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Thema: Danzig. Durchs Eis gebrochen

  1. #1
    Gerhard Jeske

    Standard Danzig. Durchs Eis gebrochen

    Gerhard Jeske
    Eisheilige: Durchs Eis gebrochen.

    Dieses Thema bewegte jeden Winter einige Familien. Im Sommer zog das offene Wasser die Danziger Jugend an und im Winter selbstverständlich die zugefrorene Mottlau und andere Eisflächen.
    Es war, ungefähr 1940, da standen auf dem mit Schnee bedecktem Deich auf der Seite von Klein Walddorf am Mottlau – Umfluter, die beiden Brüder Meeske. der eine war 10 Jahre und der andere 11 oder 12 Jahre alt.( Der Name könnte anders geschrieben werden ) Vom Stadtrand, den Wohnhäusern zwischen Lenzgasse und Stiftsgasse, schaute aus einem oberen Stockwerk die Mutter heraus, sah drüben ihre Jungens und rief laut ihnen zu, dass sie zum Mittagessen kommen sollten, Sie forderte die beiden Bowkes auf über die Hühnerbergbrücke zu gehen. Das geschah an einem Sonntag. Die Mutter hörte plötzlich lautes Schreien, und Rufen nach Hilfe. Sie stürzte ans Fenster und sah, wie ihre Buben im eiskalten Wasser plantschten und sich vergeblich an der Kannte des Loches festhalten wollten, Ein Junge kroch über das Eis, ergriff einen von ihnen und brach selbst ein. Unter Wasser entstand nun ein Kampf auf Leben und Tod. Die beiden Brüder klammerten sich an ihn mit der Kraft von Verzweiflung. Der Retter musste mit Gewalt die Brüder abstoßen. Inzwischen war ein Rentner mit einer Holzleiter erschienen. Der schob sich mit der Leiter bis zum Eisloch heran, sodass der verhinderte Lebensretter eine Sprosse greifen konnte und so gelangte er auf die Eisfläche und wurde nun selbst gerettet.
    Trotz des Misslungenen Rettungsversuches wurde dem verhinderten Retter die Rettung – Medaille Verliehen. Hunderte Frauen und Schüler nahmen anschließend an der Beerdigung teil.
    „ Sie sahen aus wie die Engel“ kommentierte meine Mutter den Anblick der beiden toten Brüder.
    „ Das könnte euch auch passieren, passt bloß auf „ meinte sie nicht zu Unrecht, denn mit mir hatte sie schon zweimal solche Erfahrung machen müssen. Glücklicherweise sah ich hinterher immer noch aus, wie ein Danziger Mottlauspucker.

    Und jetzt lesen sie meine eisige Geschichte:

    Ich wurde um 1934 vereist. Da war ich mit drei Jungchen am Leegetor in Danzig auf dem Bootssteeg. Was dann passierte beschreibt meine Kurzgeschichte

    Durchs Eis gebrochen;- Eisheilige—
    Gerhard Jeske copyr.
    Für Siegfried und Heiner Holz, und dem dritten unbekannten Lebensretter
    Es war in den ersten Tagen des Januar 1935. Damals war der Winter milde. Das Hafen¬ Becken am Trumpfturm war nur dünn ueberfroren und eine schmale Schneedecke be¬deckte die Eisflaeche. Die Zeitungen warnten die Bevoelkerung, das Eis zu betreten. Schnee und Eis zog das Jungchen immer magnetisch an. Er konnte an keiner zugefro¬renen Pfuetze vorueber gehen, ohne sie mit den Fueßen zu traktieren oder über sie zu glit¬schen. Als er die drei Jungens, so richtige Danziger Bowkes aus der Nachbarschaft, auf dem Bootssteg sitzen sah, wie sie mit den Hacken auf das Eisschlugen, dauerte es nur eine Minute, bis er neben ihnen saß und mit den Schuhsohlen die Eisflaeche betastete. "Ob die schon halten wuerde?" dachten sie.
    "Mutprobe'" rief jemand. Aber wer wollte der " Erste" sein? Heiner sagte provozie¬rend:
    Wer klein ist bricht nicht ein, der hat ja Federgewicht."
    Erwartungsvoll starrten sie das Jungchen an; der wollte sich nicht lumpen lassen, sprang hoch und rauschend sauste er in die Tiefe. Ein dunkles Loch, aus dem silbriges Mottlau Wasser auf die Eisfläche schwappte, markierte die Stelle durch die er ver¬schwunden war.
    Entsetzt beobachteten die Bowkes das schwankende Wasser, auf dem nun kleine Eis-schollen duempelten. Unbeweglich, wie Eiszapfen, saßen sie auf der Planke.
    Instinktiv hatte das Jungchen die Arme ausgebreitet, die Luftpolster in der Jacke brem¬sten das Absinken. "Wo ist das Loch?" erschrocken riss er die Augen auf und blickte nach oben. Er wusste, wenn er abdriftete und mit dem Kopf gegen die Eisdecke bum¬ste, war er verloren. Hilfesuchend schaute er den aufsteigenden Luftblasen nach, heftig paddelte er sich mit Haenden und Fueßen in die Hoehe. Die aufgeblaehten Hosen unter¬stuetzten den Auftrieb. Über ihn naeherte sich eine gruenlich, milchige Scheibe. Es war das Eisloch. Plaetschernd stieß sein Kopf hindurch. Bis zu den Schultern hob der Auftrieb ihn aus dem kalten Wasser heraus Glitzernd erstreckte sich vor ihm die schneeweiße Fläche. Er prustet das Wasser von den Lippen, holte tief Luft und sank wieder zurueck in die daemmerige Tiefe. Bevor er untertauchte, sah er am Ende des Hafenbeckens die Aschbruecke. Ihm war, wie wenn sie in den blauen Himmel stuerzte.
    Das Gesicht nach oben gewendet, die Augen weit aufgerissen, starrte er das gruenliche Loch an. Seine Arme und Haende bewegte er kreisend vor der Brust und das Wasser mit den Fueßen tretend trieb er hoch. Wieder tauchte er über den Eis Rand auf, über sich er-blickte er den dunklen Bootssteg. Von der Holzbohle rutschten zwei Hände herunter, dazwischen sah er Siegfrieds Gesicht, wie wenn er nach ihm schnappen wollte, so weit hatte er seinen Mund weit aufgemacht- Das Jungchen warf seine Arme über die Eiskannte. Die rettenden Haende waren schon über seinem Kopf', da brach das Eis ab und er versank zum dritten Mal. Schon kroch die Kaelte durch die Haut. Sein Herz klopfte wie wild gegen die Rippen. > Dreimal kommt man hoch und dann ist es vorbei< Wie ein Te¬legramm durchblitzte diese Erinnerung sein Gehirn. Jetzt packte ihn die Angst.> Hoffentlich sind die Jungens nicht weggelaufen. Seine Haende ruderten wild durch das Wasser.
    Wie ein Frosch graetschte er die Beine, durchstieß, vielleicht zum letzten Mal, die Wasser-flaeche. Durch das abstuerzende Wasser sah er zwei Arme, sie bewegten sich wie Zangen gegen seinen Hals, blitzschnell griffen die Haende zu, er spuerte, wie sie sich in seinen Jackenkragen verkrallten. Siegfrieds Gesicht schwebte über ihn.
    :" Ich habe ihn! Haltet meine Beine fest."
    schrie er den anderen zu.
    Und dann warf sich auch Heiner auf die Holzkante, seine Hand fuhr ihm entgegen, das Jungchen umklammerte sie und dann spuerte er, wie sie anzogen, wie er langsam aus dem Wasser heraus gehievt wurde. Als er baeuchlings auf der Bohlenkante lag, japsten sie vor Anstrengung, der dritte Junge ließ Siegfrieds Beine los, kam nach vorne, fasste unter den-Hosenbund und mit einem kurzen Ruck zogen sie das Jungchen auf den Bootssteg. Keu¬chend und prustend erhoben sie sich. Die drei Bowkes klopften und drueckten an seinen Klamotten herum. Durchsichtige Wasserfaeden liefen aus seinen Hosenbeinen heraus und versickerten im Schnee.
    " Los hau ab, lauf nach Hause" befahl Siegfried. Aber das Jungchen lief nur bis zum Bootschuppen und stellte sich dort in die Sonne.
    "Hier trocknet es gleich" sagte er leichthin. Der Schein trog, die Winter -Sonne war zu matt, langsam vereiste der Stoff.
    " Du bekommst die Schwindsucht "sagte Heiner. Mit sanfter Gewalt schob Siegfried das Jungchen zur Straße hin.
    " Wir kommen mit, Deine Mutter wird dich bestimmt nicht verdreschen."
    Widerwillig folgte das Jungchen den beiden Bruedern. Der vierte im Bunde hatte sich schon davon gemacht. Sie tigerten los. Einige Minuten spaeter standen sie vor dem grauen Mietshaus. Vor der Haustuer zerrann Mottlau Wasser, das noch immer aus den Hosenbei-nen sickerte. Das Jungchen zuckte zusammen, der schrille Klingelton erschreckte ihn. Kein Wunder, denn gleich nach dem Fruehstueck hatte seine Mutter ihm verboten, auf das Eis zu gehen. Und er hatte es ihr hoch und heilig versprochen nicht zu tun. Viel zu schnell oeffnete sich die Tuer. Erschrocken schaute seine Mutter auf die nassen Kleider. Aber Heiner kam ihr zuvor,
    "Er ist nur ausgerutscht," schwindelte er. Na, diesmal hat er noch Glueck gehabt-. nun kommt schon rein` und zu ihrem Jungen:" und Du, zieh Dir schnell die kalten Klamotten aus und dann ab ins Bett."
    Ploezlich fing er an zu zittern, nicht mal seine Zaehne konnte er im Zaume halten, die schlugen hoerbar aufeinander. Waehrend er sich in der Kueche entkleidete, nahm seine Mut¬ter das Portemonnaie aus der Tischschublade.
    " Hier, ihr Eisheiligen, kauft euch mal was Schoenes." und dabei drückte sie beiden fuenf Gulden in die Hand. Siegfried und Heiner strahlten. Heute hatte sich zu Leben gelohnt. "Leben und leben lassen!" Das Sprichwort passte jetzt wie die Faust aufs Auge. Lachend und aufgeraeumt stuermten sie aus der Wohnung die Treppen hinunter.
    Viele Jahre waren inzwischen vergangen, aber damals konnte das Jungchen nicht ahnen, dass seine Le¬bensretter bald sterben mussten, und er ihnen ihr Leben nicht retten konnte.
    Siegfried fiel in Russland und Heiner, der huebsche Matrose verlor an der italienischen Küste sein junges leben. kaum achtzehn Jahre war er alt geworden.

  2. #2
    Aussie

    Standard AW: Danzig. Durchs Eis gebrochen

    Lieber Gerhard,
    Was fuer eine ergreifende Geschichte! Wie gut dass Dir das Leben gerettet wurde, sonst waeren Deine damaligen Retter sicher unerkannt und sinnlos gefallen. So setztest Du Ihnen nun ein Monument. Hast Du Deine Geschichten alle in Buchform verfasst? Ich wuerde das Buch gerne kaufen.
    Viele Gruesse aus dem heissen Australien mit 43 Grad Hitze.
    Christa.

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