil ich mir, wie eine Therapie etwas von der Seele schreiben musste und unseren Müttern damit ein literarisches Denkmal setzen wollte.
    Diese Schicksale haben sich, in ähnlicherweise millionenfach so zugetragen und dennoch ist dein individuelles Schicksal und Erleben.
    Viele Grüße
    Belcanto

  8. #8
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    Themenstarter

    Standard AW: an Belcanto und Waldkind

    Ich denke, dass keiner von uns um Mitleid heischt,nicht wahr?
    Nach einer PN war ich auch überrascht, dass Berichte aus eigenem Erleben intensiver aufgenommen werden als im Spielfilm dargestellte.
    Ja, Belcanto, unsere Mütter,sie waren unvorstellbar stark.
    Für ihre Kinder.

    Diesen Sammeltrieb habe ich auch,Waldkind.
    Sogar ein Stück Papier war doch mal wertvoll.
    Meine Schwester aber schmeißt alles weg.
    _____
    Christa grüßt
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    (M. Gandhi)

  9. #9
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hihi Christkind,
    was glaubst du wie wertvoll mir Papier ist? Kommt doch alles aus dem Wald. Blätter, Blätter, Blätter. Ich liebe Papier. Habe es den ganzen Tag um mich, kaufe es ein, wo immer ich es finde. Manche lieben das Bergsteigen. Ich auch, Blätterkraxeln in Papierbergen ist mein Hobby. Es gibt ja sooooo schöne verschiedene Papiere und Arten etwas aufzuschreiben und mitzuteilen. Unendlich vielseitig und nicht restlos ausschöpfbar. All die vielen schönen Buchstaben auf Blätter und Steine verteilt, super!!!!

    Mamachen lehrte uns, dass Papier sehr wertvoll ist. Daher mussten wir eng schreiben, um Papier zu sparen. Ich ließ auf dem Rechenpapier also keine Zeile frei, wie es heute üblich ist, sondern schrieb jede Zeile voll. Dazu sagte die Lehrerin:

    Wär oss dann he esu ärm, datte allet vull schribbe mööt. Zu Deutsch: Wer ist denn hier so arm, dass ihr alles voll schreiben müsst? Und sie forderte mich auf zukünftig eine Zeile frei zu lassen.

    Wenn die Überlegung einer Mutter sein muss, kaufe ich ein Brot für meine Kinder oder ein Schulheft, wie würde eine Mutter da wohl entscheiden? Ja so arm waren wir wohl, Vertriebenenfamile. Und wie sehr voller Scham!!! Das wird man so einfach nicht los.waldkindchen grüßt.
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  10. #10
    Anna Nyma

    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Zitat Zitat von Christkind
    Auweia, hoffentlich hat der PC nicht gelitten
    Sicher nicht so wie ich in dem Moment. Diese Geräte haben ja kein Herz - sie können aber beitragen, daß zwischen denen der Menschen eine Verbindung entsteht.

    Ich habe das selber durchaus auch schon gelernt - als ich mal, den Mund voll Kaffee, den ich unvernünftigerweise zum Zwecke gelegentlich notwendiger Beruhigung nebenher zu mir nehme, an meinem Computer gesessen bin, und einer einen Witz schrieb, bei dem ich mich nicht mehr halten konnte und losprusten mußte ...

    Aber zurück zur Ernsthaftigkeit dieses Themas:

    Schlimmer wäre es doch, wenn einem sowas gar keine Emotionen macht, wie eben gerade der heutigen Jugend - und nicht nur den ganz Jungen -, die sich lieber an brutalen Gewaltspielen berauscht. Und dabei wäre gerade diese No-Future-Generation es, die sowas mal lesen sollten.

    Es sind wenige, von denen, die noch in der Lage wären, es in geeigneter Form weiterzugeben, die jetzt schon einsehen können, daß in den paar Zeilen, die ein jeder beizutragen wüßte, irgendwo VIELLEICHT DOCH ein "Schaltwort" enthalten sein könnte, woraufhin die potentiellen Adressaten anfangen möchten, aufzuhorchen. Es hat auch noch nicht so unmäßig viele Wege der Kommunikation.

    Im konkreten Fall ist das schon alles sehr weit weg. Der vergleichsweise zu den Zeiten des Kalten Krieges - auch wieder eines von höheren Instanzen "verordneten", wie ich meine, womit in voller Absicht die Herzen der Menschen kühlgehalten werden sollten, damit denen nicht etwa 'wehrkraftzersetzende' Emotionen einkämen - schon sehr beachtliche Platz, der solcherart Erinnerung und Rückbesinnung in den Medien inzwischen eingeräumt ist, wird leider umso mehr überwuchert von Schund und Plattheiten, weil damit nun mal mehr Geld zu machen ist.

    Aber wo etwas nicht ausgesprochen oder aufgeschrieben wird, ist es noch viel unwahrscheinlicher, daß auch mal jemand, der oder die das alles scheinbar nicht tangiert, von sich aus drauf aufmerksam werden könnte.

    Es gibt viel mehr Menschen als man annehmen möchte, die, wie Miriam das bspw. auch schon an anderer Stelle sehr anschaulich begründet hatte, sich in die Situation ihrer Eltern oder Großeltern hineinfühlen wollen. Also etwa: Was erlebte, mußte erfahren, empfand meine Mutter, als sie noch ein kleines Mädchen war, das sie möglicherweise so geprägt hat, daß sie sich nachher immer auf die oder die Weise verhielt ?

    Oder: Gibt es möglichenfalls auch eine Sichtweise, verschieden von der, die meine Eltern oder Großeltern in ohnmächtiger Verbitterung in dieser Sache immer vertraten ?

    Ich bin da nun sicherlich nicht irgendwie "besonders", wenn die Worte, die ich da lese, sich mir zu einem Film ergeben, der, wo ich an den Punkt gelange, das könnte ICH unter diesen Umständen genauso gedacht, gefühlt, gleichermaßen gelitten haben, mich dann halt derart beeindruckt, daß mir scheinbar unverhältnismäßig die Tränen kullern - aus Dankbarkeit, daß ich darin keine Rolle haben brauchte, genauso wie aus gefühltem unbändigem Zorn, daß Menschen anderen Menschen solches angetan haben, und viele bis heute daraus nichts haben lernen wollen, weshalb, wenn wir nicht achtgeben, schon wieder die Tendenz dahin gehen will, trotz allem.

    Man KANN die Leute erreichen. Es kommt immer "nur" darauf an, die richtigen Worte zu finden.

    Und Du hast es hiermit nun wieder mal bewiesen, Christa. Danke dafür.

  11. #11
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    Themenstarter

    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Man KANN die Leute erreichen. Es kommt immer "nur" darauf an, die richtigen Worte zu finden


    Empfindlich sind wir geworden, Anna Nyma.
    Bei Gefahr sofort die Krallen ausfahren.
    Ist die vorüber,sind wir wieder lammfromm.
    ______
    Christa grüßt
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  12. #12
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    Beitrag AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Christa,nachdem ich deinen Bericht gelesen habe,erinnerte ich mich an mein "Ankommen".Am 31.Januar 1945 wurden meine Mutter,meine Schwester und ich von Danzig aus mit einem Schiff nach Aalborg in Dänemark verbracht.Wir hatten alle 3 selbstgenähte Rucksäcke mit dem Nötigsten /ein paar Kleidungsstücke,Fotoalben,kleine Wegzehrung),mehr nicht.Familienweise wurden wir in einer großen Kiste,ca.3.5 x3.5m,an Bord gehievt.(Kann vielleicht jemand sagen,wie das Schiff hieß?)
    In Aalborg kamen wir alle in ein Lager.In der ersten Zeit in einen großen Saal,wo auf Strohmatten gelagert wurde. Hier mußten wir Kinder uns immer anstellen,um täglich eine halbe Tasse Milch zu erhalten.Hunger hatten wir sowieso immer.Die Verpflegung war sehr abwechslungsreich.Ein Tag gab es Trockenkartoffeln,den nächsten Graupen(Kälberzähne).Ich bekomme heute noch ein schlechtes Gefühl,wenn jemand Graupensuppe sagt.Später bezogen wir auch Zimmer in den Baracken.
    Irgendwann durften die Kinder auch das Lager verlassen und spielten in der näheren Umgebung,was nicht ohne Gefahren war.
    Die Bauern in der Umgebung fuhren ihre Ernte ein und es kam vor,daß wir mal etwas Frisches essen wollten .Natürlich erwischte uns der Bauer mit der Mohrrübe und dann gab es Senge mit der Peitsche.
    1946 wurde ich im Lager eingeschult.Mutter bastelte eine Schultüte und ich erinnere mich noch ganz genau,daß oben aus der Tüte Mohrrübengrün herausschaute.Leider gibt es da keine Bilder von.Bis Mitte 47 verblieben wir in Aalborg.Dann wurde unser Vater gefunden,der aus der Gefangenschaft zurück in Niedersachsen auf einem Bauernhof arbeitete.
    Jetzt waren alle wieder zusammen und wir hatten nun 2 Zimmer.

  13. #13
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Danke Jürgen,
    für deine Erzählung. Ich habe sie gerne gelesen. :heart:lich waldkind.
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  14. #14
    Anna Nyma

    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Mir schwant, Christa, daß ich - nach einigem Nachdenken sowie Überschlafen - jetzt schon ein wenig mehr verstehen könnte, was Du mir sagen wolltest. Ein ganz klein wenig mehr.

    Der Reflex, den Du beschreibst, ist doch auch völlig verständlich und gar nicht schlimm - ... solange man diese eigene Verletzlichkeit nicht ÜBER die notwendige Aufgabe stellt, die nur mal NUR IHR erfüllen könnt, die Ihr all diese schrecklichen Dinge erfahren und erleiden mußtet: Es an die nachwachsenden Generationen weiterzugeben, so sehr dabei auch die erlittenen Verwundungen wieder bluten wollen.

    Wer soll es denn sonst tun. Der Satz ist definitiv falsch: "Geteiltes Leid ist doppeltes Leid."

    Historiker können es nur bewerten. Ohne die authentischen Berichte der Zeitzeugen würde ihnen oft wohl noch nicht einmal geglaubt.

    Mein "Film" lebt von jeder einzelnen Sequenz und dringt damit umso tiefer ins Herz, wo sich am Ende ein rundes Bild ergeben wird; und daraus wiederum resultierend eine weisere Sicht auf alles, was dazu geführt hatte, aber noch viel mehr, was daraus zu lernen ist.

    Heißt nicht, daß mir die diesbezogenen Schilderungen Anderer, die hier schon länger stehen, nun vielleicht entgangen wären oder etwa gar weniger gelten wollten. Doch bleibt es mein Ziel, möglichst viele Berichte zusammenzuführen, also unbedingt auch alles, was da jetzt noch "in Reserve gehalten" ist. Daher freue ich mich, daß Deine beeindruckenden Beschreibungen, Christa, also schon Wirkung zeigen, indem sie jetzt nun bspw. den Jürgen veranlaßt haben, auch seine Geschichte mitzuteilen.

    Und vielleicht überzeugt das ja jetzt auch noch andere. Es müssen ja keine druckreifen Manuskripte sein. Jedem werden doch ein paar Sätze dazu schon immer auf der Zunge liegen, die er / sie bisher nur noch nirgends hat loswerden können, weil selbst in den eigenen Familien das Interesse daran heuer nur noch begrenzt scheint.

  15. #15
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard Gerätemit Herz

    "Diese Geräte haben ja kein Herz - sie können aber beitragen, daß zwischen denen der Menschen eine Verbindung entsteht." (Zitat von Anna)

    Hallo Anna,
    was hast denn du für einen PC? Meiner hat Herz, und was für eins. Bekommt täglich und stündlich Streicheleinheiten. Also Sachen gibt es: Geräte ohne Herz. Hast du noch nie einen Menschen mit seinem Auto oder Computer reden hören?
    In meinem sitzt sogar ein kleiner Schelm drin, der hin und wieder Schabernak mit mir betreibt. I love it.

    Da müsste in deinem eigentlich ein sehr geduldiger Feuerwichtel sitzen, wo du so viel schreibst und er in seiner Rolle gar nicht erkannt wird. Sachen gibt es. Die verstehe ich erst gar nicht. Ohne das Wissen um meinen Computergeist würde ich mich erst gar nicht hinsetzen zum Schreiben.

    Naja jeder hat so seine Welt. greetings waldkind.
    Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. (Karl Valentin)

  16. #16
    Anna Nyma

    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Ich denke, daß Du da wohl so etwas wie einer "optischen Täuschung" erlegen bist, Miriam. Das was Du meinst sitzt definitiv nicht im Computer, sondern davor oder dahinter.

    Dein eigener Geist flüstert Dir ein, was Du hineintippen sollst, und mittels Deines Computers kannst Du nachher in die Herzen der Menschen schauen, die sich über diesen Weg erreichen lassen. Das heißt, soweit diese selber auch erreicht werden wollen.

    Die Scheibe ist nur aus Glas - einmal spiegelt sie und sobald DU die Brennweite veränderst, gibt sie Dir den Blick frei auf alle die, die nur scheinbar 'da drinnen' sitzen, in Wirklichkeit aber viel weiter weg, und über diesen Weg nachher direkt mit Dir verbunden sind, mit Deinem Herzen.

    Da muß man dann für sich selber lediglich noch den richtigen 'Film' draus zu machen verstehen ...

  17. #17
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Guten Morgen Anna,
    da sage ich jetzt lieber mal gar nichts dazu von wegen Drehbücher, Filme, Manuskripte. Ich bin Waldarbeiter. Da verstehe ich eine ganze Menge von Wichteln, Flammengeister, Nymphen etc.

    Wer nun definiv einer optischen Täuschung unterliegt sei einmal dahin gestellt. Menschen sind eben anders. Ich bin ganz besonders anders und bin das auch noch gerne.
    Momentan sitze ich ohnehin in einem ganz anderen Film. Ich habe hier in diesem Forum ein Kapitel geschrieben und damit meinen Beitrag zur Entwicklung der Menschheit geleistet. Damit bin ich momentan völlig leidenschaftslos und möchte das auch vorerst bleiben.

    Ob es einen Feuergeist gibt in meinem Computer oder nicht hängt zumindest davon ab, welches Buch ich gerade schreibe.
    Ich muss heute eine große Erdhöhle buddeln für den Winter. Der kann bekanntlich mächtig kalt werden. Mit anderen Worten, ich bin erst mal weg. Waldkind.
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  18. #18
    Moderatorin Avatar von Helga +, Ehrenmitglied
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    <<<ich habe hier in diesem Forum ein Kapitel geschrieben und damit meinen Beitrag zur Entwicklung der Menschheit geleistet.

    Entwicklung der Menschheit Naja Miriam, ist das nicht bißchen zu hoch gegriffen?
    Viele Grüße
    Helga

    "Zwei Dinge sind unendlich, die menschliche Dummheit und das Universum, beim Universum bin ich mir aber noch nicht sicher!" (Albert Einstein)

  19. #19
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Jürgen, du fragtest nach dem Namen des Schiffes, das euch am am
    31.1.45 nach Aalborg brachte.
    Niemand scheint es zu wissen.Ich bin am Überlegen, warum wohl die Schiffe so verschiedene Ziele hatten.
    Es gingen doch zur gleichen Zeit auch Schiffe nach Warnemünde oder Kiel.
    Hmm. Ich weiß es nicht.

    Nun will ich aber doch zum Ende meines Berichtes kommen.
    Ich muss gestehen, dass ich nie gedacht habe, dass ich einen Roman darüber schreiben könnte. Ich will mich aber kurz fassen.-
    Wir gewöhnten uns ein.
    Der Vater arbeitete als Maler, machte sich selbständig.
    Er starb aber schon 1947. Er wurde nur 47 Jahre alt.
    Wir wurden Halbwaisen.Meine Mutter wachte darüber, dass auch meine halbwüchsigen Brüder ordentliche Burschen wurden.Ihr erstes Ziel: alle lernen einen Beruf. So wurde einer Betonbauer, einer Werkzeugmacher, einer Maler.
    Meine ältere Schwester hatte in Oliva im Forstamt eine Lehre als Stenotopystin nicht beenden können.
    Mein ältester Bruder kam aus der russischen Gefangenschaft noch rechtzeitig zur Beerdigung meines Vaters.
    Er hatte schon in Danzig die Buchdruckerlehre beendet.
    Allmählich etablierte sich auch die neue Gesellschaftsordnung in der DDR.
    Mein Bruder mochte nicht in dem System bleiben. Er ging nach Westdeutschland. Von dort unterstützte er uns, indem er jeden Monat Kaffee schickte. Den verkaufte dann unsere Mutter und bekam 40 Mark pro Pfund.
    Als ich die Schulzeit beendete, hieß es" Was willst du werden?"
    Ich hatte doch immer nur Bücher vor der Nase.Haushalt interessierte mich nicht. Mama klagte:" Du kannst ja noch nicht mal abwaschen!" "Ach, Mama, bis dahin gibt es Maschinen." Mama glaubte es nicht.
    Meine Lehrerin meinte, ich solle Lehrerin werden.
    Na, da wurde ich dann Lehrerin.
    Mama gab andere gute Tipps:"Heirate mal nur keinen Schlosser. Dann musst du die dreckigen Anzüge waschen." Sie hatte wohl schlechte Erinnerungen an die Maleranzüge ihres Mannes.
    Ich vertraute auch hier auf die neue Zeit mit tüchtigen Helfern im Haushalt.
    Ja, Mama wusste auch noch nichts globaler Erderwärmung. Sie wusste nur, wenn keine Kohlen im Keller sind, kommt auch keine Wärme.Also täglicher Kampf ums Überleben, ob mit dem Einteilen der Lebensmittelmarken, mit der Sorge um Kleidung.Von der Caritas bekamen wir ab und zu Kleidung zugeteilt.
    Irgendwie ging nun auch die Grenze , die Deutschland teilte, mitten durch unsere Familie.
    Noch ein Bruder ging in den Westen.Und noch einer.
    Asl meine Ausbildung beendet war, war ich Unterstufenlehrerin. Kam in ein kleines Dorf an der Grenze.Nach kurzer Zeit wurde ich versetzt. Ich war katholisch, hatte Westverwandschaft, außerdem nicht in der Partei.Das war nicht statthaft.
    Allmählich wurde die Situation bedrückend. Hier sollte ich nun mein ganzes Leben zubringen? Immer nur unter den Zwängen eines Staates, der alles überwachte?
    Ich reiste aus. Nein, ich riss aus.
    Über Berlin,noch vor dem Mauerbau. Also 1960 im Oktober.
    Dieser eine Satz beinhaltet viel quälerische Gedanken, viel Unsicherheit, viel Ängste.
    Im Westen nun wieder ein neues Ankommen.
    Eingewöhnen. Zurechtfinden.
    Vor allem wollte ich wieder in meinem Beruf arbeiten.Dazu musste ich nochmal an die Päd. Hochschule in Braunschweig.
    Dies wäre nie möglich gewesen, wäre meine Mama nicht zu mir gekommen. Sie konnte als Rentnerin ausreisen aus der DDR.So konnte ich studieren, und mein Kind war in guten Händen.Nach 3 Semestern war es dann geschafft.
    Ich ging in den Schuldienst. 40 Jahre lang.
    Und was bin ich nun???
    Na,ein zufriedener Mensch inmitten eine großen Kinderschar.
    ______
    Christkind grüßt
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    (M. Gandhi)

  20. #20
    Administratorin Avatar von Beate
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    :heart: Danke, Christa, ganz lieben Dank! Beate

  21. #21
    Forum-Teilnehmer Avatar von waldkind
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    "Ich muss gestehen, dass ich nie gedacht habe, dass ich einen Roman darüber schreiben könnte.", sagte Christkind.

    Hallo Christkind,
    vielleicht hast du tatsächlich Lust einen Roman zu schreiben. In diesem Stiel wie du schreibst würde ich ihn gerne lesen. Ein schöner Schreibstil ohne Wehklage und ohne Anklage, der die Dinge beschreibt wie sie waren. Ich denke, das ist es, was Menschen aus meiner Generation noch zum Thema brauchen können. LG wladkind.
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  22. #22
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Ich denke, das ist es, was Menschen aus meiner Generation noch zum Thema brauchen können.

    Ach, liebes Waldkindchen,nette anerkennende Worte hört ja jeder gern, ich auch.
    Um ein Buch zu schreiben braucht man sicher viel Ausdauer.
    Die habe ich nicht.
    Wenn mir mal wieder was einfällt, dann kommt es auf Papier... Bildschirm...
    Ätherwellen...
    _____
    Grüße von Christkind
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  23. #23
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    Standard Flucht in den Westen

    Es gab spektakuläre Fluchten.
    Durch Tunnel, über und durch das Wasser, mit dem Ballon, mit dem Flugzeug.
    Die Menschen ließen sich viel einfallen, wenn sie dem Arbeiter- und Bauernstaat entfliehen wollten. Vor dem Mauerbau gab es noch zwei andere Wege, nämlich über Westberlin oder über die grüne Grenze. Den gingen manche öfter, wenn sie sich auskannten und wussten, wie man durch den Wald ungesehen an den Grenzposten vorbei kam. Oder sie nahmen einen Führer. Der brachte einzelne Personen über die Grenze. Manchmal auch ins Jenseits, wenn es sich ergab.
    Die Mehrheit aber ging über Westberlin. Tagtäglich wurden es immer mehr. Manchmal Tausende. Es klang wie gelogen vom West-Fernsehen. Aber es war wahr.
    Irgendwann also fanden auch mein Mann und ich, dass wir weggehen wollten.
    Auswandern wollten wir, nach Kanada zu einem Bruder. Schritt für Schritt wurde nun geplant. Erstmal durfte es keiner wissen, denn die Folgen wären dramatisch geworden, das war uns klar. So gelang es uns, heimlich, still und leise unsere Vorbereitungen zu treffen.
    In den Herbstferien im Jahr 1960 „verreisten“ wir mit dem Zug. Mit kleiner Tasche und Kinderwagen. Kindchen war 10 Monate alt.
    Im Zug von Magdeburg nach Berlin saß eine junge Familie mit zwei Kindern. Auch Lehrer, die in den Ferien Verwandte besuchen wollten. Bisschen tauschten wir uns aus, aber je näher Berlin kam, desto stiller wurden wir. Auf dem Berliner Bahnhof kam die große Frage: Wird es gelingen, an den Posten ungehindert vorbeizukommen? Der Zug, der durch Westgebiet fuhr, musste bestiegen werden, denn wir hatten eine Fahrkarte für Prenzlau gekauft. Es warteten viele Menschen. Nur nicht auffallen, ganz harmlos wirken, ohne Angst zu zeigen. Als der Zug dann anrollte, war es schon geschafft, denn beim nächsten Halt waren wir in Westberlin. Jetzt schnell raus. Mit uns so viele Menschen ebenfalls. Nun gelangten wir irgendwie, ich weiß nicht mehr, wen wir fragten, ins Lager für DDR-Flüchtlinge. Nach der Registrierung bekamen wir ein Zimmer zugewiesen. Hier war schon eine Familie mit zwei Kindern drin. Auch Lehrer. Sie waren ganz aufgeregt, weil sie wussten, dass eine Schwester ebenfalls an dem Tag flüchten wollte. Endlich sahen sie diese durch den Hauptweg kommen. Und wie groß war unser Erstaunen, dass es die Familie aus dem Zug war. Jetzt ging alles nach Laufzettel. Hier eine Befragung, da eine Untersuchung, noch eine weitere Registrierung. Endlich hieß es: Fertigmachen zum Flug.
    Anders wären wir ja nicht nach Westdeutschland gekommen.
    Aus dem Flugzeug per Bus ins nächste Lager. In Uelzen. Lagerleben ist langweilig. Vor dem Lager standen Leute und fragten, ob man bei ihnen arbeiten wollte. Vielleicht wollten die uns verschleppen? Nein, man musste ja so aufpassen im Westen...
    Dann wurde auch noch unser Kindchen krank. Und bei Fieber ging es gleich in Quarantäne. Eine Tante holte uns ab, und so konnten wir nach 14 Tagen raus aus dem Lager. Diese Tante half uns dann weiter. Anfang 1961 konnten wir eine Wohnung bekommen. Leer, aber immerhin eine eigene Wohnung.
    Nun der Anfang im Goldenen Westen. Hilfe, wie stur waren die Leute!
    Wir waren noch so richtig unbedarft und naiv. Wir mussten lernen, dass es keinen mehr gab, der uns sagte, was zu tun ist. Wir waren wieder etwas runtergerutscht von der sozialen Leiter.
    Flüchtlinge aus der DDR.
    Heimweh. Ja, simples Heimweh, und ich wäre fast wieder in die DDR zurückgegangen.
    Meine Mutter bewahrte mich davor. Sie bekam 1964 innerhalb weniger Wochen die Ausreisegenehmigung aus der DDR. Nicht, weil Mielke Mitleid hatte, sondern weil dann wieder eine Rente im Arbeiter- und Bauernstaat gespart wurde.
    Mein Heimweh war schlagartig weg. Da, wo die Mama ist, ist das Heim ohne Weh.
    Noch etwas: Ich bekam einen Flüchtlingsausweis. Bei der Behörde arbeitete ein Mann, der fragte: „Sie sind aus Danzig? Man hört es. Ich bin auch aus Danzig.“ Ein Danziger und ich, das waren ja schon zwei Danziger in einer frenden Stadt! Ja, und heute habe ich seine gesammelten Zeitschriften von „Unser Danzig“ , weil mir die jemand geschenkt hat.
    Die Familie aus dem Lager traf ich ebenfalls wieder. Auf einmal standen wir im gleichen Lehrerzimmer und sahen uns erstaunt an.
    Spektakuläre Fluchten gab es. Aber meine war eine unter Hunderttausenden.
    Diese Grenze zerschnitt unsere Familie. Als meine Mutter 1967 starb, durften meine beiden Geschwister aus der DDR nicht zur Beerdigung kommen.
    Nun- alles Geschichte, aber nicht minder in schmerzhafter Erinnerung.
    Ein Jahr später waren diese Wege versperrt durch die Mauer.______

    Christkind
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    (M. Gandhi)

  24. #24
    Administratorin Avatar von Beate
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Danke, Christa, für deinen Bericht, danke, dass du uns so an deinem Leben teilhaben lässt...Du hast den Verlust des Zuhauses also gleich zweimal erlebt...und beschreibst alles ganz neutral...Heilt die Zeit die Wunden?
    Liebe Grüße Beate

  25. #25
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Ich habe immer Glück gehabt, Beate.Dafür bin ich dankbar.:surprised:
    Was ich aufschreibe, ist ein Beispiel für viele zigtausende gleiche Lebensläufe.
    So oder ähnlich ging es vielen Menschen.

    Bedauert habe ich nur, dass wir hier steckengeblieben sind.
    ________
    Gruß von Christa
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  26. #26
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Jürgen,
    du fragtest nach dem Namen des Schiffes, das euch am am 31.1.45 nach Aalborg brachte.

    Das lautet alles nicht richtig. Zuerst am 04.02.1945 kam das Führerbefehl, dass Flüchtlinge und verwunndete Soldaten nach Dänemark gesendt werden sollen.
    Das erste Schiff, "Vaterland" kam am 11.02.1945 nach Kopenhagener Freihafen mit 2.500-3.000 verwundete Soldaten. Am gleichen Tag kam "Cap Arcona" in Kopenhagen mit Flüchtlinge. In Februar und März war es meist "Cap Arcona" die die Flüchtlinge von Hela nach Kopenhagen überbrauchte. Von 11.02 bis 08.05. 1945 wurde über 350.000 Flüchtlinge und Soldaten mit 800 Schiffe nach Dänemark gebracht.

    Die Flüchtlinge wurde zuerst in Kopenhagen auf Schulen, Hotels, Sportshallen etc einlogiert. Später wurden die in über 1000 verschiedene Lagern und Lokals in ganz Dänemark verteilt und in mehrere Plätze in Aalborg.

    Ich war 7 Jahre alt und wohnte in Außenbezirke Kopenhagens. Ich kam ein Jahr später in die Schule, weil unsere Schule für Flüchtlinge gebraucht wurde. Die Flüchtlinge hat sich über das Essen beklagt, aber die haben jeden Tag was zu Essen bekommen, aber wir haben gehungert.

    Wenn du von ein Bauer Rüben geklaut hast und Senge mit der Peitsche bekommen hast, kann ich dir Erzählen, dass es nicht nur für deutsche Kinder eine Strafe warst, wir haben es auch bekommen. Es war ein Bauerhof in unsere Nähe.

    Mit freundlichen Grüße
    Olaf

  27. #27
    Forum-Teilnehmer Avatar von Uwe
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Olaf,

    ich weiß von meiner Mutter, dass Ihr Schiff was direkt in Danzig los fuhr, eigentlich die Insel Rügen ansteuern sollte. Dieses war aber aufgrund der Kriegsentwicklung nicht mehr möglich und der Kurs wurde Richtung Dänemark geändert. Wann das genau war und mit welchem Schiff weiß ich leider nicht. Meiner Mutter wurde erzählt, dass vor dem auslaufen ihres Schiffes die Gustloff gerade versenkt wurde. Des Weiteren kam die Aufforderung Danzig zu verlassen, von meinem Großvater an meine Großmutter mit meiner Mutter und ihrem Bruder relativ schnell und unvorbereitet. Die kochende Milch stand gerade auf dem Herd, dann der Anruf "Ihr müsst SOFORT Danzig verlassen". Da meine Mutter erst 7 Jahre alt wa,r kann Sie sich nur an Dinge erinnern, die sich tief eingebrant haben in ihr Gedächtnis. Das sind die unbeschreiblichen Menschenmassen die in Richtung Hafen strömten, dass mein Onkel (11 Jahre alt) in diesem Gewühl verloren ging aber meine Oma ihn wiederfand und das die Mensche über Holzkörbe auf die Schiffe verladen worden sind. Jeder der dabei ins Wasser fiehl hatte eben Pech.

    Habe aufgrund dieser Daten und des Frontverlaufes recherchiert und denke es muss Anfang Februar 1945 gewesen sein. Denn danach kann sich eigentlich die Familie nicht mehr am Zigankenberg (Schubert Weg) aufgehalten haben. Dort standen dann schon die ersten sowjetischen Truppen die südwestlich von Danzig an die Ostsee durchbrachen.

    In Dänemark hat die Familie dann ca. 2,5 Jahre im Lager in Aalborg verbracht. Daran kann sich meine Mutter schon intensiver erinnern. Gehungert haben sie wohl nicht, die Flöhe konnten wohl aber täglich gezählt werden. Meine Oma hat Kleider für Däninen genäht und hatte dadurch wohl ein ausreichendes Einkommen. Die bewachenden Soldaten waren wohl sehr nett, insbesondere zu den Kindern. Von den dänischen Einwohner hörte sie oft den Spruch "tyske svin" (ich hoffe ich habe das richtig geschrieben?!). Insgesamt hat sie die Lagersitiuation aber nicht extrem negativ in Erinnerung. Ich denke in Deutschland wäre es Ihnen schlechter ergangen. Das kam dann ansatzweise durch die einheimische deutsche Bevölkerung im Weserbergland. Dort ging es ihnen die erste Zeit zumindestens nicht besser.

    Weißt Du, welche Schiffe, wann Danzig direkt verlassen haben und evtl. erst Rügen als Ziel hatten?


    Herzliche Grüße

    Uwe
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  28. #28
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Mein Vater ist 1950 mit einem Lieferwagen voll Mehl nach West-Berlin getürmt im Auftrag des Mühlenbesitzers, meine Mutter mit mir über die "grüne Grenze", Quedlinburg war ja nicht weit von der Grenze entfernt, dann ging es durch die verschiedenen Besatzungszonen, den Ausweis aus der englischen Zone habe ich noch, ob mich das zum Engländer macht?

  29. #29
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Uwe,
    du schreibst dass deine Oma, Mutter und dein Onkel kurz nach die Gustloff gerade versenkt wurde (30/1)mit ein Schiff nach Dänemark kam.

    Das erste Schiff, "Vaterland" kam am Sonntag 11.02.1945 nach Kopenhagener Freihafen mit 2.500-3.000 verwundete Soldaten, aber ich finde trotzdem, dass auch wenige Flüchtlinge mit war. Am gleichen Tag kam "Cap Arcona" in Kopenhagen mit Flüchtlinge. In Februar und März war es meist "Cap Arcona" die die Flüchtlinge von Hela nach Kopenhagen überbrauchte. Jedenfall waren die erste Flüchtlinge in Aalborg Mittwoch 14. Februar.

    In welschen Lager ist schwerig ausfinden, es waren mehrere und Zuletz wohnte 30.000 deutsche Flüchtlinge in Aalborg.

    Du beklagst dich über dass einige Dänen "Tyske svin" (Deutsche Schwein) zu deine Familie gesagt hast, aber weißt du wie die Deutschen in Aalborg sich genimmt hast? Es war gefährlicher in Aalborg zu leben als in Kopenhagen. Täglich wurde unschuldige Dänen ermordet, Ärtzte wurde als Clearingmord hingerichtet. Flüchtlinge hatten so lange die Besatzung war Geschäfte geplündert. Wollte der Einhaber ihn nicht was geben, hat die ein deutscher Offizier geholt und er hat mit Pistole im Hand verlangt, dass die das bekommen sollte. Selbst nach Kriegsende hat deutsche Soldaten Dänen getötet. In Silkeborg hat die Flüchtlinge 17. September (4 Monate nach Kriegsende) das Wachtmannschaft mit Waffen angegriffen. Deine Verwante waren part das nazistische System. Ich schreibe nicht dieses von Wut, sondern es ist eine Tatsache.

    Lebt deine Mutter noch? Denn mit 7 Jahren müßen sie doch viel errinnern. Ich kann alles von diese Zeit errinnern. Ich war auch 7 Jahre.

    Mit freundlichen Grüße
    Olaf

  30. #30
    Forum-Teilnehmer Avatar von Uwe
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Olaf,

    ich glaube es war die Cap Arcona, werde nachher mal meine Mutter fragen, damit wäre auch die Frage beantwortet, ob meine Mutter noch lebt. Aber die Cap Arcona müsste direkt aus Danzig und nicht aus Hela gekommen sein???

    Nein Du hast mich falsch verstanden, habe mich nicht beklagt über die verbalen Beschimpfungen. Auch meine Mutter hat sich nie darüber beklagt, sollte nicht mehr als eine Situationsschilderung und auch eine Tatsache sein. Die Hintergründe warum dieses so war sind mir durchaus bewußt. Habe ja versucht deutlich zu machen, dass meine Mutter dort besser aufgehoben war als in Deutschland als Flüchtling.

    An manche Dinge denke ich will sich meine Mutter auch nicht erinnern, weil die Erlebnisse während der Flucht so waren wie sie Millionen von Menschen erlebt haben.

    Herzliche Grüße

    Uwe
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  31. #31
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Uwe,
    jetzt habe ich das richtige Schiff gefunden. Es war viel Arbeit dabei.

    M WARTHELAND 42/6783 C. Andersen, Hamburg DKJB
    24. 7. 43 von Nakskov Skibsværft als ehem. norw. "Falkanger" fertiggestellt
    1943 Zielschiff in Travemünde
    Apr.43 Danzig Repar. 18./22. 2. 44 Oslo - Reval,
    ab 30. 3. 44 Transporter im Baltikum-Verkehr, 20. 4. 44 vor Libau Minentreffer
    26. 9. 44 vor Arensburg/Ösel Bombentreffer, 20. 11. 44 vor Libau Minentreffer
    bis 24. 1. 45 Reparatur in Danzig
    26./28. 1. 45 Pillau - Danzig - Swinemünde
    8./9. 2. 45 Danzig - Kopenhagen
    März 45 ab Neufahrwasser
    Mai 45 in Kopenhagen
    14. 6. 45 Rückgabe an Norwegen

    Dieses Schiff, die WARTHELAND, hatte 1943 die nach Deutschland deportierten dänischen Juden transportiert.

    Dann stimmt alles, 8./9. 2. 45 Danzig - Kopenhagen. Deine Mutter hat es richtig errinnert. Am 11. Februar in Kopenhagener Freihafen.

    Bekomme ich deine E-Mail Adresse sende ich ein kleines Video wie es in Freihafen warst wenn die Flüchtlingeschiffe kamen.

    Gute Nacht
    Olaf

  32. #32
    Forum-Teilnehmer Avatar von Uwe
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Olaf,

    danke für Deine Bemühungen! Ich glaube Dir gerne, dass das suchen viel Arbeit macht.

    Schicke Dir meine Email-Adresse per PN.

    Herzliche Grüße

    Uwe
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  33. #33
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    Standard AW: Wie ich wurde, was ich bin

    Hallo Uwe,
    Du kannst mir sicher helfen. Ich habe unter Titel Zeitzeuge einen Art. begonnen, aber nach ein paar Sätzen ging nichts mehr. Ich hätte zu Tema noch einiges zu sagen, aber nichts ging mehr der Fehler lag sicher bei mir.
    Zum Tema wie ich wurde,was ich bin, könnte ich auch als damals 12 Jähriger
    einiges dazu beitragen, aber erst muß ich wissen, ob ich den Art. auch zu Ende
    schreiben kann.Deine Antort entgegensehend verbl. Willy

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