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Thema: Die katholische Kirchengemeinde Zoppot

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    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard Die katholische Kirchengemeinde Zoppot

    Schönen guten Morgen,

    nachfolgend ein ganz hervorragender Artikel der besonders unsere Zoppoter interessieren wird. Denn in diesem langen Beitrag wird nicht nur die Geschichte der Meeressternkirche erzählt sondern auch die mehrerer katholischer Kapellen in Zoppot. Außerdem werden zahlreiche Namen erwähnt die vielen von Euch bekannt sein werden. Viel Freude beim Lesen!


    Aus „Unser Danzig“ Nr.22 vom 20.11.1964, Seite 11
    Nr.23 vom 05.12.1964, Seiten 12-13,
    Nr.24, Weihnachten, Seiten 9-10

    Die katholische Kirchengemeinde Zoppot
    Von Alfons Rohde

    Wie lebhaft beim Betrachten alter Fotos doch immer die Erinnerung an frühere Geschehnisse in uns wach wird, sofern uns auch in älteren Jahren nur ein einigermaßen treues Gedächtnis bewahrt blieb! Fielen dem Verfasser da vor kurzem schon leicht vergilbte Aufnahmen von dem eingerüsteten Kirchturm der Zoppoter katholischen Kirche (Maria-Meeresstern) in die Hand, und schon stand das bauliche Geschehen der Jahre 1930/31 wieder lebhaft vor Augen, als wäre es sozusagen eben erst gestern gewesen. Damals wurde der spitze Turmhelm der Kirche um volle drei Meter in die Lüfte hinausgeschoben, ohne dass man ihn zuerst abmontieren und danach wieder neu aufbauen musste. Das war für die damalige Zeit vor mehr als drei Jahrzehnten eine bautechnische Meisterleistung ganz besonderer Art, die allerseits - vor allem in den zuständigen Fachkreisen - denn auch gebührend gewürdigt, gelobt und bestaunt wurde.

    Unsere älteren Zoppoter werden sich an die Wochen und Monate, da der Kirchturm damals eingerüstet war, ganz gewiss noch gut erinnern. Nach Beendigung der Umbauarbeiten war die katholische Kirchengemeinde im Spätjahr 1931 wieder im Besitz ihres vollen Geläutes von drei melodischen Glocken, aufgehängt in einem vergrößerten und erhöhten Glockenstuhl, dessen notwendig gewordener Einbau in den Kirchturm die Anhebung des Turmhelmes um ganze drei Meter zur Voraussetzung hatte.

    Wie schon immer in langen Kriegszeiten, so mussten auch während des ersten Weltkrieges 1914/18 die Kirchen aller Bekenntnisse ihre Glocken abliefern, weil das bis dahin doch nur friedlichen Zwecken dienende und so wohlklingende Metall zu todbringenden Geschossen umgeschmolzen werden sollte. Hiervon blieben auch unsere Zoppoter Kirchen nicht verschont, und es muss wohl im Hochsommer 1917 (oder gar erst 18) gewesen sein, als die katholische Meeresstern-Kirche zwei von ihren drei Glocken ebenfalls abzuliefern hatte. Ich war damals zwar noch ein kleiner Junge, wohl eben erst schulpflichtig geworden, besinne mich aber dennoch sehr genau auf jenen heißen Sommertag, als man in Zoppot weithin durch die Stadt und viele Stunden lang ohne Unterbrechung die wuchtigen, metallenen Hammerschläge hören konnte, womit die beiden Glocken aus ihrem Glockenstuhl demontiert wurden. Eine einzige nur durfte noch im Turme verbleiben; diese hat dann, einsam und verlassen, vierzehn lange Jahre die Gläubigen unermüdlich zum Gottesdienst gerufen - bis endlich im Spätsommer 1931 das Geläute wieder vollständig war. Der Krieg war damals schon längst vergessen, und wir lebten alle wieder im tiefsten Frieden.

    Die beiden evangelischen Kirchen von Zoppot (die Erlöserkirche in der oberen Seestraße am Marktplatz sowie die Friedenskirche im Südpark) hatten schon wenige Jahre vorher - 1924 oder 1925 - ihr vollständiges Geläute wieder erhalten, und so war es durchaus verständlich, dass auch die katholische Kirchengemeinde mit der Wiederbeschaffung neuer Glocken nicht zurückstehen wollte. Jahrelange Kollekten, immer wieder unermüdlich angeregt durch den damals amtierenden Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde, Arthur Schultz, sowie anderweitige freiwillige Spenden und sonstige Gelder waren die finanzielle Grundlage, um endlich zwei neue Glocken zum Guss in Auftrag geben zu können. Diese beiden sollten aber größer sein als die während des Krieges abgelieferten. Dabei stellte sich nun heraus, dass für größere Glocken der bisherige Glockenstuhl jedoch zu klein, d. h. weder weit noch hoch genug, war. So wurden Fachleute herangezogen, die prüfen sollten, wie der notwendige Umbau des Glockenstuhles und gegebenenfalls auch des Kirchturmes zu erfolgen habe. Mit Beginn des Jahres 1931 waren die Pläne hierfür fertig. Danach war ein ganz neuer Glockenstuhl zu bauen, der um einiges höher und weiter sein musste als die bisherige. Der schlanke, achteckige und mit Schiefer gedeckte Turmhelm hatte allein die respektable Höhe von 18 Metern, während sein unterster Durchmesser im Achteck ganze fünf Meter betrug.

    Ganz sicher wäre es einfach gewesen, den gesamten Turmhelm abzureißen und nach der Montage des neuen Glockenstuhls wieder neu zu errichten. Dennoch hatte man sich hier für den weitaus schwierigeren Weg entschieden, d. h. man wollte den Turmhelm nicht demontieren, sondern ihn einfach als Ganzes um drei Meter emporheben. Ingenieure der Danziger Werft hatten die Umbaupläne entworfen und auch mit aller gebotenen Sorgfalt die statischen Berechnungen durchgeführt; ihnen wurde danach denn auch die Bauleitung übertragen. Der neue Glockenstuhl wurde ebenfalls von der Danziger Werft erbaut, und auch die zwei neuen Glocken wurden dort zum Guss in Auftrag gegeben. So konnten die Umbauarbeiten am Turm beginnen.

    Ihre Durchführung wurde der alteingesessenen Zoppoter Baufirma Johannes Suhr, Maurer- und Zimmermeister, in der Danziger Straße in Zoppot übertragen. Ferner war in erheblichem Maße die Zoppoter Bau- und Kunstschlosserei Paul Pipka beteiligt (Rickertstraße), so dass hier eine echte Baugemeinschaft an dem einmaligen Werke tätig war. Zunächst jedoch waren für die bevorstehenden Arbeiten umfangreiche Sicherungsmaßnahmen zu treffen - befand sich der Glockenstuhl im Turm doch in einer Höhe von 30 Metern. Die Gottesdienste sollten und mussten während der gesamten Umbauzeit weiterhin abgehalten werden; das waren wochentags regelmäßig drei, sonntags am Vormittag vier und am Nachmittag noch einer. Und alle waren sie immer so zahlreich besucht, dass unsere Meeresstern-Kirche vor allem am Sonntagvormittag ständig überfüllt war.

    Wir erinnern uns, dass die Zoppoter katholische Kirchengemeinde damals rund 10.000 Seelen zählte, aber nur diese eine, viel zu kleine Kirche hatte - die denn auch von allem Anfang an immer nur als Notkirche betrachtet wurde. Schon sehr frühzeitig hatte man darum im Pfarramt und in der Gemeinde die Absicht, eine neue, sogar zweitürmige Kirche zu bauen. Der Entwurf dieser neuen Pfarrkirche mit den zwei Türmen war (in doppelter Ausfertigung) als saubere Federzeichnung und ansprechend gerahmt viele Jahre oder gar Jahrzehnte lang an zwei der letzten hölzernen Pfeiler im rückwärtigen Kirchenschiff zur allgemeinen Ansicht ausgehängt. Darunter befand sich je ein Opferstock mit der Aufschrift: „Für unsere neue Kirche!“. Später wurde auch noch ein „Katholischer Kirchenbauverein Zoppot“ ins Leben gerufen. Dennoch ist es aber zum Bau einer neuen Kirche nie gekommen. So strömten die katholischen Gläubigen aus der ganzen Stadt denn immer nur in diese eine Kirche an der Schulstraße, wobei viele einen recht weiten Weg hatten. Sie kamen von Schmierau im oberen Süden von Zoppot und von Mariental im oberen Norden; sie kamen aus den Straßen der Unterstadt, die nach der einen Richtung bis über den alten Manzenplatz hinausreichte und nach der anderen bis zur Fischerkolonie, und schließlich kamen sie von den Straßen und Alleen am Zoppoter Waldesrand im Westen bis hinauf zum Schidlitzkegel. Sie alle gingen in die eine „Notkirche“ zwischen der Schulstraße hinter dem Zoppoter Rathaus und der Haffnerstraße. Viele fanden bei den sonntäglichen Gottesdiensten keinen Platz mehr, mussten draußen bleiben und konnten dem Gottesdienst - mehr oder weniger andächtig - nur durch das (im Sommer) weit geöffnete Hauptportal folgen. Die kleine Maria-Himmelfahrts-Kapelle in der Nordstraße gegenüber dem Kasino-Hotel war keine Entlastung, da sie ja nur wenige Besucher aufnehmen konnte.

    Ein kurzes Wort über diese Kapelle mag hier am Platze sein. Bis zum Jahre 1899 war das kleine Zoppot weder Kuratie noch eigene Pfarrei, sondern war kirchlich nach Oliva eingemeindet. Zwar bestand in jenen Jahren schon die kleine Kapelle in der Nordstraße; sie war eine private Stiftung der Zoppoter Geschwister Karpinski. Hier fanden zunächst aber noch keine regelmäßigen Gottesdienste statt, sondern nur ab und zu kam an Sonntagen ein Geistlicher von Oliva herüber. In den Sommermonaten dagegen, wenn ortsfremde Geistliche in Zoppot zur Erholung weilten und in dieser kleinen Kapelle zelebrierten, waren die Gottesdienste häufiger. Sonst aber gingen die Zoppoter pflichtgemäß zum sonntäglichen Hochamt in die Klosterkirche nach Oliva. Erst im Jahre 1899 wurde die Zoppoter katholische Gemeinde eigene Kuratie, wobei die Maria-Himmelfahrts-Kapelle in der Nordstraße nun Kuratiekirche wurde. Der erste Kuratus, der die noch kleine Gemeinde seelsorglich betreute, war Dr. Kreft. Zwei Jahre später, nämlich 1901, wurde dann die inzwischen erbaute Maria-Meeresstern-Kirche konsekriert. Kuratus Dr Kreft blieb auch hier noch kurze Zeit tätig, bis sein Nachfolger Arthur Schultz kam. Dieser betreute die Gemeinde zunächst ebenfalls als Kuratus, später als Pfarrer bis kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges. Er starb dann und wurde auf dem Zoppoter Marienfriedhof beigesetzt.

    Später in den zwanziger Jahren war die Maria-Himmelfahrts-Kapelle in der Nordstraße sozusagen das eigene Gotteshaus für den im Ruhestand lebenden Pfarrer Dr. Georg Behrendt, der dort regelmäßig sowohl wochen- als auch sonntags die Gottesdienste abhielt - bis zu seinem Tode im hohen Alter von fast 80 Jahren. Er wurde ebenfalls auf dem Friedhof im Zoppoter Mariental bestattet, in unmittelbarer Nähe des großen Friedhofkreuzes. Der alte geistliche Herr galt in Zoppot als großer Gelehrter und war eine stadtbekannte und originelle Persönlichkeit. In den letzten Jahren vor seinem Tode hat er im Hause Schulstraße 5 gewohnt (Ecke Schwedenhofstraße gegenüber dem Postamt). In demselben Hause wohnte im Parterre auch der ebenfalls im Ruhestande lebende geistliche Schulrat und Prälat Jablonski, der bis zu seinem Tode Hausgeistlicher bei den Zoppoter Grauen Schwestern in der Rickertstraße war und sich in beneidenswert körperlicher und geistiger Rüstigkeit auch noch immer in der Seelsorge der Pfarrkirche betätigte. Wenn ich mich recht erinnere, ist der ehrwürdige Herr 93 Jahre alt geworden.

    Um das Jahr 1900 (während der Amtszeit von Pfarrer und Dekan Paul Schütz) entstand in der oberen Frantziusstraße in Zoppot noch ein weiteres kleines Gotteshaus, die St.-Michaels-Kapelle, die aber auch nur eine sehr begrenzte Anzahl von Besuchern aufnehmen konnte und darum zu keiner Zeit eine spürbare Entlastung der Pfarrkirche an der Schulstraße gewesen ist. Und ebenso konnte auch die auf dem katholischen Friedhof befindliche Leichenhalle, wo öfters sonntägliche Gottesdienste stattfanden, nur eine recht kleine Besucherzahl einlassen, über dem Portal der Leichenhalle befand sich übrigens eine biblische Halbrelief-Darstellung, künstlerisch ausgeführt von dem Zoppoter Bildhauer Panitz. Diese katholische Leichenhalle wurde nach dem ersten Weltkrieg während der Amtszeit von Pfarrer Arthur Schultz erbaut. Vorher hatte nur der auf der anderen Straßenseite (es war die Großkatzer Straße in Mariental) gelegene evangelische Friedhof eine Leichenhalle, die aber auch für die Verstorbenen katholischer Konfession in Anspruch genommen wurde.

