Aus „Unser Danzig“ Nr. 07 vom 05.04.1965, Seite 7

Lausbuben vor 60 Jahren
von Erich Freiwald

Auch wir waren vor 60 Jahren keine Engel, sondern Bengel, die leichtsinnig und unverdrossen ihre Streiche machten. Wer in der Nähe der Wiebenkaserne und Aschbrücke aufgewachsen ist, der hatte damals ein großes Betätigungsfeld vor sich. Da gab es das Wasserbassin an der Aschbrücke. Im Sommer lagen dort viele Flöße, die die Weichsel herabgekommen waren und hier auf die Eisenbahn verladen wurden, alles mit dem Handkran. Da lagen sie, die langen und dicken Stämme, zu Flößen vereint, darauf manchmal Bahnschwellen, auf die wir traten und "Klavierchen" spielten, ab und zu flog auch einer ins Wasser; aber ertrunken ist keiner, obgleich das Wasser sehr tief war. Die Strompolizei drohte und schrie und wollte uns verjagen, aber wir verließen immer ruhig das Floß und gingen später doch wieder hinauf.

Besonders beliebt war das Paddeln auf diesen Bahnschwellen. Wir nahmen solch eine Schwelle zwischen unsere Beine und ruderten mit den Händen oder einem Knüppel, so leichtsinnig waren wir.

Im Winter war dann Eisbahn. Das war eine Freude, für fünf Pfennig Eintritt mit den "Schleifchen" übers blankgefegte Eis zu flitzen, manchmal bei Musik. In einem kleinen Restaurant, aufgebaut auf einem Prahm, konnte man für wenig Geld etwas Warmes und Essbares kaufen. Feine Damen ließen sich ihre Schlittschuhe von darauf wartenden Männern anschnallen und abnehmen. Taute dann das Eis, so wurde die Eisbahn gesperrt. Dann war für uns die Zeit gekommen, auf das nasse und oft mit tiefem Wasser bedeckte Eis zu gehen. In dem klaren aufgetauten Wasser lagen dann Dittchen und 25-Pfennig- und 50-Pfennig-Stücke und wurden unsere Beute. Im Warenhaus Edelstein oder Freymann wurden wir sie schnell los, ein Paar bessere Schlittschuhe brauchte bald ein jeder. Auch hier konnte die strenge Strompolizei uns nichts anhaben; denn das Eis hielt einen Erwachsenen nicht aus. Im Sommer waren die Soldaten unsere Freunde. Wir hatten unser Vergnügen daran zu sehen, wie mancher steife Soldat an den Turngeräten sich so ungeschickt anstellte, dass oft der Herr Unteroffizier uns Jungen aufforderte, einmal das zu versuchen, und es gelang uns, hauptsächlich an den Kletterstangen und Tauen, da waren wir flink wie die Katzen. An der Kaserne bettelten wir um Kommissbrot und Manöverbrötchen, und schelmische Soldaten forderten uns auf zu warten, worauf eine Schüssel voll Wasser von oben herunterkam. Doch das machte uns nichts aus, wir waren überall dort, wo es verboten war.

Auf den hohen Wällen am Revelin holten wir unser Kaninchenfutter, nachdem wir durch den hohen Stacheldraht geklettert waren. Ab und zu erwischte uns auch eine Patrouille und beschoss uns mit "Gaspfropfen" , das pickte gehörig in der Wade. Nahmen sie uns zur Wache in die Kaserne mit, so begann ein fürchterliches Donnerwetter und Anbrüllen; aber wir nahmen das so hin, weil wir wussten, dass sie uns doch laufen ließen, nachdem wir zehn Paar Knobelbecher, sprich Stiefel, blank geputzt hatten.

Unsere "Uschkes" waren unsere Freunde. Marschierten die Soldaten mit klingendem Spiel aus, so marschierte "der alte Hidebrandt" vor ihnen stolz her, als führte er das Ganze an. Wir Buben marschierten dann mit bis zum kleinen oder großen Exerzierplatz, der erstere in der Halben Allee, der letztere, bei Langfuhr, wurde erst später Flugplatz. Zu Kaisers Geburtstag war es besonders schön. Da übten alle Kapellen den großen und kleinen Zapfenstreich an der Wiebenkaserne, und das war für uns mehr als ein Erlebnis.

Rückten die Soldaten ins Manöver, so blieb für uns Buben so allerhand übrig, was uns zum Kuppeln veranlasste. Dann kam die Zeit, wo Reserve Ruh hatte und mit Sang und Klang die Reservisten mit Stöcken aus der Kaserne zogen, um neuen Rekruten Platz zu machen. Es war immer etwas los an der Kaserne für uns Jungen. Musik zu hören war alle Tage möglich, denn die Kapelle übte ja fast täglich. Wir waren keine Duckmäuser, sondern trieben uns überall herum zum Ärger der Eltern, die aber auch wohl einsahen, dass man so einen Jungen nicht einsperren konnte, und so manches Mal ein Auge zudrückten. Die Jugendzeit ist eben die schönste Zeit, an die man sich im Alter so gern erinnert.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang