Aus „Unser Danzig“ Nr. 17 vom 05.09.1964, Seite 10

Der Knospenball
Eine sommerliche Erinnerung aus Zoppoter Tagen
Von Harry Kohn

Wie in jedem Jahr so rief gewiss auch diesmal der Juli in jedem alten Zoppoter wehe, wenn auch liebenswürdige Erinnerung wach. War der Monat Juli doch, und nicht nur für den Kurgast, ein Monat der Erwartungen, der Überraschungen, der Lebensfreude. Am 1. Juli wurde die Hauptsaison eröffnet; die herrlichen Konzerte, den „Großen Donnerstag“ mit seinem Blumenkorso und dem Riesenfeuerwerk und die Waldoper - alle diese Schöpfungen der Schönheit und des Geistes hatte der Monat in seinem Gefolge. Das Realgymnasium Zoppot, auf dem ich von Sexta bis zum Abitur treu „diente“, aber hatte eine strenge Hausordnung, die uns Pennälern für manche sommerlichen Freuden strenge Beschränkungen auferlegte. Besonders vor den großen Sommerferien wurden die Bestimmungen und Verbote, die sich auf Einrichtungen und Veranstaltungen der Öffentlichkeit bezogen, nochmals vom Klassenlehrer eindringlich vorgelesen. Da gab es Konditoreien, die nur (wie es so schön hieß) in Begleitung der Eltern oder deren Stellvertreter besucht werden durften. Von den wenigen, die nicht unter dieses Tabu fielen, ist mir die prachtvolle Konditorei Baranski in der Südstraße, in der ich noch bis kurz vor meiner Auswanderung meinen Kaffee mit einem Riesenstück Torte genoss, bis heute unvergessen. Der Kurgarten durfte nach acht Uhr abends auch nur in entsprechender Begleitung betreten werden, und es gab noch so manches andere, das dem heranwachsenden Schüler wohl zu streng erschien. Ob wir alle diese Verbote auch hielten, war eine andere Frage. Berechtigung hatte jener Zwang schon; denn wie hätte sich ein Schüler auf seine Arbeit konzentrieren können, wenn er überall bei dem internationalen Kurleben unserer Heimatstadt dabei gewesen wäre?

Für eine Veranstaltung der Kurverwaltung gäbe es kein ausdrückliches Verbot: den Knospenball! Jeden Sonnabend, wohl vom Jahre 1923 ab, von Ende Juni bis Anfang August, gab es einen richtigen Ball für die Jugend bis zu 18 Jahren. Das war etwas ganz Besonderes. Als ich in der Untertertia saß, gestatteten meine Eltern mir, einen solchen Knospenball zu besuchen, nicht ohne sich vorher an Ort und Stelle überzeugt zu haben, wie kindlich-ehrbar und gesittet es dort zuging. Also, auf in den „Roten Saal“ des Kurhauses! Beginn des Balles 4 Uhr nachmittags. Zu dieser Zeit war der Saal schon fast bis auf den letzten Platz besetzt. Jeder musste an einem weiß gedeckten Tisch Platz nehmen, und ein „Gedeck“, d.h. ein Kännchen Schokolade und zwei Scheiben Kuchen, Preis ein Danziger Gulden, bestellen. Stimmengewirr, Lachen, aber auch erwartungsvolles Schweigen ...

Dann plötzlich ein donnerndes Getöse, Hämmern, Pauken, Klirren, was mich noch heute an ein paar Schiffsmotoren erinnert, die zur gleichen Zeit losgehen. Daraus schwang sich so allmählich eine Melodie eines jener damaligen Schlager, die wir ja alle kannten. Eine Jazzband, es war wohl die erste, die in Zoppot spielte, tat ihr Werk. Es war die Kapelle Primo Galante, deren grauhaariger Maestro unermüdlich spielte und sang. Aber Tanzen? Das war nun schon ein ander Ding. Jedoch, nicht lange geziert; eine Verbeugung vor irgendeiner zierlichen Badegastin (wie man es lange genug vorher zu Hause vor dem Spiegel geübt hatte) und, nolens, volens, in einem selbst erfundenen Rhythmus darauf losgehopst. Die schönen, weißen Tanzschuhe der kleinen Partnerin sahen denn auch bald danach aus! Aber es muss zugegeben werden, es gab auch eine Anzahl wirklicher kleiner Tänzer, die sich zum kindlichen Neide vieler, sehr selbstbewusst und taktfest auf dem Parkett bewegten. Nur zu schnell verflog die Zeit, gingen die so harmlos-fröhlichen Stunden dahin. Um sieben Uhr erschien ein alter, freundlicher Herr (ich glaube, es war ein Vertreter der Kurverwaltung) und zeigte das Ende des Festes an. Aber leicht hatte er es nicht; immer wieder bestürmte ihn die Jugend, der Kapelle Zugaben zu gestatten, bis dann endlich Schluss sein musste.

Es gab wohl Stimmen in Zoppot, die gegen jenes wirklich harmlose Spiel zu Felde zogen; aber, so sehr sie auch wetterten, die Knospenbälle hielten sich jahrelang. Auch ich besuchte sie so manches liebe Mal, bis auch sie zu dem wurden, was sie mir heute sind: liebevolle Stimmen und verhallende Klänge aus einer glücklichen Jugendzeit.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang