Aus „Unser Danzig“ Nr. 03 vom 01.02.1957, Seite 18
Traum vom Danziger Winter
Von Heinz Vanselow
Ein Blick zum Fenster am frühen Morgen lässt mindestens 10 cm Neuschnee erkennen. Dazu noch Sonntag, also ein ganzer Tag Freizeit!
Nun geht alles mit Windeseile! Die Ski waren schon am Abend zuvor gewachst. Wie herrlich ist die Welt geworden! Tief verschneit die Bäume und Häuser. Darüber die ersten, glitzernden Morgenstrahlen der Wintersonne. - Schon sind die Skier angeschnallt, beinahe in Schussfahrt geht es die Straße hinunter Richtung Heumarkt. Am Hohen Tor steht schon eine ganze Menge anderer Skihasen und -häschen. Einträchtig stampfend und armeschlagend warten wir auf die Olivaer Bahn. Ab und zu flattert ein gefrorenes „Ski-Heil“ auf, wenn Bekannte sich begrüßen. So verfroren wir durch das Warten auch sind, die Stimmung ist prächtig. Wenn die Skier erst gleiten, wird uns schon wieder warm werden.
Endlich kommt die 2. „Die Skileute in den Anhänger!“ Skileute, der Schaffner ist bestimmt kein „Zünftiger“. „Mensch, hinten ist doch schon alles voll!“ Also doch nach vorne. Der Schaffner fürchtet für seine Scheiben in seinem schönen großen Wagen - der Stolz aller Danziger auf ihre moderne Straßenbahn.
Immer enger wird es in der Bahn. Im Kreuz drückt eine Bindung vom Ski; holt man mal tief Luft, stößt der Deetz bestimmt an einen Skistock. - Kohlenmarkt, Bahnhof, Olivaer Tor, Markt Langfuhr, an allen Haupthaltestellen ist neues Gedränge. Jeder will mit und möglichst schnell im Wald sein. Die meisten fahren bis Friedensschluss, einige bis Oliva.
„Friedensschluss!“ - Endlich ist es geschafft! Skier angeschnallt, und ab geht es. Die „Zünftigen“ ziehen davon, andere „Skihaserl“ machen die ersten, vorsichtigen Schritte. Es dauert auch nicht lange, und die „Badewanne“ ist fertig. - Jede Bahn bringt einen neuen Schub. Doch im Wald verlaufen sich die Massen sehr schnell. Am „Idiotenhügel“ purzelt, lacht und schimpft es durcheinander.
Dann nimmt mich der Wald auf, mit seiner Stille, seinen tiefverschneiten Bäumen und Wegen. Alles ist hinter mir geblieben, der ganze Alltag. Nur meine Bretter gleiten mit mir weiter. Es gibt ja so unendlich viele Wege, Waldschneisen und Ziele, die bequem zu erreichen sind. Für jeden eins: für die Bequemen Freudental oder Strauchmühle. Wer weiter will, richtet die Skispitzen zum Bilderweg bis Zoppot oder zum Großen Stern. Andere fahren, wie gesagt, direkt bis Oliva und laufen an der alten Hammerschmiede (ob sie heute auch noch klopft und rumort?), am Schweizerhaus vorbei nach Freudental. Und hier ist es zumindest am Sonntag zwischen 10 und 13 Uhr immer überfüllt; kaum ein Platz zu finden. Alle Skifahrer treffen sich hier zur Vormittagspause. Vor dem Hause und an seiner Seitenwand lehnen einträchtig die Skier nebeneinander. „Norweger“ neben der besseren Ausgabe von Kistenbrettern. Von Freudental aus findet auch oft der Langstreckenlauf für alt und jung statt. Nach der Hetze bergauf, bergab belohnt durch das großzügig gespendete Glas mit gesüßtem Tee. Idealisten und Skienthusiasten machen sogar bei frostklaren Nächten Vollmondläufe durch den verschneiten Wald.
Noch ein schöner Rücklauf mit einigen „zünftigen“ Schussfahrten bis Friedensschluss, und die Bahn bringt mich wieder nach Hause. Mit wohliger Müdigkeit sinke ich in die Federn. Doch kaum habe ich die Augen geschlossen, geht schon wieder der Wecker. Es kann doch nicht schon wieder Morgen sein? Schlaftrunken wanke ich zum Fenster. Regen klatscht gegen die Scheiben, kahle Äste recken sich mir entgegen. Ach, nun weiß ich es und bin hellwach. Mein schöner Wintersonntaq war nur ein Traum. Erinnerung an schöne, unvergessliche Zeiten und die Heimat. Müde ziehe ich mich an. Langsam steige ich hernach die Treppe hinunter, schlage fröstelnd vor der Haustür den Mantelkragen hoch und spanne den Schirm auf. Dort die Ski, meine guten, vertrauten Kameraden der Winterszeit in der Heimat, hier der unpersönliche Regenschirm! Und doch, es bleiben der Traum und die Erinnerung und helfen über vieles hinweg.
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Wolfgang