    In die Amtszeit von Pfarrer Schultz fällt auch die Errichtung einer kleinen Taufkapelle, die im Sommer 1925 an das südliche Kirchenschiff der Maria-Meeresstern-Kirche angebaut wurde. Die hierzu notwendigen Arbeiten wurden von den Mitgliedern der Standesvereine (Arbeiterverein, Gesellenverein, Jungmännerverein) ehrenamtlich, d.h. ohne Bezahlung nach Feierabend ausgeführt. Die Taufkapelle war gerade so groß, dass außer dem Taufstein noch ein Altar darin Aufstellung finden konnte, an dem gelegentlich auch zelebriert wurde. Dieser Altar wurde damals in kunsthandwerklicher Arbeit von der Bau- und Möbeltischlerei Reinhold Frieböse, Danziger Straße 69a, angefertigt, wo mein Vater in jener Zeit lange Jahre als Werkmeister tätig war, ehe er sich als Tischlermeister selbständig machte. In dem unteren Teil des Altars, d.h. unter dem Altartisch, wurde alljährlich in den Kartagen vor Ostern das „Heilige Grab“ dargestellt - so wie die katholische Liturgie der Karwoche es vorschreibt. In der neuen Taufkapelle wurde auch jedes Jahr die neue große Weihnachtskrippe aufgestellt, die die gesamte Breite der Kapelle einnahm und die ebenfalls eine sehr ansprechende, kunsthandwerkliche Arbeit der Tischlerei Frieböse war. Die Zoppoter, vor allem die Bewohner der Oberstadt, werden sich erinnern: Die breite Auffahrt zur Tischlerei Frieböse (diese war mit ihren vier Stockwerken, dem ausgedehnten Holzlager und den Büroräumen damals die größte in Zoppot) lag genau zwischen der Bäckerei Foth und der Kohlenhandlung Burke (oder Buhrke?) in der südlichen Hälfte der Danziger Straße. Als letztes sei hier aus der Amtszeit von Pfarrer Arthur Schultz noch die Errichtung des eindrucksvollen Marienmonumentes in Zoppot-Mariental erwähnt, das dort genau an der Straßengabelung Großkatz/Koliebken aufgestellt war. Es trug oben in großen goldenen Lettern die Aufschrift: „Ave, maris Stella!“, auf deutsch: „Meerstern, sei gegrüßt!“ (Hierüber konnte der Verfasser des vorliegenden Berichts bereits in „Unser Danzig" in der Ausgabe vom 18./19. Juni 1960 in Wort und Bild genauere Angaben machen.)

    Die Pfarrkirche Maria-Meeresstern in der Schulstraße war als „Notkirche“ für die 10.000 Seelen der Zoppoter Gemeinde also ständig überfüllt, und darum waren bauliche Sicherungsmaßnahmen während der Umbauzeit am Kirchturm in besonders hohem Maße erforderlich und geboten, da niemand zu Schaden kommen durfte. Hier schalteten sich denn auch polizeilich-pflichtgemäß sofort von Anfang an das Gewerbeaufsichtsamt sowie die zuständige Berufs- und Unfallgenossenschaft ein, die zunächst die handwerklich-bauliche Leistungsfähigkeit der ausführenden Baufirmen überprüften und danach während der gesamten Bauzeit die Unfall-Schutzmaßnahmen laufend kontrollierten.

    So wurde denn der Kirchturm eines Tages rundum eingerüstet - nur nicht der spitze Turmhelm, der ja gehoben werden sollte. Die erforderlichen Baumaterialien wurden laufend mit einer elektrischen Bauwinde bis auf das obere Podest emporgehievt. Dies obere Podest mit den hohen Spitzbogen-Schallfenstern - wie lebhaft wird es mir immer in Erinnerung bleiben! Wenn ich dies heute nach rund 45 Jahren niederschreibe, muss ich daran denken, wie wir Ministranten der Jahre 1920 bis 1924 uns damals oft genug ein ganz besonderes Vergnügen daraus machten, hinaufzuklettern, um stehend oder meistens doch lieber sitzend nur etwa zwei Meter über unseren Köpfen die damals noch einzige Glocke läuten zu sehen und vor allem aus allernächster Nähe auch zu hören - dort oben so laut drohend, dass wir acht- bis zwölfjährigen Jungen uns in dem ganz schön vibrierenden Turm irgendwo festhalten und uns auch die Ohren zustopfen mussten, was in uns jedesmal ein gruselig-prickelndes Gefühl hervorrief. Bei solchen Gelegenheiten ließen wir uns die herrliche Aussicht von dort oben auf die Zoppoter Unterstadt mit Kurgarten und Seesteg und weiter auf unsere Danziger Bucht mit Blick bis nach Heia selbstverständlich nie entgehen. Es war jedesmal ein herrliches Erlebnis!

    Hier oben also wurde das erforderliche Baumaterial gelagert, und das fromme Werk konnte beginnen. Und es begann unter des Gesellenvaters Adolf Kolping betendem Geleitwort: „Gott segne das ehrbare Handwerk - Gott segne es!“ Der 18 Meter hohe, schiefergedeckte Turmhelm wurde zunächst ganz vorsichtig aus seiner Verankerung gelöst. Vorher jedoch hatte man schon an den zuständigen Haltepunkten acht neue Anker angebracht (der Turmhelm war achteckig), nämlich armdicke Rundeisen sowie Ketten, die den Helm über eine entsprechende Anzahl von Winden über der gemauerten unteren Turmhälfte sozusagen in der Schwebe halten sollten - zunächst im ersten Arbeitsgang jedoch nur geringe 50 Zentimeter hoch. Diese Arbeit wurde von Schlossermeister Pipka und seinen Mannen ausgeführt mit großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit; denn der sozusagen nicht mehr sicher auf den Beinen stehende Turmhelm musste unbedingt gefeit sein gegen alle Winde und Stürme, die an manchen Tagen doch recht heftig von Nordwesten her, d. h. aus der Richtung Putzig-Adlershorst nach Zoppot herüberbliesen.

    Mit hydraulischen Winden also wurde nun der Turmhelm ganz sachte um zunächst nur 50 cm hochgezogen und dabei gleichzeitig durch T-Träger, Kanthölzer und Bohlen unterbockt. Dies war jetzt die Arbeit der Firma Johannes Suhr. Die Ankerwinden arbeiteten in feiner Präzision mit, um nach dem Unterbocken den Turmhelm wieder sicher zu halten. Danach traten nun die Maurer derselben Firma Suhr in Aktion. Mit Hartbranntsteinen (Klinker) und einem Spezialzement (Schnellbinder) mauerten sie diesen ersten halben Meter zu. Dieser Arbeitsvorgang wiederholte sich danach in genau derselben Reihenfolge noch fünf Mal hintereinander, wonach der Turmhelm jedesmal um 50 cm höher in die Lüfte emporragte, bis er schließlich im Laufe der Wochen um insgesamt drei Meter gehoben war und die neue Glockenstube somit ihre erforderliche Höhe erreicht hatte, um den neuen Glockenstuhl aufnehmen zu können. Dessen Montage wurde von Fachleuten der Danziger Werft durchgeführt. Der Glockenstuhl hatte zwei Bühnen, d.h. zwei Etagen; in der unteren wurde die große Glocke eingebaut, in der oberen die zwei kleineren.

    Bei den damaligen Umbauarbeiten wurde kurz vor deren Fertigstellung von dem eingerüsteten Kirchturm auch ein Foto gemacht, das aus unserer Heimat hinübergerettet wurde und bis heute erhalten blieb. Es wurde seinerzeit vom sogenannten „Rathausgarten“ aus aufgenommen. Wir erkennen darauf im Vordergrund die Holzbaracke, in der in jenen Jahren die Dienststellen der Zoppoter Kriminalpolizei untergebracht waren. Der Rathausgarten dürfte allen Zoppotern noch in recht guter Erinnerung sein. Es war eine immer vorbildlich gepflegte, mit Sträuchern und Blumen bestandene Grünanlage, in deren Mitte sich das schöne Zoppoter Rathaus befand, das an die Schulstraße angrenzte. In unmittelbarer Nachbarschaft lag nach Norden das Kirchengrundstück der Zoppoter katholischen Pfarrgemeinde, während nach Süden ein ziemlich ausgedehnter Park gelegen war, der die „Villa Herbst“ umgab.

    Da das Rathaus sich auf der Nahtlänge zwischen Ober- und Unterstadt befand, war es auch von beiden Stadtteilen her zugänglich: Für die Oberstadt von der Schulstraße, für die Unterstadt von der Haffnerstraße her. Von dieser musste man zum Rathausgarten eine lange, aus mehreren Absätzen bestehende Treppe emporsteigen, unter den alten und darum auch schon sehr hohen Buchen des Zoppoter „Wäldchens“, woher denn auch die an dieser Stelle in die Haffnerstraße einmündende „Wäldchenstraße“ - direkt vom Südstrand (Villa Basner) herkommend - ihren Namen hatte. War nun die letzte Treppenstufe zum Rathausgarten erreicht, so erblickte man gleich rechts, sozusagen in der Ecke, die rotbraune, lange Holzbaracke der Kriminalpolizei. Dabei hatte man immer das Empfinden, dass sie in diese Umgebung nicht hineingehörte und den so schönen Rathausgarten irgendwie als Fremdkörper geradezu verschandelte. Der Grund für die unpassende Errichtung der Baracke gerade an dieser Stelle mag jedoch der gewesen sein, dass die Kriminalpolizei ihre Diensträume in unmittelbarer Nähe der städtischen Ordnungspolizei haben wollte, die damals noch im Erdgeschoss des Rathauses amtierte. In den Kellerräumen dort befand sich übrigens auch das Polizeigefängnis, über das zu jener Zeit der Zoppoter Polizeimeister Rind die Aufsicht führte. Aus meiner Kinderzeit erinnere ich mich, dass wir in Zoppot auch noch nach dem ersten Weltkrieg die „Blaue Polizei“ hatten: Blauer Waffenrock, lange schwarze Hose mit roter Biese, langer Säbel und Pickelhaube. Der in der Zoppoter Südstraße in unmittelbarer Nähe meines Elternhauses wohnende „blaue Polizist“ namens Bock (mit Spitzbart) hat uns Kindern oft genug Angst und Schrecken eingejagt, hieß es doch immer: „Paß op, de Schien kemmt!“ Gewissermaßen aus Rache dafür nannten wir den alten Bock unter uns immer nur den „Ziegenbock“. Später in der Freistaatzeit kam dann die Danziger Schupo in der hellgrünen Uniform mit Tschako, Ledergamaschen, Gummiknüppel und Pistole.

    Bei der Erwähnung des Polizeimeisters Rind fällt mir ein, dass es in jenen Jahren in Zoppot auch eine aus drei Mann bestehende und sehr beliebte „Konzert- und Tanzkapelle Rind“ gab. Das waren die Söhne des biederen Polizeimeisters, die in den Zoppoter Konzert- und Tanzcafes spielten, z. B. im Cafe Ek-ker in der unteren Seestraße, oder im „Holländischen Garten“ (kurz genannt „Holländer“) zwischen Südbad und Hotel „Miramare“. Sie spielten auch bei den traditionellen Gänseverwürfelungen, etwa im Restaurant „Zum goldenen Anker“ (Besitzer zuletzt Kurt Ewald) im Hause Südstraße Nr. 54, wo meine Eltern damals zwei Treppen hoch ihre Wohnung hatten und wo sämtliche Mieterparteien, sechs an der Zahl, wegen der „Gänseverwürfelungsmusik“ bis in die frühen Morgenstunden hinein oft genug auch nicht den leisesten Schlaf finden konnten. Nicht zuletzt war die „Kapelle Rind“ auch immer bei den verschiedensten Veranstaltungen der Zoppoter Vereine gefragt. Auf den überall ausgehängten Plakaten war dann immer angekündigt: „Zum Tanz spielt die beliebte Kapelle Rind!“" Was die alten Zoppoter sind, so werden sie sich gewiss noch darauf besinnen.

    Die Dienststellen der Zoppoter Ordnungspolizei sind später vom Rathaus in die Gerichtsstraße verlegt worden, und zwar in das Gebäude des ehemaligen Zoppoter Gerichtsgefängnisses. Dieses wurde eines Tages aufgelöst, und die Zoppoter Strafgefangenen wurden von da an zur Verbüßung ihrer Strafen nach Danzig-Schießstange verbracht. Somit war das ehemalige Gerichtsgefängnis für anderweitige Zwecke frei, und hier hinein wurde nun (nach entsprechendem Umbau) außer der Zoppoter Ordnungspolizei auch gleichzeitig die bis dahin in der Baracke im Rathausgarten untergebrachte Kriminalpolizei verlegt. Danach endlich konnte die störende Holzbaracke abgebrochen werden, und dort, wo sie bis dahin hatte stehen müssen, durfte es von nun an grünen und blühen - zur Freude aller, die hier täglich vorbei mussten.

    Im Zuge der Umbauarbeiten an der Erhöhung des Kirchturmes wurde die Pfarrkirche Maria-Meeresstern nun auch gleich mit neuen Blitzableitern versehen. Hierbei trat eine weitere in Zoppot sehr angesehene Firma in Aktion, damals allen Zoppotern wohlbekannt und gewiss auch noch heute in guter Erinnerung: Es war die Firma Arno Bielefeldt in Zoppot, Am Markt 3, Elektrofachgeschäft und Spezialfirma für Blitzableiterbau. Mit dieser Firma, die in Zoppot bereits seit dem Jahre 1904 existierte, ist der Verfasser in zweifacher Weise verbunden: Erstens war der jüngere Sohn der Firma - Erwin Bielefeldt - viele Jahre lang mein Mitschüler am Zoppoter Realgymnasium; in den letzten Februartagen des Jahres 1930 haben wir dort gemeinsam in Abiturnöten geschwitzt. Ich erinnere mich dieses lieben Klassenkameraden in ganz besonderem Maße wegen seines immer fröhlichen Wesens; in der Oberprima saßen wir ein ganzes Jahr lang in derselben Tischreihe. Leider weilt der „kleine Bielefeldt“ heute nicht mehr unter den Lebenden; 1951 ist er bei Würzburg verstorben. Die zweite Verbindung zu der Firma Arno Bielefeldt hatte ich damals viele Jahre lang durch meinen Bruder Gerhard, der nach seinem „Einjährigen“ an der Zoppoter Mittelschule das Elektrofach in der Firma Bielefeldt erlernte und dort auch während der Zeit des Umbaus am Kirchturm noch als Elektromonteur tätig war.

    Von den damaligen Blitzableiterarbeiten am Kirchturm konnte als bleibende Erinnerung ebenfalls ein Foto gerettet werden. Aus luftiger Höhe von ganz oben herab, wo das lange Blitzableiterseil am Kreuz auf der Kirchturmspitze angeschlossen war, freut sich mein Bruder Gerhard seines damals noch so jungen Lebens (heute ist er inzwischen schon ehrbarer Großvater geworden), während mehr am Fuße des Turmhelms der Obermonteur der Firma Bielefeldt, Franz Karschnik, zu sehen ist. Dieser wohnte damals in Zoppot, Südstraße 26, und war schon seit dem Jahre 1919 bei der Firma tätig. Heute weilt der „kleine Karschnik“, wie er in Zoppot immer genannt wurde, schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Wie so viele andere wurde auch er nach dem Einmarsch der Russen in Zoppot nach Sibirien verschleppt und ist dort 1945 an den Folgen der erlittenen Strapazen verstorben. Der andere Blitzableiterbauer, mein Bruder Gerhard, früher wohnhaft in Zoppot, Friedrichstraße 8, lebt heute mit seiner Familie in Köln und ist dort in einem großen Chemischen Werk als Elektromeister tätig.

    Während der Zeit der Umbauarbeiten am Kirchturm ging nun auch der Guss der beiden neuen Glocken seiner Vollendung entgegen. Schließlich war es soweit, und die Glocken wurden von der Danziger Werft nach Zoppot transportiert und fanden vor dem Hauptportal der Meeressternkirche Aufstellung zur Glockenweihe. Diese wurde von dem damaligen ersten Bischof des Danziger katholischen Bistums, Eduard Graf O'Rourke, vollzogen; für die katholische Kirchengemeinde war das ein lange erwarteter und festlicher Tag. Nach der Weihe dauerte es dann nur noch kurze Zeit, bis alle drei Glocken in dem neuen und hohen Glockenstuhl montiert waren. Und wenn schon das mehrmalige Probeläuten jeder einzelnen Glocke nach deren Montage ein kleines Erlebnis für sich war, so wird das erste Zusammenklingen des neuen Geläutes an jenem Spätsommertag des Jahres 1931 allen Zoppotern, die es damals hören konnten, wohl immer unvergesslich bleiben. War dies Erlebnis doch wie eine freudige Wiederbegegnung treuer Freunde nach vielen langen Jahren zwangsläufiger Trennung!

    In den Jahren danach kamen unsere neuen Glocken dann immer noch zu einer ganz eigenen Art der Wirkung, und zwar in der Christnacht von genau halb bis dreiviertel zwölf. Die drei Glocken waren nämlich so abgestimmt, dass durch einzelnes Anschlagen die ersten vier bzw. acht Töne unseres Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige Nacht...“ erklingen konnten - und so erklangen sie denn auch „alle Jahre wieder“ eine Viertelstunde lang und waren weithin durch die weihnachtlich-nächtliche Stille der Stadt zu hören. Währenddessen machten die Zoppoter katholischen Gläubigen sich aus allen Stadtteilen durch das Dunkel der Winternacht auf den Weg zur Christmesse, die um 24 Uhr beginnen sollte. Inzwischen wurde es dreiviertel zwölf, und wenn da das feierliche Geläute aller drei Glocken einsetzte, musste man sich schon sputen, wenn man überhaupt noch in die Kirche hineinkommen wollte; denn nie im Laufe des Jahres war unsere Meeressternkirche so überfüllt wie am Heiligen Abend in der Christmesse um Mitternacht und genauso auch zu Ostern um 5 Uhr morgens bei der Auferstehungsmesse.

    Ich weiß heute nicht mehr genau, wer damals den schönen Brauch eingeführt hat, in der Christnacht das „Stille Nacht, heilige Nacht“ durch unsere Glocken anstimmen zu lassen. Da tauchen im Gedächtnis mehrere vertraute Namen und Persönlichkeiten auf, die es gewesen sein könnten: Vielleicht war es der damalige Pfarrer Arthur Schultz, der - musikalisch sehr begabt - nicht nur Klavier, Harmonium und Geige spielte, sondern auch voller Begeisterung seine silberne Trompete blies; vielleicht war es sein damaliger erster Vikar Max Wiese (mein unvergessener Religionslehrer am Zoppoter Realgymnasium von 1921 bis 1930), der ihm an Musikalität um nichts nachstand und ebenfalls mehrere Instrumente beherrschte; vielleicht war es auch der langjährige und überaus hochbegabte (blinde) Organist unserer Meeressternkirche, Franz Marwinski (später Marwein), den ich ganz persönlich für den am meisten befähigten aller Organisten halte, die mir je in meinem Leben irgendwo begegnet sind. Er weilt nun auch nicht mehr unter den Lebenden; am 11. Mai des Jahres 1960 ist er im Krankenhaus zu Rottenburg am Neckar im 74. Lebensjahr verstorben. Früher in Zoppot hatte er seine Wohnung in der Eissenhardtstraße Nr. 14; später, nach der Vertreibung, wohnte er in Hirrlingen (Kreis Tübingen). Und schließlich kann für den weihnachtlichen Brauch noch einer in Frage kommen, der aber durchaus nicht der Geringste war - im Gegenteil. Und das war der in Zoppot überall gut bekannte und geachtete Konrektor Adalbert Zelasny, der damals viele Jahre lang an der Pestalozzischule in Zoppot (bei der Kleinen Unterführung) als Lehrer tätig war. Auch er spielte im musikalischen Leben unserer Heimatstadt eine tragende Rolle. War er es doch, der alljährlich ab März/April in der Aula unseres Realgymnasiums die Chöre der Waldoper einstudierte und sie infolge seiner grandiosen Begabung als Chordirigent zu einer solchen künstlerischen Reife brachte, dass die Dirigenten der Zoppoter Waldoper die Chöre einfach nur zu übernehmen brauchten. Derselbe Adalbert Zelasny war in jenen Jahren auch der Dirigent des Kirchenchores der Zoppoter katholischen Kirche (der Chor hatte den Namen „Cäcilienverein"), und darum mag vielleicht auch von ihm die Anregung gekommen sein, in der Christnacht das „Stille Nacht" durch unsere Glocken anstimmen zu lassen. Ich selbst werde diesen begabten Musiker, der ein Kollege von mir war und den ich darum gut kannte, auch wegen seiner hohen menschlich-charakterlichen Qualitäten immer in bester Erinnerung behalten.

    Was gäben die alten Zoppoter doch heute darum, wenn sie noch einmal das vertraute Glockengeläut der Meeressternkirche hören könnten, wie es sie wieder zum Gottesdienst ruft! Und wie ganz besonders würde es ihre Herzen rühren, wenn ihr melodisches Glockenspiel noch einmal in der Christnacht, wie ehedem so viele Jahre hindurch, das „Stille Nacht, heilige Nacht“ anstimmen könnte - für uns, die alten Zoppoter, während wir durch die vertrauten Straßen wieder zur Christmesse gehen - in verschneiter und eisiger Winternacht! Wir wollen versuchen, daran zu glauben und die Hoffnung darauf niemals aufzugeben!

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    Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

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