Vor hundert Jahren geboren. Marion Gräfin Dönhoff zu Ehren – aus dem Nachruf von Adam Krzeminski in der ZEIT vom 14. März 2002:
Es war ein herzzerreißend rührender Anblick, als die immer zarter wirkende Gestalt der Gräfin am Warschauer Flughafen auftauchte, um – wie jedes Jahr Ende Mai – zur Abiturfeier ins Marion Gräfin Dönhoff-Lyzeum nach Mikolajki (Nikolaiken) zu kommen. Seit Gründung der Schule in den neunziger Jahren, (…), nahm sie ihre Aufgabe ernst, hielt kurze, gestochen formulierte Ansprachen an „ihre“ Abiturienten, gab ihnen ein wenig aufklärerisch-kantianische Zuversicht mit auf den Weg, ermunterte sie zu Selbstdisziplin und Kritikfähigkeit und freute sich, dass in dieser polnischen Provinz eine neue Bildungsstätte gedeiht. (…). Für uns, Marions polnische Freunde, bedeutete es eine symbolische, aber beständige Rückkehr „der Gräfin“ in ihre und unsere Heimat. Doch zugleich war es mehr als eine Rückkehr. Es war Zeichen einer historischen Gemeinsamkeit und einer möglichen und wünschenswerten gemeinsamen Zukunft zweier verschwisterter Völker, die gegenseitiger Groll, Hass und Leid in der jüngsten Vergangenheit einander abspenstig gemacht hatten. (…)
Ein polnisches Gedicht beginnt mit den Worten: Beeilen wir uns, die Menschen zu lieben, sie gehen so schnell von uns“. In ihrem langen Leben hat die Gräfin vielen Menschen die Chance gegeben, sie zu lieben. In Polen schätzte und liebte man sie, weil sie ein Gespür für diese Region hatte, vor allem aber, weil sie so authentisch war, weil es keine Kluft gab zwischen dem, was sie lebte, und dem was sie schrieb. Sie selbst wiederholte oft, die höchste Stufe der Liebe sei, zu lieben, ohne zu besitzen. Sie meinte damit ihre ostpreußische Heimat, die sie nicht nur aus der Ferne weiterliebte, sondern die sie auch mit denen gemeinsam genießen konnte, die heute dort zu Hause sind. (…)
,,,das, was ihre Größe ausmachte, bleibt: so wie die „Namen, die keiner mehr nennt“, nicht nur wieder genannt, sondern auf ewig untrennbar mit ihrem verbunden bleiben werden. Möge es nur nicht an Menschen fehlen, die das Gespür für ihre Art von Größe bewahren.