Aus „Unser Danzig“, 05.09.1962, Nr.17, Seite 19

Pilze auf der Nehrung
von Robert Neumann

Als ich in „Unser Danzig“ eine Lobpreisung der Nehrungsdörfer Steegen und Stutthof mit ihrem würzigen Kiefernwald, den interessanten Dünen und der weiten See las - vermisst habe ich allerdings den rasenden Nehrunger, mit dem zahlreiche Badegäste und Naturfreunde gern auf die Nehrung kamen -, erinnerte ich mich, da wir jetzt Spätsommer oder Frühherbst haben (so genau lässt sich dies im Jahre 1962 nicht feststellen), wieder einmal der Pilze, die in rauhen Mengen besonders auffällig auf der Düne wuchsen. Sehr artenreich war die Pilzflora vielleicht nicht, in unvorstellbarer Menge kamen aber Butterpilze, Blutreizker und Sandröhrlinge vor, während unterhalb der Düne als Raritäten Täublinge, Birken-und Habichtspilze, Hallimasch, Waldchampignons und Steinpilze sich finden ließen. Weiter gab es die weniger gut schmeckenden, ungenießbaren und giftigen Arten, die in ihrer vielfach bunten Pracht das Gesamtbild auch eindrucksvoll belebten, z. B. Schwefelköpfe und Fliegenpilze.
Mein hoher Chef war alljährlich mehrmals mit Gefolge auf der Düne, um persönlich dem Vergnügen des Pilzesammelns frönen zu können. Zunächst sammelte er lediglich Blutreizker, die allerdings auch, besonders paniert, recht gut munden. Später erntete er fast nur noch Sandröhrlinge, die frisch gekocht, aber auch eingeweckt recht gut schmecken, aber auch getrocknet beigefügt Braten und Saucen ein würziges Aroma verleihen. Wir sammelten keinesfalls wahllos, sondern konnten uns bei dem Überangebot der Natur erlauben, lediglich die allerjüngsten zu nehmen, deren Hütchen sich noch nicht entfaltet hatten.

Wie stark gerade das Vorkommen der Sandröhrlinge auf der Düne war, möge ein Beispiel erhellen: Meine Tochter griff sich ein Dutzend Jungmädchen, ließ sich den Kastenwagen anspannen und kam mit vollen Körben bereits nach eineinhalb Stunden wieder nach Haus. Die Pilze wurden sofort gereinigt und zubereitet, und 100 Dosen eingeweckter Pilze wanderten in das nächste Lazarett.

Steinpilze waren sehr selten, und wenn wir einmal einen entdeckt hatten, suchten wir so lange, bis wir den Kameraden fanden. Einmal - es war im Herbst 1943 - fuhren wir durch den traumhaft schönen Wald von Pröbbernau und sahen plötzlich auf einem verwunschenen Weg und neben ihm, der vielleicht seit Monaten nicht mehr benutzt worden war, auf kleinem Raum fünf ausgewachsene Steinpilze. Als wir dann systematisch suchten, entdeckten wir insgesamt mindestens dreißig dieser edlen Pilze, kleinere und größere, alle aber gesund und brauchbar. Da wir ein derartiges Erlebnis in Jahrzehnten noch niemals gehabt hatten, glaubten wir zunächst an eine Halluzination, indessen war es Wirklichkeit, und die Pilze sind uns gut bekommen. dass die Nehrung mit ihrem armen Boden derartige Mengen von Pilzen, auch von Steinpilzen hervorbringen konnte, grenzte an die pilzfreudige Kaschubei. Vor meinem geistigen Auge sehe ich immer noch stabile Kaschubenfrauen mit hochgefüllten Körben voller Steinpilze auf dem Hauptbahnhof Danzig den Zug verlassen, um sich zum Markt zu begeben. Es gab eine Unmenge guter, wohlschmeckender Pilze auf der Nehrung, jedoch nur wenige Sammler. Die eingeborene Bevölkerung hatte zur Pilzzeit in der Landwirtschaft zu tun, und wahrscheinlich spukte seit Urvätertagen in den Hirnen eine gewisse Angst vor Vergiftungen mit, die ja auch nicht ganz unberechtigt war und ist. Als ich im Münsterland wohnte, ertranken wir in einem besonderen Jahre geradezu in Champignons. Eine geschäftstüchtige kleine Bauersfrau sammelte ebenfalls Champignons, um sie auf dem Markt zu verkaufen, ließ sie jedoch der Sicherheit halber von uns begutachten, und hierbei stellte sich heraus, dass es sich eigentlich nur um Knollenblätterpilze handelte. Giftigere Pilze als diese gibt es vielleicht gar nicht. Einzelne Sammler konnte man immerhin aber auch auf der Nehrung sehen, die vielleicht in anderen Gegenden auf den Geschmack gekommen waren und nun mit großer Orts- und Artkenntnis ihrer Sammelleidenschaft nachgingen.

Wenn ich heute in Geschäften oder auf Gemüsemärkten Pilze sehe, meist sind es künstlich gezogene Champignons und Pfifferlinge, deren hoher Preis mich trotz der wieder einmal anrollenden Inflation sehr verwundert, ganz selten sind es auch wohl mal Kapuziner, Hallimasch oder Maronen, dann denke ich an das Pilzparadies auf der Nehrung und träume von den schönen Stunden, die wir bei lindem Sonnenschein im scheidenden Sommer damit verbrachten, Pilze zu sammeln. Hoben wir den Blick, erlebten wir die Erhabenheit und Lieblichkeit der Ostsee, von geeigneter Stelle aus konnten wir an Glückstagen auch am fernen Horizont Heia sichten, das in unserem Leben noch einmal eine besondere Rolle spielen sollte. Das alles ist vorbei, es bleibt die Erinnerung an Ruhe und Ruch der Dünen auf der Frischen Nehrung.

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Wolfgang