Aus „Unser Danzig“, 20.03.1960, Nr.6, Seite 19

Hermann Kundes Tiergarten
von Elisabeth Westing

Am Holzmarkt an der Töpfergassenecke, ein paar Schritte vom Deutschen Haus entfernt, befand sich eines der blitzsauberen, gekachelten Fischgeschäfte von Hermann Kunde, der an mehreren Stellen der Stadt Filialen unterhielt. Der Name bürgte für Qualität und hatte Tradition.

Wer kannte nicht den ollen Kunde und seinen Äppelkahn, der am Brausenden Wasser träge auf der Mottlau schaukelte! Hier gab es frische dicke Flundern und Pomuchel, die zarteste Räucherware, Aale, Neunaugen und Weichsellachs, daneben Rhabarber, Erdbeeren und Tomaten aus Hermann Kundes Gartenland. Er hatte als erster Rhabarber und Tomaten in Danzig auf den Markt gebracht. Seine Landsleute mochten zunächst den herben Geschmack des grünen Rhabarbers nicht, aber Hermann Kunde veredelte die gerbsaure Sorte und brachte „Erdbeerrhabarber“ auf den Markt, der sich bald allgemeiner Beliebtheit erfreute. Als das Mosten aufkam, war es vornehmlich der billige Rhabarber, der zum Süßmosten verwendet wurde und in Verbindung mit Äpfeln oder Erdbeeren ein nahrhaftes, duftendes Getränk darstellte. Alma Richter, die auf Niederstadt eine Süßmosterei betrieb, verhalf dem Rhabarber zum Siegeszug. Als die Tomate auf dem Markt erschien, durch Hermann Kunde propagiert, wusste man mit den „roten Äpfeln" zunächst nichts anzufangen. Der olle Kunde sorgte durch geschickte Reklame dafür, dass diese Frucht volkstümlich wurde.

Hermann Kunde besaß am Sandweg hinter Kneipab eine Fischräucherei und viele Hektar Land, das mit Obst- und Gemüsekulturen angereichert war. Er war einer der großzügigsten, freigebigsten Bürger, die man sich denken kann. Sah er irgendwo ein hungerndes, frierendes Kind, so war er sofort bereit, die bittende Hand zu füllen. Als sein Junge im ersten Weltkrieg auf Urlaub von der Front kam und seine Freunde und Bekannten zu sich lud, war stets der Tisch gedeckt. Es war natürlich, dass sich ob dieser Gastlichkeit viele um den langen Otto scharten; er besaß dieselbe großzügige Ader wie sein Vater. Und so kam es denn, dass auch ich öfter an dieser Futterei teilnehmen durfte. Einmal im Sommer wurden wir Kinder zum großen Erdbeeressen eingeladen, für uns Städter ein Ereignis, das uns für alle Zeiten an den gastfreien, originellen Herrn erinnern sollte.

Der alte Kunde hatte viele Passionen. Eine davon widmete er Äskulap, dem Gott der Heilkunst. Er war sein eigener Gesundheitsminister, mischte und mixte Kräuter und Tees, die er zu bestimmter Stunde gesammelt hatte. Da er alle Welt damit beglücken wollte, stieß er hin und wieder auf Widerstand, den er als ungehörig empfand. Aber das schreckte ihn nicht ab, seine Mixturen weiter zu mischen und selbst dran zu glauben.

Ein anderes Steckenpferd war seine Liebe zu den Tieren. Waren Hund und Pferd und Katze, Huhn und Schwein und Ente von früh bis spät um ihn, so genügte ihm dieser Landwirtschaftsbetrieb keineswegs. Er richtete in Heubude das Tiergartencafe ein, dem ein Tiergelände mit Angorakaninchen, Affen, Schlangen angeschlossen war. Höhepunkt war ein Lama, auf dem die Kinder reiten durften. Es war zahm und trug nur manchmal einen Maulkorb, weil es biss. Das Tiergartencafe hatte eine hübsche gärtnerische Anlage erhalten, bot einen freundlichen Aufenthalt und erfreute sich großer Beliebtheit. Hermann Kunde pflegte seine weiblichen Gäste galant durch überreichen einer Rose zu begrüßen.

Es war klar, dass dieses menschenfreundliche Unternehmen mit Verlust arbeiten musste. Das schien unwesentlich. Der olle Kunde hatte seinen Spaß an den „Viechereien“, konnte es sich leisten und ließ sich in seinen Kram sowieso nicht dreinreden.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang