Aus „Unser Danzig“ Nr. 17 vom 05.09.1964, Seite 10

Von Pilzen, Beeren und Kiefernzapfen
Nahrungssuche in den Danziger Wäldern
Von Karl-Heinz Jarsen

Gepflegt und satt durchstreiften wir im Frieden unsere Danziger Wälder. Die säulenschlanken Stämme der Kiefern, die hellgrünen Laubschleier der Birken, das flauschige Moos, die huschenden Sonnenkringel, die Vogelstimmen, der Geruch nach Kien und Harz, das alles erfreute uns.


Im Krieg aber schenkten wir unsere Aufmerksamkeit vor allem den Pflanzen und Früchten, die unseren Hunger zu stillen vermochten und von denen die heimatlichen Wälder strotzten. Mit einem geschliffenen Messer bewaffnet, den Henkelkorb in der anderen Hand, suchten wir Pilze, die wir sonst bei unserer Gemüsefrau oder auf dem Wochenmarkt erworben hatten. Da wir Pilzsucher - außer mehreren Spezialisten - Laien waren, gewannen wir erst allmählich die kräftigen Beine, die scharfen Augen, den guten Riecher und das besondere Talent, also jene Eigenschaften, die jeder besitzen muss, wenn er essbare Pilze finden will.

An Sommertagen, zwischen struwweligen Preiselbeersträuchern und krummen, am Waldgrund trocknenden Kiefernnadeln, erblickten wir Pfifferlinge. Sie sahen wie Hemdenmätze aus, die verschämt eigelbe Hütchen aufhaben. Immer standen sie in Gruppen, in Familien. Hoben wir sorgfältig genug den dunklen, herbduftenden Waldboden ab, konnten wir darunter die weißen Netzfäden der Pfifferlinge sehen. Jene zarten, wohlriechenden Knirpse, mit Kriegsfett und zerhackten Zwiebeln gebrutzelt, schmeckten vorzüglich und - was ja noch wichtiger war - sie sättigten.

Später kamen die Blutreizker, die aber seltener wuchsen. Parallel zu sonnigen Rasenflächen, nahe bei Walderdbeeren und Blaubeeren, bemerkten wir sie. Sie trugen ein fleischfarbenes, rot geringeltes Hütchen, dessen Krempe nach unten zu eingerollt war. Schnitten wir sie ab, tropfte aus ihrem Fleisch ein rötlicher Saft. Deshalb der Name Blutreizker. Nur wenig Fett im hohlen Stengel oder in den Lamellen und nun rösch gebraten, begeisterten sie unseren durch karge Kost spröde gewordenen Gaumen.

Ende September sammelten wir solche Pilze, die alle Bayern Schwammerl nennen. Nahe den Wegrändern reihten die sich etwas plumpen Butterpilze mit ihren schlüpfrigen, gelbgefütterten Hütchen und den weißen, koketten Halskrausen. Unter manchen Baumrudeln, zwischen Moospolstern, Blaubeerstauden und den Filigranen der Farnkräuter, sprossen die braunköpfgien Halbsteinpilze, auch die Semmelpilze, die ockerfarbene Köpfe hatten. Beim Heidekraut, benachbart von grazilen Birken und jungen Kiefern, wohnten die Graukappen und Rotkappen; helldunkel gefleckt strebten ihre Stiele hoch. Die echten Steinpilze jedoch - aristokratisch und dick-stielig - gediehen nur auf entlegenen Plätzen.

Außer diesen „Nutzbringenden“ gab es ungezählte „Unnütze“. Da leuchteten die roten, gelben und bläulichen Kappen der Täublinge, die drollig-weißen Knollen der Boviste und die großen, geschuppten Schirmpilze. Selbst die „Zweifelhaften“ drängten sich dem Auge auf: die Schwefelschwämme und Teufelspilze, die falschen Reizker und weitere Sorten.

Schmuck, aber giftig prunkten die Fliegenpilze und ihre in gleichem Maße bösen Verwandten, die Knollenblätterpilze. Wir wunderten uns, dass der Schöpfer alles Lebenden ausgerechnet diesen Bösewichtern solch prachtvolle Farben und Formen lieh.

Abgesehen von den Pilzen, die unseren „Kriegs-Speisezettel“ wenigstens den Sommer über bereicherten, trugen wir allerlei Beeren, vor allem Blau- und Preiselbeeren, auch Himbeeren und Brombeeren wurden mitgebracht. Fleißig aufgelesen wurden dazu die Kiefernzapfen zum Heizen. Wenn sie im Ofen brannten, zog ein feiner Harzduft durch das Zimmer, der an den sommerlichen Wald erinnerte.

Die Danziger Wälder halfen unseren Hunger stillen, sie halfen aber auch unsere Wohnung wärmen, früher im Krieg. Daran denken wir ehemaligen Kiefernzapfen-, Pilz- und Beerensammler, wenn wir heute die gekauften, in guter Butter, mit mageren Speckwürfeln und dünnen Zwiebelscheiben gebrutzelten Pfifferlinge genießen und als Nachspeise gezuckerten Preiselbeerkompott naschen.

Ja, daran denken wir jedesmal, wenn es Pilze und Beeren gibt. Auch riechen wir den würzigen, wohltuenden Duft der Heimatwälder und träumen vom Zuhause.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang