Aus „Unser Danzig“, 02.08.1962, Nr.16, Seite 6

Die Synagoge auf Mattenbuden
von Karl-Heinz Jarsen

Außer der repräsentativen, aus Backsteinen gebauten Danziger Synagoge auf der Reitbahn gab es noch eine andere, weniger bekannte, die hinter der lückenlosen Mattenbudener Häuserreihe stand. Sie erhob sich auf einem geräumigen, mit Gras und Sträuchern bepflanzten, auch gepflegten Platz; ein Bretterzaun trennte sie vom Hofgelände Mattenbuden 19. Die Synagoge war grau getüncht, ihre Fassade wirkte nüchtern, ja trist. Innen jedoch - so bestätigten mehrere nichtjüdische Besucher - zeigte sie orientalischen Prunk: wertvolle Teppiche, Goldverbrämungen, rote, plüschartige Gobelins, blanke, kunstreiche Kandelaber usw.

Der Synagogen-Betreuer, groß und kräftig, lebte in einem abbruchreifen Gebäude, das von breitästigen Kastanien beschattet wurde. Manchmal, wenn wir Buben auf dem sandbestreuten Hof Fußball spielten, flog die pralle, ledergepanzerte Kugel über den hohen, droben wie ein Sägeblatt gezackten Zaun. Was nun? Nervös, beklommen gingen zwei Mutige hin und holten unseren Ball. Der blonde Hüne nämlich, obwohl er nicht fluchte und schlug, den aber Greuelmärchen schlecht machten, flößte uns Furcht ein - unbegründete Furcht.

Ein besonderes Ereignis - auch für jeden Christen, der nahe jener Synagoge wohnte - bildete das Laubhüttenfest. Kurz zuvor wurden ungezählte Hühner unter großem Gekreisch geschlachtet. Scharenweise strömten die Gläubigen herbei, Alte aus Galizien mit ihrem Patriarchenbart, ihren Ringellöckchen und in schwarzem Kaftan, Stoff-Fabrikanten aus Lodz, Trödler aus Krakau; Leute jeden Berufes, arm und reich, jung und alt. Unter den Fremden, die das Laubhüttenfest feierten, sahen wir Knirpse die beiden kleinbürgerlich bekleideten Friseure Banach und Grünberg, die auf Mattenbuden ihr Geschäft betrieben, ferner den Obst- und Gemüsehändler Dymarck, dessen Sohn unser Freund war.

Eng beim Bretterzaun stehend, hörten wir Gesänge, klangschöne, ergreifende Gesänge. Der hebräische Text konnte die Wirkung dieser Melodien nicht mindern. Draußen, im Freien, begann der gemütliche Teil dieses Erntedankfestes. Sie schmausten, plauderten, frohlockten. Das Sichvergnügen aber blieb in Grenzen. Niemals dröhnten Lachsalven, keiner krakeelte; obgleich sie alle, Jugend wie Alter, Fröhlichkeit erfüllte.

Noch ehe der Krieg ausbrach, fielen die bröcklig-morschen Hinterhofgebäude, auch jene Synagoge, einem modernen Bauplan zum Opfer. Neue Wohnblocks sollten errichtet werden, was jedoch die drohenden späteren Geschehnisse vereitelten.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang