HH 04.07.011
Geehrte Landsleute.
Die Erzählung „ polnische Schüler in der HJ, ist gelesen worden. Mancher fragte, was aus Hans Olschewski geworden ist. Hatten wir uns nach der Kapitulation oder später wiedergesehen?
Diese Frage beantworte ich in nachfolgender Geschichte. Da wir ohne Uhr und Kalender lebten, kann ich nur sagen, dass es einige Tage nach der Kapitulation gewesen ist. Diesen Tag erlebten wir durch das Freudenfeuer, aus allen Rohren, das die Soldaten veranstalteten. Die Wanderung nach dem Gut Groß Salau hatte sich mir bis heute tief ins Gedächtnis eingeprägt. Hier ist sie.
Begegnung mit Hans Olschewski 1945
In der Erzählung “polnische Schueler in der HJ“ kommt mein Schulfreund, von der polnischen Minderheit, vor. Hans Olschewski musste, wie viele Jugendliche in der Kaschubei und Danzig, in der HJ mitmachen. Dadurch war Hans mit mir fünf Monate zusammen im dem miesen KLV Lager Adolfsdorf. Das Haus war eine alte polnischen Landschule mit zwei Klassenraeumen: In jede Klasse waren Etagen Betten fuer zwanzig Schueler aufgestellt worden. Bei der Belegung der Betten gelang es Hans sich ueber mein Bett ins obere zu legen und so waren wir die ganze Zeit auch auf diese Art Nachbarn.
Nachdem wir iEnde Maerz 1944 nach Danzig kamen, begann Hans eine Lehre. Ich meine, dass es eine Stelle bei den EW -Werken war. Unsere Wege gingen deshalb auseinander. Wir wohnten zu weit auseinander.Weil die deutschen Pioniere ab Maerz 1945 den Befehl der verbrannten Erde angewandt hatten, waren auf den Bauerhoefen und Doerfern keine Kuehe, keine Schweine, Kartoffeln oder andere Lebensmittel zu finden. Ich erinnere mich, dass die Kuehe auf dem Sportplatz, Kampfbahn Niederstadt, nahe der Kleinbahn-Station vor Danzig, zusammengetrieben wurden und dort klaeglich verdursteten und krepierten. Von diesen toten Kuehen gelang es uns ausgetrocknete Fleischstuecke abzuschneiden,um sie in einer Suppe zu verkochen und dann aufzuessen. Mitte Mai war das Land abgesucht worden und nun begann der grosse Hunger. Meine Mutter hoerte, dass auf dem Gut Groß Saalau, auf der Danziger Hoehe, Kartoffel -Mieten geplündert werden. Am naechsten Tag, nach der Sperrzeit, machte ich mich mit meinem Cousin Herbert auf den Weg um dort Kartoffel zu finden. Wir gingen am Radaune Kanal durch Ohra bis zur Abzweigung der Chaussee nach Straschin. Am Lager Matzkau sahen wir viele Wachposten, jetzt waren hier deutsche Zivilgefangene inhaftiert worden. Von dort wurden tausende Maenner nach Sibirien verbannt .So mancher Kaschube oder Pole war darunter. Auf der Chaussee wanderten immer noch Fluechtlinge hin und her, die einen weil sie in ihre Dorfer zurueck wollten, die anderen, weil sie heimatlos und ziellos irgendwo unterkommen mussten; zwischen ihnen konnten wir diese gefaehrlich Stelle passieren. Nach Matzkau verlief die Strasse bergauf. Auf der Höhe stand ein Haus. dort hatte ein deutscher Panzer die Waende durchbrochen und stand so gedeckt im Haus .Von oben uebersah er das Tal Tiefensee und die Kanoniere hatteauf die Angreifer eine Menge Granaten abgefeuert. An den leeren Granathülsen konnte ich die Feuerkraft rekonstruieren. Russische Granaten hatten versucht, den Panzer auszuschalten. Wegen der schraegen Strasse, prallten einige Granaten flach auf und rutschten als Blindgaenger zur Seite Auch eine 22-Centimeter Granate lag am Rande der Chaussee, die hatte sicherlich ein deutsches Kriegsschiff abgefeuert. Da das Fruejahr sehr warm gewesen war, verdunstete das Wasser in den Graeben und Teichen sehr schnell und es war nicht ratsam unterwegs aus einem Tümpel den Durst zu Löschen, Tote Tiere verwesten in den Graeben und auf den Feldern. Typhus war schon ausgebrochen
Nach dem Gut Gross Saalau waren es vielleicht,von Danzig aus, zwischen 14-16 Kilometer. Als wir dort ankamen, durchstoeberten Frauen mit ihren Kindern das Gelaende. Wir kamen zu spaet. die Kartoffel-Mieten waren laengst ausgeraeumt worden.
Entmutigt wanderten wir denselben Weg zurueck. Durstig schlichen wir ueber die heisse Teer-Chaussee gen Ohra. Hinter -Drei Schweinskoepfe- sah ich eine Menschenschlange, rechts, an der Strasse, stehen. Ich wollt mich ins Abseits bewegen, denn ich nahm an, dass die Leute zur Arbeit abgefuehrt wurden. Dann sah ich einen kleinen Schornstein und schnupperte Essensduft durch die Nase. Also, dort stand eine Gulaschkanone und die Menschen warteten auf ihre Essen- Portion. Als ich an der Gruppe vorbei ging, kam mir von der Gulaschkanone ein Junge entgegen. Am Arm sah ich eine weiss-rote Armbinde. Dann erkannte ich ihn. Es war Hans Olschewski. Er blieb vor mir stehen, Er sah mich mitleidig an. „Gerdchen“ sagte er“ komm morgen um zwei Uhr vorbei, jetzt gibt es keine Suppe mehr“ Ich wollte etwas antworten, aber mein Gaumen und die Zungen waren ausgetrocknet und ich nickte nur mit dem Kopf und ging weiter. Danach hatte ich ihn nie wieder getroffen. Eine Suchmeldung um 1955 an das Rote Kreuz in Gdansk blieb ohne Erfolg.
copyr. Gerhard Jeske