Aus "Unser Danzig", 1961, Heft Nr.15, vom 05.08.1961, Seite 10:

Dominikserinnerungen

Liebe Danzjer in der Färne!

Jenau wie inne alte Heimat feiert auch die Bevölkerung von mein neues Domizil Jugenheim im August ihr großes Volksbelustigungsvergniejen. Das reizt einem natürlich zu Vägleichsanstellungen, die aberst hinken, weil andre Länder andre Sitten haben. Während hier nach meine bisherige Beaugenscheinigungen höchstens zwei Karussellchens, ne Affenschaukel und ne Schießbud aufkreuzen und die Kerwe oder Kirchweih mehr abends in allen Sälen des Kurorts als Tanzveranstaltungen abrollen, handelt es sich in Danzich doch um ein allumfassendes und einzichartjes Volksvergniejen.

Jewiß, ältre Semester waren bei uns inne Minderheit. Die wanderten mehr nach Mattenbuden und Langgarten, um dort inne Rummelsburcher Textilien zu wühlen oder die im Laufe des Jahres zertöpperten Topp und Baulchens durch neue zu ersetzen und sich in andre Buden Lausekämm oder gar fast ächte Ring mit Simili-Brillanten und Talmigold zu erstehen. Aufem Danzjer Domnik könnt eben jeder auf seine Art glücklich werden.

Die Jugend aber beiderlei Jeschlechts piljerte damals jeden Tag raus zum Olivaer Tor, wo fast übre Nacht ein neuer Stadtteil erstanden war, der sich mit seinem Lärm schon fast in Bahnhofsnäh bemerkbar machte. Kam man näher, kitzelt es einem noch mehr inne Fieß. Man beschleunichte das Tempo trotz alle Hitz bis zum jestreckten Gallopp, denn womöglich versäumt man grad nu Dinge von gigantischem Ausmaß. Und denn würd es andertags inne Schul wieder heißen: „Selma, das hast Du nich jesehen? Oh, es war fabelhaft mit drei Ausrufungszeichen!"


Ja, da kamen sie in helle Haufen anjezagelt, die vonne Innenstadt, während die vonne Beek und vonne Radaun (lies Schidlitz und Ohra) mehr anjeleschakt kamen wie etwa alte Fahrensleut, die sich auf festem Boden nich mehr ganz sicher fiehlen. Nur die Langfuhrer entstiegen vornehm der Elektrischen, dort hat es ja immer nach Jeld jerochen. Schon war man im Jedränge, bekam einen Puff in Auspuffnähe, schon wurd man von einem Schubjak mittem frisch erstandnen Staubwedel inne Nas jekitzelt oder ein andrer Labommel väsucht mit son hölzernen Klappmatismus, an dem meist vorn ein Büschel bunter Federn klebte, am Hals oder seiner Nachbarschaft herumzufummeln. Das wurd aberst allens nich ernst jenommen, denn es jehörte dazu wie etwa Rohweders Berg- und Tal-Bahn, dem Eldorado der damaljen Backfisch- und Jünglingsjeneration. Da standen wir eisern und mit Ausdauer stundenlang auf den unter der Last der schweren Wagen erzitternden Laufplanken. Wir ließen uns die Locken mit Papierschlangen umwickeln und prusteten unter Lawinen von Konfetti, das abends beim Ausziehen aus alle Spalten hervorkroff und sich vorem Bett zu Bergen türmte. Natürlich wurd auch jefahren, wenn man einem Kavalier hätt, der grad gut bei Kasse war. Das Jelächter, die oft recht defftijen Zurufe, das Jetöse des Riesenorchestrions und die grellen Töne der Dampfsirene der die Wagen antreibenden Lokomobile klingen mir noch heut so im Ohr wie die Schlager der Saison. „Kleine Mädchen müssen schlafen gehn“ oder „Bobby, wo hast du deine Haare?“

Zwischendurch immer wieder Abstecher zu den andren Sehenswürdigkeiten. In diese Bud versprach Lionel, der Löwenmensch, Wunderdinge von einmaljer Größe. Dort paarte sich Männerkraft mit Frauenschönheit, um Eindruck auf Zahlungskräftje zu gewinnen. Ich kann Euch aberst aus eijener Erfahrung väsichern, man sah draußen mehr als nachher drinnen inne Vorstellung. Die vielen Flimmerkästen fanden ebenso Interesse wie die Dame ohne Unterleib. Nich zu verjessen die zweietagigen Buden, wo man von Guckloch zu Guckloch jing, um blutrinstige Bejebenheiten aus aller Welt mit leisem Gruseln zu bekicken. Wer entsinnt sich nich noch der schwankenden Karoline, der Torpedo-Blitzbahn, der Riesenräder oder der Drahtseilbahnen? Hier hingen jewöhnlich auch die frechsten Luntrusse wie volljefressene Strimpf an eine Art Trapez und ließen sich schnell zu Tal fahren, froh, wieder Boden untere staubjen Trittchen zu bekommen.

Herrlich auch die lustjen Tonnen oder die rotierende Scheibe, von der man meist schneller runterrutschte als man raufenterte. Einmal glickt es mir hier, die Stellung bis zum Schluss zu halten. Erst das brillende Jelächter der Umwelt zwang mich zu beschleunichter Flucht. Da hätt doch jen Budenaugust, das alte Lachodder, ohne mein Wissen ein Paar bezaubernde Spitzenhöschen in meine nächste Näh bugsiert, und jeder musst nu denken, es wären die meinichten, die ich bei die Affenfahrt verloren hätt. Oder was haben wir uns nich immer im Lachkabinett mit seine Spiegeleien inne Huck lachen müssen.

Und abends erst, wenn die Dunkelheit einbrach und Tausende von Glühlampen die Jejend in eine Märchenlandschaft verwandelten. Ja, das war ebn ein ächt Danzjer Dominik mit all seine Begleiterscheinungen und keine hessische Kerwe. Vielleicht wird es am 27. August in Jugenheim einen Abglanz davon jeben, wenn der ganze Kurort von Danzjern überlaufen sein wird. Unsre Ortsstell Darmstadt hat dann nämlich alle Landsleut eingeladen, die zwischen Rhein, Main und Neckar ansässig jeworden sind. Da werden sich denn die Busse der Ortsstellen Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt morjens vom Hauptbahnhof Darmstadt in Bewejung setzen und durch die schönsten Teile des Odenwaldes Jugenheim zu einem jemeinsamen Treffen mit den Heidelbergern, Weinheimern und Bensheimern ansteuern. Der Nachmittag soll alle in froher Laune vereinen und das jemeinsame Band festigen. Darauf freut sich schon niemand mehr als Eure Euch härzlich grüßende

Selma Kallwitzki

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang