Aus „Unser Danzig“ vom Januar 1956, Seite 18

So war's daheim

In der Tat, letzthin geriet ich mit meiner Frau beinahe in Streit, weil sie besser wissen wollte als ich, wo es in Danzig den besten P1laumenkuchen gab. Da kann nur mitreden, wer die "gute alte Zeit" vor 1914 schon in Danzig erlebt hat und bei wem in diese Jahre die Kindheitserinnerungen zurückreichen, die Erlebnisse umschließen, wie sie spätere Zeiten gar nicht mehr zu gehen vermochten. Oder gab es vielleicht nach dem ersten Weltkrieg noch den Kremserverkehr zwischen Oliva und Glettkau? Die Wagen fuhren auf dem Marktplatz vor dem alten Tore ab, durch das der Weg zur Kathedrale führte, wie die altehrwürdige Klosterkirche später genannt wurde. Wir Kinder hatten gar nicht gewusst, wie beweglich und behende unsere liebe Großmutter sein konnte. Wenn ein Kremser vorfuhr, standen meist schon recht viele Anwärter für die nächste Fahrt da. Unsere Großmutter war fast immer die erste, die mit einer unglaublichen Fixigkeit sich auf dem hinten angebrachten Tritt in den Wagen schwang, sich wie eine treusorgende Glucke aufplusterte und so die Sitze für mindestens zwei Kinder frei hielt, die erst hernach hinaufkletterten und so doch zu einem guten Platz kamen. Und da war es auch, wo es den - wenigstens der Erinnerung nach, die ja das Paradies ist, aus dem wir nicht vertrieben werden können - schönsten Pflaumenkuchen gab. Nämlich in der Bäckerei, die sich in dem Hause an der Ecke der Mühle befand, die von dem Wasser aus dem großen Teich betrieben wurde. Dieser lag links der Straße, auf der man am Restaurant "Waldhäuschen" vorbei zu den lauschigen Waldwegen gelangte, die hinauf zum Karlsberg führten. Waren wir mit den Eltern an einem freien Nachmittag Ende August oder Anfang September nach Oliva gefahren, um von hier aus einen der so herrlichen Spaziergänge nach Strauchmühle, Freudenthal oder über den Karlsberg und den Bilderweg nach Zoppot zu unternehmen, dann versäumte unsere Mutter nicht, noch rasch einige Stücke Pflaumenkuchen zu holen. Jedes Stück nur zehn Pfennig und so groß, dass beide Kinderhände genommen werden mussten, um es richtig zum Munde zu führen. Gewiss, es war nur einfacher Hefeteig, doch die goldgelben Pflaumenstücke waren von zuckersüßer Reife, sodass es uns besser schmeckte als irgendeine Torte von besonderer Qualität. Übertroffen wurde dieser Pflaumenkuchen nur von einem anderen Gebäck, das ebenfalls mit Oliva in Verbindung steht. Oder will jemand leugnen, dass es in Schwabental so delikate Schmandwaffeln gab, wie sie nirgend woanders anzutreffen waren? Das war geradezu ein Fest, wenn im Garten des Lokals die herrlichen Waffeln auf dem Tisch standen und wir Kinder so reichlich davon erhielten, dass wir noch abends satt waren, wenn wir, nach Hause zurückgekehrt, die Abendmahlzeit essen sollten. Ach, und dort in Schwabental gab es noch etwas anderes, nicht minder köstlich und nicht minder begehrt: Walderdbeeren in Milch. Ist es nicht so, dass jedes mal bei dem Duft von frischen Walderdbeeren man nur die Augen zu schließen braucht, um sich zurückversetzt zu wähnen an einen lauen Sommerabend im Garten von Schwabental? - Was gäbe man heute wohl drum, wieder in Schwabental weilen zu können, auch ohne Waffeln und Erdbeeren ...

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang