Aus "Unser Danzig", Nr.11 vom 20. April 1967, Seite 18

Der Knurrhahn
Ein heiteres Erlebnis
Von Harry Kohn

Ich könnte den Weg heute noch, müsste es sein, mit verbundenen Augen mit unfehlbarer Sicherheit gehen, denn er gehört unlösbar zu den Tagen meiner Kindheit und Jugend in Zoppot am Ostseestrand: Wilhelmstraße, Seestraße, Kleine Unterführung, Bergstraße bis zum Realgymnasium in der Königstraße. Genannte Route führte über eine Stätte, der zweimal in der Woche das vollste Interesse der Zoppoter Hausfrauen galt, denn am Dienstag und Freitag wurde in der Bergstraße der Wochenmarkt abgehalten.

Uns Gymnasiasten der Klassen Sexta bis Prima zog ein Teil dieses weiten Verkaufsgebietes immer ganz besonders an, und das war der Fischmarkt. Dort wurden unsere Gedanken, für kurze Zeit wenigstens, von den Sorgen und Nöten der Schule so richtig abgelenkt. Vergessen war die französische Klassenarbeit, die "in der Luft lag"; das lateinische Extemporale, das unwiderruflich geschrieben werden musste, hatte viel von seinem Schrecken verloren, die "Bekannten" und "Unbekannten" einer mathematischen Klassenarbeit waren für wenige Minuten vergessen. Die Schätze, die unsere Ostsee zu jeder Jahreszeit bot, lagen hier, den Meerestiefen entrissen, nicht nur vor den Augen der Hausfrauen, sondern auch vor den staunenden Blicken der Schüler: Pomuchel, das Danziger Nationalgericht, meist schon leblos, lockten in ihrer Schwere und Gewichtigkeit (das Wort möge hier von "Gewicht" abgeleitet werden!), Flundern hüpften in Holzbütten, Aale wanden sich, oft auch auf dem Straßenpflaster, um in eine recht ungewisse Freiheit zu entfliehen. Und dann jenes seltsame Lebewesen der Ostsee, das uns Jungen, wohl mehr als die Hausfrauen, immer wieder anzog: der Knurrhahn, ein Fisch mittlerer Größe, etwas über 30 cm lang, hübsch bunt gemustert.

"Der graue Knurrhahn, Trigla gurnardus, rötlich-braun getüpfelt, auf den Wangen mit Sternchen gezeichnet, dazu mit silberweißer Unterseite ... " Das erzählt Alfred Brehm über unseren Fisch. Der Knurrhahn ist schon ein eigenartiges Tierchen; nimmt man ihn aus dem Wasser, so gibt er ein knurrendes Geräusch von sich. Wieder darf ich Brehm zitieren: "Der Laut wird durch Aneinanderreiben der Kiemendeckelknochen hervorgerufen." Manche Hausfrauen verschmähten dieses etwas skurril wirkende Geschöpf für den Tisch des Hauses. Uns Schülern machte es immer einen gewaltigen Spaß, den Knurrhahn knurren zu hören, was er oft auch tat, wenn eine Fischerfrau das Tier aus seinem nassen Element nahm.

Die Frauen, die auf dem Zoppoter Fischmarkt die glitzernde, springende, sich schlängelnde und oft knurrende Beute aus den Fischzügen ihrer Ehemänner verkauften, stammten zum größten Teil aus der "Fischerkolonie". Das war eine Wohnsiedlung innerhalb Zoppots, die wohl kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges ihren baulichen Abschluss fand. Die schmucken und peinlich sauberen Häuschen mit ihren gepflegten Gärten waren eine wahre Zierde unseres Ostseebades. Die Kolonie lag in der Nähe der Glettkauer Straße und wurde von Badegästen und Einheimischen gleich gern besucht.

Aber kehren wir nach dieser Abschweifung auf den Zoppoter Fischmarkt zurück. Den Fischerfrauen war die Güte förmlich anzusehen - nur eins mochten sie nicht: Man durfte sie nicht ärgern. Daran hatte der Obersekundaner wohl nicht gedacht, der eine der Frauen also anredete: "Schönsten Gruß, verehrte Frau! Was knurren denn heute Ihre Hähnchen?" Frau A., die gerade über eine Schale voller Knurrhähne gebeugt stand, blickte nur flüchtig auf und entnahm dann einen Fisch ihrer Wanne. Damit zog sie dem jungen Mann blitzschnell links und rechts über die Wangen. "Dat secht he, dwatscher Bengel!" war die kurze Antwort, worauf sie das Fischlein geschickt wieder in sein nasses Element zurückbeförderte. Der Knurrhahn aber knurrte leise ...

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang