Rheinlaender als Schauspielschueler in Danzig
Bericht des Schaupielers Kurt Schmengler. Geb. am 1,05,1919 in Neuwied, gest. am 04.05 1998 in Mainz.
Lieber Gerhard Jeske
Du fragst nach meinen Kenntnissen der Danziger Kulturszene waehrend meiner Theaterzeit dort.
Ich war Anfang 1942 als Marine Schreiber bei der 27. U – Boot Flottille auf einem Minensuchboot in Gotenhafen kommandiert. Der Kommandant,ein ehemaliger Handelsschiffs -Offizier auf dem Grossfrachter Neidenfels, war wie ein Vater zu mir. Er befuerwortete mein Gesuch auf Abkommandierung nach Danzig zur Fortsetzung meines Schauspielstudiums, dass ich in Bremen begonnen hatte. Ich bestand meine Aufnahmepruefung für die staatliche Schauspielschule, die dem Staatstheater angeschlossen war. die befand sich in einer Gasse unmittelbar an der Theater Seiten-Front. Ich kam in eine Klasse mit 14 Schuelern, davon waren 13 Maedchen, und ich als einiger Junge, dazu noch in Uniform. Eine Mitschuelerin hiess Mueller, die Eltern fuehrten eine Gaststaete in Heubude. und dann war da noch Betty Haas, aus dem Fischgeschaeft in Gotenhafen ( so hiess Gdingen damals)
Der Lehrkoerper rekrutierte sich aus Schauspielern,innen und Regisseuren des Theaters.
Vormittags machte ich Schreibstubendienst auf der Schichau-Werft und auch Danziger Werft. Auf der Schichauwerft waren Fremdarbeiter, besser gesagt Zwangsarbeiter, aus verschiedenen Laendern, eingesetzt. Soweit ich mich erinnern kann waren es Franzosen, Maenner und Frauen. Die Maener wohnten in einem Barackenlager an der Strassenbahnlinie nach Langfuhr. Das Lager wurde Anfang 1944 geraeumt und von Marine – Soldaten der Baubelehrung belegt. Auch wir zogen von den Baracken bei der poönischen Hafenpost dorthin. Im harten Winter sah ich auf dem Innenhof der Werft eine erbaermlich gekleidete Frauenkolonne, die Erd bezw. Strassenarbeiten verrichten mussten. Die Frauen waren in Sackleinen gehuellt und trugen Holzschuhe, um die Waden hatten sie Zeitungspapier gewickelt. Das war ein Herzzerreissender Anblick.
Am Nachmittag ging ich dann zur Schule. Ich musste den, für mich ausfallenden Vormittagsunterricht mit solchen Faechern wie Mythologie,Theatergeschichte,
Kostuemkunde und Buehnen-Architektur autodidaktisch nachholen. Abends kam ich in die acht Mannstube im Barackenlager hinter der Hafenpost zurueck und musste wegen Verdunklungs- Gebot mit Taschenlampe und Rollenbuch unter die Bettdecke kriechen. Alle 10 Minuten kam ich wie ein Wal zum Luftholen unter der Decke hervor.
Zu meinem Abschlusssexamen brauchte ich Vorsprechstoff aus 13 modernen und 8 klassischen Rollen.
Allein die muetterlich Fürsorge meiner Lehrerin Maria Bargheer (eine grosse Schauspielerin)
die in der Langgasse 72 über einem Cafe wohnte, liess mich diese Durst Strecke durchstehen.
Zu unserem Lehrkörper gehoerten:
Oberspielleiter Kliever
(u. a. Vorsitzender der Reichstheaterkammer Danzig)
Schauspieler Buergel und die Schauspielerinnen
Maria Bargheer, die pruefende Paedagogin der Schule,
die legendaere Dora Ottenburg, die G. Grass auch in
seinen Danziger Erinnerungen erwaehnt.
Theater- Intendant war ein gewisser Barree', der von Sueddeutschland
aus nach Danzig kommandiert wurde, um den erfolgreichen
Intendanten Maerz (oder auch Merz) abzuloesen. Dieser war mit
einer juedischen Frau verheiratet, die durch ihr Organisations -
talent dem Theater zwei Buerokräfte ersparte, Maerz wurde dann
an das Theater Zoppot abgeschoben. Vorher hatte er noch den
Empfang des Fuehrers im Danziger Theater vorbereitet
Als Hitler die Foyertreppe herunter kam, musste das Ensemble ihn bejubeln.
Eine Groteske!
Was tut so ein Mann nicht alles, um seine Frau zu retten.


Manchmal tauchte- auch der Schauspieler Gustav Nord in
meinem Umfeld auf und war sehr freundlich zu mir. Er sah
wohl in mir als Uniformtraeger einen Gesinnungsfreund.
Der Mann galt im ganzen Ensemble als fanatischer NAZI und
Denunziant. Die Kollegen gingen auf Distanz zu ihm.
Waldemar Bitzer
ehem. Schmied aus. Langfuhr. oder Neufahrwass- Eine gewaltige
Stimme. Der Mann wurde nach Schliessung der Theater 1944
"schlagender" Aufseher in Stutthof.
Der schon erwaehnte Oberspielleiter Kliever übernahm im
Herbst die Intendanz in Graudenz und wollte mich mitnehmen.
Ich sollte den Ferdinand in "Kabale und Liebe" bei ihm spielen,
Jugendliche Helden waren im Krieg am Theater mehr als knapp.
Meine Militaerdienststelle, die Baubelehrung ,U-Boote in Danzig,
gab mich aber nicht frei. Kliever war nach dem Krieg in Osnabrueck tätig.
Ach, bald hätte ich es vergessen:
Unser Lehrer für "Zeitgeschichte" an der Schauspielschule war der Leiter des rassenpolitischen Amtes in Danzig. Seine Dienststelle war in einer Baracke auf dem Hansa-Platz.
( Da sollte nach 1939 ein Hallenbad gebaut werden.)
Dieser Mann" in Goldfasan-Uniform" wollte mich noch, vor Beendigung des Studiums in den " Lebensborn" abkommandieren lassen.( Er hatte es meiner Dienststelle zumindest empfohlen ) damit ich dann irgendwie in einem Heim im Schwarzwald als Prototyp der
Nordischen Rasse für Fuehrer und Reich, Kinder zeugen sollte. Die Exkursion sollte circa sechs Wochen dauern. Ade Staatsexamen als Schauspieler.
Mein Kompaniechef, ein Kapitaenleutnant Walther, ( Reservist aus Frankfurt/Main
hatte es verhindern koennen.
Du fragst nach einer Frau aus Danzig, die einen juedischen Menschen verborgen hielt.
Das war in der Langgasse, schräg gegenueber des Cafes über, dem meine Lehrerin wohnte. In einer Dachgeschosswohnung. Sie war Zivilangestellte in der Schichauwerft im Buero. Sie wurde, weil sie schwarzes Haar hatte " Mohrchen" genannt.
Ich besuchte die charmante Frau zweimal in ihrer Wohnung. Dabei hoerte ich, in einem
mir nicht zugaengigen Zimmer Rumoren ( Geraeusche) und unartikulierte Stimmen.
Die Frau hatte Vertrauen zu mir und offenbarte sich mir bei meinem Weggang.
Ich fragte nicht weiter danach und um sie nicht zu gefaehrden unterliess ich weitere Besuche.
Ich kenne noch einen aehnlichen Fall, in dem eine junge Witwe einem polnischen Juden
in ihrem Schlafzimmer Quartier gewaehrte. Ein überraschender Besuch bei ihr stoerte sie nicht,
Aus dem Dunkel des Zimmers drangen laute Schlafgeraeusche. Sie sagte, dass sie einen Gast hat
und ich mich nicht davon stoeren lassen sollte.
Da gab es in Danzig die kath. Nicolaikirche mit dem Pastor Bronski. Dem fuehrte ich meine Lehrerin Bargheer als Konvertitin. Als glaeubiger Christ war fuer mich die kath. Kirche eine Stätte der Opposition. So wurde die evangelische Frau, aus Liebe zu mir, Katholikin. Maria Bargheer war nach dem Krieg in Kiel am Theater engagiert. Sie verstarb in Kiel 1953.
Dann passierte mir folgendes:
Von Danzig aus fuhr ich im Dezember 1942 nach Wien, um meine erste Frau zu heiraten.
Beim naechtlichem Umsteigen in Breslau, hatte man mich, so im Halbschlaf, in den falschen Zug gewiesen.
Kurz, nach der Ausfahrt bemerkte ich den Irrtum. Ich zog die Notbremse und mogelte mich in der Dunkelheit auf dem Gleiskoerper zum Hauptbahnhof zurueck. Zehn Minuten spaeter fuhr dann der richtige Zug mit mir davon. Haette ich ihn nur verpasst, dann waere mir danach manches erspart geblieben. Von Februar bis Maerz wohnte ich im ehemaligen Narvik Lager.
im Maerz 1944 wurde ich zum Aufbau einer Theaterbuehne nach Nordernay versetzt, ab nun konnte ich nicht mehr baden an den Straenden in Broesen, Heubude oder Zoppot.
Mitte Dezember 1944 fuhr ich von Nordernay aus nochmals nach Danzig, um eine Freundin zu besuchen.(Sie lebt heute in Braunschweig.) Die Freundin kam, mit ihrem spaeterem Mann, dem
Kunstmaler H.Waltmann, mit dem Schiff davon. Ich wohnte im Hotel „ Continental“ Mit einem der letzten Zuege fuhr ich in strapazioeser Fahrt über Berlin- Bremen zurueck nach Nordernay. dort erlebte ich das Kriegsende. Und danach ging meine Theater Karriere erst richtig los. Kurt