Ein kleines Naturwunder

Dienstag, 31. Dezember 2002, nachmittags


Wir sind mit dem Auto unterwegs von Tiegenhof nach Steegen. Auf der Höhe von Tiegenort, links, auf den Feldern, stehen zahlreiche Rehe, ihre Köpfe der Straße zugewandt. Sie heben sich kontrastreich vom Schnee ab. Wohin das Auge blickt, überall kann "Natur pur" wahrgenommen werden. Hier, ein Stückchen von der Küste entfernt, lacht die Sonne vom tiefblauen Himmel. Ich schaue mich um, lasse die Augen schweifen, immer in der Hoffnung, Neues, Interessantes, Einmaliges zu aufnehmen zu können. Der Küstenstreifen wird durch dunklen Dünenwald angezeigt, der Steegener Kirchturm zeigt sich im glühenden Licht der langsam tiefer sinkenden Sonne. Über der Küste ein langes schmales Band dunkelgraublauer Wolken, ineinander verquirlt, sich nicht fortbewegend und trotzdem lebendig wirkend. Auch sie bedenkt die Sonne mit etwas Farbe, sie wirken nicht kühl, nicht abweisend, im Gegenteil, zusammen mit den von verschwenderischem Licht überfluteten Feldern, dem Wald, den Ziegelbauten, wirken sie harmonisch und geben innere Ruhe.

Ich lasse den Blick wandern und werde plötzlich auf ein Glitzern am nordöstlichen Horizont aufmerksam. Ein ganz fernes Glitzern am Himmel, dann ist es wieder weg, und kurz darauf scheint es ein wenig näher gekommen. Sind es Luftspiegelungen, werde ich durch irgend etwas geblendet, irritiert mich brechendes Licht in den Gläsern meiner eigenen Brille? Nein, es kommt näher, es kommt auf uns zu. Es bewegt sich. Es schwebt. Und dann kann ich es erkennen. Das Blitzen, das Glitzern stammt von Vögeln, die im keilförmigen Formationsflug Richtung Westen unterwegs sind. Das Glitzern wird durch Sonnenlicht verursacht, Sonnenlicht, das sich im rhythmischen Auf und Ab der Flügel dieser Vögel spiegelt. Es sind weiße Vögel. Das kann ich bereits erkennen. Der nördliche Flügel des Keils scheint wie mit dem Lineal gezogen, der südliche ist in ständiger Bewegung, sinkt ab, steigt auf, franst aus, vereinigt sich wieder. Einige wenige Nachzügler versuchen mit raschem Flügelschlag der Formation näher zu kommen, sich in sie einzugliedern. Was sind das für Vögel? Gänse? Ja, Gänse müssen es sein. Aber dann, als sie näher kommen, sind die langen Hälse überdeutlich erkennbar. Es sind Schwäne! Weit, weit über hundert, vielleicht sogar mehr als zweihundert. Sie ziehen über uns weg. Wohin? Können sie, wie andere Wildgänse, täglich 600 - 800 Kilometer zurück legen? Wohin fliegen sie? Entfliehen sie der Kälte? Suchen sie offenes Wasser? Im Süden?

Oder wollen sie einfach nur den letzten Tag des Jahres nicht gehen lassen? Versuchen sie, ihm hinterher zu fliegen, ihn einzuholen?

Ein Naturschauspiel ist an meinen Augen vorbei gezogen. Ich habe ein weiteres kleines Naturwunder gesehen. Ein kleines Wunder wie sie hier in der Niederung und im Werder immer wieder vorkommen.