Auszug aus den"Ostdeutschen Monatsheften", Juni 1924

Wie ich Oliva erlebte
(von Carl Lange)

Vor mehr als zwei Jahrzehnten sah ich Oliva zum ersten Male - den stillen träumerischen Mühlenteich und den dicken, alten, schützenden Baumriesen und ihren schattenden Zweigen, umrahmt von seinen zarten, im Wasser sich spiegelnden Weiden. Dann war es der Schloßpark, der uns gefangen nahm, seine Aussicht zum Meer, seine gradgeschnittene Allee, die prächtig geschorenen, konisch gepflanzten Hecken, der farbenfreudige Teich, die einsamen "Burgen", die auf kleinen Höhen seitab liegen. Wie ein nur uns gehörendes, verwunschenes Schloß schien uns eine der Burgen. Der Kranz engstehender, hochstämmiger Linden schützte uns vor jeder Einsicht, gestattete aber doch den herrlichsten Ausblick über grünende Felder zur See hin, auf die Seidenschleier der Birken am Kirchhof, auf die Kette der ineinander verschlungenen Berge vom Karlsberg hinüber zu den Zoppoter Höhen. Und die Bäche und Gräben wanderten wir entlang, die stillen Waldwege und mitten hinein in das Labyrinth der Bäume. Vor allem, was Danzig, Zoppot, was Meer und Land gaben, blieb tief im Herzen, vor allem das eine: Oliva!

So reifte der Entschluß, hier in der Nähe festen Fuß zu fassen. Es gab Feierstunden im Beruf, der mich nach Danzig führte. Allsonntäglich riefen Freunde zu edler Gastfreundschaft ins "rote Schlößchen", da dicht vor der Tür der Park grüßte - und der Wald und die Berge. Wir streiften durch Wälder und Täler, an Eisenhämmern und Mühlen vorbei, und mit wachsender Kenntnis wuchs die Liebe zu diesem Lande, dessen schöner Name Symbol seines inneren Wesens ist.

Der Krieg kam und brachte mich vorübergehend wieder nach Danzig. Immer blieb das sonntägliche Ziel Oliva, zu Pferde, zu Wagen, zu Fuß - den getreuen, alten Kameraden Hektor zur Seite. Als nach Ausbruch der Revolution die Entscheidung für die eigene Zukunft fiel, war die Wahl des Wohnortes für das neubegründete eigene Heim nicht schwer. Es konnte und durfte nur Oliva sein.

So gingen Träume und geheimste Wünsche in Erfüllung. Ist der Weg zum Ziel auch ein anderer als der gedachte - das Schicksal führt schon recht, und so ist es gut. Nun wurde mir Oliva immer vertrauter und lieber. Besteht da nicht die Pflicht, anderen diese Schönheit der Landschaft, diesen Reichtum an alter Kultur zu zeigen, diese Fülle von ungehobenen Schätzen, die noch so vieler Menschen Herzen erfreuen und beseligen können?

Viele herrliche Worte und Lieder in Briefen und Schriften sind uns überliefert, die uns von aufopfernder Arbeit, von heißer Liebe zum Lande, von tiefen Eindrücken und Erlebnissen berichten. Wenn Alexander von Humboldt Oliva den drittschönsten Ort der Welt nennt, wenn Joseph von Eichendorff, Johanna Schopenhauer, Johannes Trojan, wenn Dichter und Maler hier ihre besten Werke schufen, so spricht das mehr als viele Worte. Auch Chodowiecki sah Danzig von Oliva aus und hat diesen Blick in seinem berühmten Reisetagebuch festgehalten. Die Königin Luise kam in kranken Tagen hierher und genoß den Blick vom Karls- und Johannisberg, und ihr zum Gedenken blieben die Worte: "Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, sie ist geweiht für ewige Zeiten."

Napoleon übernachtete in einem der Pelonker Höfe, und ein Reisender schrieb nach seinem Aufenthalt: "Noch nie sah ich soviel Großes und Schönes auf einem Punkt vereinigt, und es fiel mir schwer, mich von diesem majestätischen Anblick und dieser ganzen bezaubernden Gegend wieder loszureißen."

Aber nicht nur die Stimmen aus der Vergangenheit klingen zu uns herüber. Kaum einer der lebenden Dichter und Danziger Maler empfing hier nicht starke unvergeßliche Eindrücke. Wir hören von dem vor wenigen Jahren verstorbenen Dichter unserer Heimat, Bruno Pompecki, wir hören von anderen in Oliva lebenden Dichtern, und wir wissen, daß die Freunde aus dem Reich ihrer Begeisterung wiederholt Ausdruck gegeben haben. Ich nenne nur Walter von Molo, Hans Franck, Pfarrer Traub und Fritz Kudnig, der sich hier einmal heimisch fühlte und Entdeckungsfahrten unternahm, und ich weiß, daß viele Ungenannte mit in diesen Kreis der Freunde Olivas hineingehören. Unser Ostmarkkenner Fritz Braun sei nicht vergessen.

Wir haben unseren Lieblingswegen Namen gegeben, die an die vertrauten Harzberge erinnern. Mit Oliva innerlich verwandt sind Harz und Thüringen durch Berge und Täler; ist es nicht ein gleiches Zwölfmorgental, das abgeschiedene, stille, stimmungsvolle - hier mit dem Ausblick zur See, dort in der Feme mit dem Ausblick aufs weite Land übers Schloß hinweg, das Land, das auch oft wie die unbegrenzte Fläche des Meeres aussieht?

Und da grüßt die Bank der Offenbarungen, die geheiligt ist von tiefstem Erleben, und die ein jeder in irgendeiner Form als ein verborgenes Kleinod in sich trägt, um es aufzuheben und sich an seinem Glanze zu erfreuen, wenn ihn Alltag und Mühen erdrücken wollen.

Obwohl die rauhe Witterung oft nicht zum Wandern einladet - es lohnt sich dennoch, von der Spitze des Berges die Danziger Bucht über grüne, weite Felder -frühere Waldungen- zu schauen, begrenzt vom Bild der Stadt Danzig mit seinen wuchtenden Türmen, die Leucht- und Kirchtürme Neufahrwassers, die weiße Streifenlandschaft der Halbinsel Heia mit ihren kennzeichnenden Bauten. Oder am Fuß der Berge über wogende Kornfelder hinweg - oder in den abgeschlossenen Tälern, Schluchten und verträumten Lichtungen, in dichtem Buschwerk, durch Tannen- und Buchenwälder in tiefste Einsamkeiten, immer wieder Neues und Schönes offenbarend.

Nicht nur der Sommer bringt die unvergeßlichen Landschaftsbilder; auch im Winter bieten die bereiften Wälder und weiten Schneeflächen reiche Abwechslung, an denen sich vor allen Dingen die Rodler und Schneeschuhläufer erfreuen. Dann sind weiß und blau vorherrschend, denn überall grüßt die schöne Danziger Bucht. Oft sind Molen und Stege vereist wie weite Strecken der Bucht. Der Winter schafft eigenartige künstlerische Formen und Gebilde, die der Phantasie freien Spielraum lassen wie die Wolkenzüge am Abendhimmel. Wundervoll klar sind die Sternennächte, die Sterne am Himmelsdom erscheinen greifbar nahe, die Luft ist gespannt wie springendes Glas.

Am schönsten ist Oliva im Herbstschmuck. Dann haben die Wälder ihr buntes Kleid angelegt; es sind die Opfertage der Natur, in denen sie noch einmal in zusammenfassendem Glanz vor dem Vergehen aufflammt und alles hergibt, was an Leuchtkraft möglich ist. Der Herbst berührt mit seinem Zauberstab Baum, Busch und Blatt, die neu aufglühen wie das Gold der Abendsonne.

Erschließt euch dieser Quelle der Kraft und der Freude, die mir dieses Lied schenkte:

Fest und unbeirrt
stehst du, Berg und Tal;
wie die Zeit auch wird,
es vergeht die Qual.
Dunkel scheint die Welt,
dunkel graut die Zeit,
doch dein Bild erhellt,
und dein Blick befreit.