Übernommen aus Danzig-L
Beitrag von Wolfgang am 10. März 2006

Stürmisch die Nacht...

Ein Hut-Jagdabenteuer im März.

(Erschien in den Danziger Neuesten Nachrichten am 13. März 1926)

Na, meine Härren, hahm Se heit frieh nich auch Backflaumen jestaunt,
dass der Marienturm ieberhaupt noch stand? Dass es dem inne Nacht noch
nich umjepuhst hätt? Sowas von Sturm war ja all lang nich! Aufe
Krantorfeehr konnten Se jästern bald seekrank werden. Ich fraacht'
Paulchen all, ob er auch Schifferpatänt fier große Fahrt hätt; dänn
der Wällenschlach aufe Mottlau jästern war ja beinah Atlantik!

Ich war neemlich bißchen bei Sonnenschein rausjewandert nach Heibud
kicken, ob nich all was zu märken weer von wejen Kiebitze. Aber nei.
Lärchen trillerten all wie dammlich. Trotz dem aasjen Sturm. Aber
Kiebitze waren noch nich.

Na, ich hab mä nu beinah auf alle Viere iebers Fäld durch den Orkan
zuricklawiert nach Danzich und bin mied wie'n Hund, wie ich meine
Quarkstullen zum Ahmbrot vädrickt hab und mich mein Feifchen anstäch,
um mir mang de Zeitung zu stirzen von wejen Velkerbund in Jänf. Aber
wie ich nu wieder dem Klamauk las von das Lebensväscheenerungs- und
Väsorjungsinstitut fier ruhe- und jesundungsbedirftje exotische
Diplomatenjinglinge , da leecht ich das Blatt bald wäch. Wir Danzjer
wissen doch Bescheid. Wenn wir heeren "Jänf", dann kriejen wä doch ne
beleechte Zung.

Meine Ollsche hat dem Tisch abjedäckt und fraacht mir, ob ich noch en
Taßchen Tee mecht, es weer noch eine inne Kann.

"Nei", sag ich, "dankscheen! Weißt was Olgachen? Ich werd mir heit mal
ganz frieh hinlejen. Ich bin hundemied, und bei den Sturm schleeft es
sich so scheen! Das hätt ich all so järn, wie ich noch en Jung war,
wenn der Sturm ahmds so heilt, dass de Blätterfahnen knarrten und dass
Sankatrinen sich anheert, als spielten de Glocken mal in Langfuhr und
mal in Ohra, so ganz aus de Färnspäktive. Ich frei mir wie'n Kind auf
soon scheenen Schlaf in sone Friehlingssturmnacht!"

Na, sie mein, sie wollt noch en bißchen neehen, aber ich sollt mir man
ruh'ch hinlejen und se winscht mich ne rächt scheene anjenehme
Nachtruhe. Tja, winscht se mir. -

Na, ich hab mä all dem Kragen und's Hälschenabjebunden und bin all auf
Schlorren und seh bloß noch, ob abjeriejelt is, um mir dänn im sießen
Schlaf inne Friehlingssturmnacht zu stirzen. Da meint meine Ollsche:
"Franzchen, ein Jefallen musst mich aber noch tun, musst mit dem Hund
noch mal aufe Straß, der hat doch woll inne Sonn aufem Hoff jelejen
und da muss er sich aufe kalte Stein' doch woll äkält hahm, kurzum:
sicher ist sicher, eh dass ma die Schweinerei hat, jeh man wie du
bist, sind ja bloß fimf Minutchen!"

Von wejen: "fimf Mintchen", vastehste! -

Also scheen, ich dänk: "Wänn dem scheenen langen Schlaf vor dir hast,
schnappst noch bisschen Vorfriehlingsluft". Ich sätz mich dem Hut auf,
nehm mein Stock und jeh raus mit meim "Brummer".

Kaum draußen, haut das schucherne Hundekreet natierlich gleich ab.
Rächts runter bei seine Braut. Die wohnt nich weit umme Äck. Da huckt
das Biest, sag ich Ihn', manchsmal stundenlang am Tach vore Tier. Kein
Wunder, wänn er sich da dem Podäx äkält und ein'm nachts rausjault.
Und de Zung hängt ihm, wänn er da sitzt, bis aufe Knie. Und en Jesicht
und Augen macht das dammlije Biest dänn vleicht, ma scheniert sich
orntlich, dass man Härr von son Hund is. -

Na, ich jeh nu sachte ihm nach, um ihm da wächzuholen. Auf einmal muss
ich doch woll auf son Stick Eppelsinenschal raufer jetreten sein, und
wie ich mit de Arme in del Luft rumajier, um de Balangze zu halten, da
- ssst! - ein Windstoß, und ab jeht mein Hut!

Natierlich in das Tämpo wie erst mein Hund. Im neechsten Augenblick:
ich de Schlorren inne Hand und auf Socken ihm nachjepeest!

Ich pees' und pees'. Wilde Jacht wie im Kientopp! "Mänschenskind",
schreit einer, "alter Härr, sein Se doch nich so dammlich! Was
scheddern Se dem Hut nach, bleiben Se doch stehn, bis en andrer kemmt!
Kemmt ja alle Nas'lang einer!" Aber ich weiter.

Schon kullert er aufen Asfalt anne Johanniskirch. Wie en Auto aufe
amerekansche Betongschosseeh. Hundertzwanzich Kilometer
Jeschwindichkeit! Mich hängt de Zung bis auffe Urhkätt. Aber ich komm
ihm neeher!

Tja: Scheibenhonich! Da wutscht das Biest doch durch das neie
väschloss'ne Jitter anne Johanniskirch und bleibt dänn liejen und
kickt mir heehnisch an, wie son Aff aus dem Keefich. Ich kuck durchs
Jitter wie son Tijer. Nu will ich rumlaufen. Kaum bin ich anne Kirch,
schreit ne alte Frau: "Kommen Se zurick, der Hut is wieder
rausjekullert!" Aber da is er all bald am Tor!

Gottseidank, dass de Straßen so trocken waren. Ich wie son jestochner
Hächt hineterher. Durche Drehergass', iebre Breitgass', inne
Bootsmannsgass', rächts de Heilje Geistgass' rauf, ich halbdot.
Ändlich scheint ihm auch de Puhst auszujehn und er västicht sich in
son dustern Beischlachwinkel.

Aber ich hätt ihm doch jesehn. "Wart man, du Biest," saacht ich, "jätz
bist du äledicht, jätzt bist du zweiter Siejer, jätz kemmt gleich der
große Mommang, Schluß der Jacht, Halali!" -

Von wejen "Halali!" västehnse!: Also ich schleich mir wie "Winnetuh,
der lätzte Mohikaner", lautlos immer anne Wand lang sachte nach die
dustre Beischlachäck, hab dem Stock all umjedreht, Krick nach oben,
und fahr dänn kräftich mit en kiehnen Sänsenhieb in das dustre Västäck
rein, um das Biest von Hut zu schlängen, da jibbt's en mark- und
guldenäschitternden weiblichen Schrei: ich hab mit meine Stockkrick en
belackschuhtes Damenbein jeangelt und en Freilein umjerissen, wo da im
Dustern unsichtbar jestanden hahm missd!

Und wie ich im ersten Schräck nich weiß, was ich sagen soll, hab ich
vonne jeschulte Jinglingsfaust en Kinnhaken sitzen und en
Väjissmeinnicht ins freie Portweinauge, dass ich um mir rum lauter
leichtende Stärnenbanner sah. Statt "Halali" gab's "Halloh!",
"Hilfe!", "Schupo!." Auflauf!

Und wie ich aus mein "Knockout" zu mir komm, da läckt en Schupo vor
mir all eifrich am Bleistift, um sich de Staatsanjeheerigkeit von
meine Großmutter <ufzuschreiben und ob ich all wejen Raubmord
vorbestraft bin und wäswejen ich das junge Meedchen zu Fall jebracht
hätt? Wänn mir nich paar bekannte Maurer, wo zufällich in den Auflauf
waren, lejitimiert hätten, hätt ich noch konnt aufe Wach kommen. -

Als jebrochner Greis wank ich nu mutlos und hutlos und hundlos witer,
so dass ich sälbst dem Schupo leid tat. Der saachte: "Nu ziehn Se sich
doch de Schlorren an, die Se inne Hand hahm, Se äkälten sich ja!"

Äkälten! Ich bin doch so ämfindlich am Hinterkopp. Nu, so schwitzich.
Bei den Sturm! Ji9bbt doch aasjes Reißen! Mit meine nackte Schusterkugel!

Wo ich nu grad in mein Freind Adolf Schaweiter seine Neeh komm, jeh
ich hin und komm grad zurächt, wie einer das Haus aufschließte, wo mir
reinläßt. Ich jeh nach oben, um mich wenichstens ne Mitz bei Adolf zu
pumpen.

Ich klinger und klinger. Is keiner nich zu Haus! Ich klinger wieder.
Schließlich fraacht oben son olles Freilein, ne Klawierlehrerin, ganz
ängstlich, wer da weer. Na, ich rauf und mir ihr durchem Tierspalt
vähandelt. Se hätt de Kätt vor.

Se äzeehlt mir, dass mein Freind Adolf Schaweiter mit Familie da und
da bim Väeinsjubeleeum weer. Ob se was beställen sollt.? Ich äzeehl
ihr nu mein Unglück. Da macht die olle treie Seele doch auf. bleicht
mir und bemitleid't mir und meint: "Ne Mitz kann ich Ihn nich jeben,
aber mein Filzhut kennten Se schließlich nehmen, is doch jätz inne
Nacht egal! Eh se sich Koppreißen holen! Nehmen Se man ruh'ch, Härr
Poguttke, und schicken Se ihm mir morjen frieh zurick!"

Bringt mir doch das arme gute alte Wesen dänn noch runter, um mich
aufzuschließen, der Hut ständ mich ausjezeichnet, ich seeh aus wie
Wallenstein. Und ich bedank mir beinah wie mit Treenen inne Augen und
jelobe mir innerlich, diesen Hut zu behieten wie mein Augapfel, auf
dass sein Fuß nicht an einen Stein stoße, und kaum bin ich draußen
inne Friehlingsluft und seh noch ganz jeriehrt das Licht von das
gutmietje alte Freilein durchs Schlisselloch leichten, da fleicht mein
musekalischer Wallensteinhut all iebre Marienkirch!

Der Himmel väzeih mä de Sind: aber in dem Augenblick dacht ich: "Jätz
leiffst nache Langebrick und springst inne Mottlau!" Aber als
Familienvater kann ma das doch nich. Was nu?

Na, ich nu nach das Fästlokal, wo Adolf is, um mit dem die
firchterliche Sache zu bereden. Weinen hätt ich mejen. Der nu der
Halloh mang die Fästjesellschaft, wie ich da in die Aufmachung antret!
Se schläppen mir rein Stirmische Heiterkeit! Auch sonst war's da all
ziemlich stirmisch. So um "Windstärke nein".

Adolf meint nu, ich sollt mir beileibe keine Falten inne Seele
knillen, das mit den alten Freilein sein Hut wirden er und seine
Ollsche bästens äledjen, und ich sollt nich son Jesicht machen und mir
erst mal durchen Schluckchen...

Na, ich war froh, wie en mitleidjer Källner mich von finten ne Mitz
besorcht, dass ich ändlich nach Haus' kennt bei meine aufjeleeste
Ollsche, die hätt al Angst jehabt, der Sturm hätt mir aus dem
Freistaat rausjepuhst. -

Tja, wänn unsereins sich all mal auf was freien tut! Die scheene
Friehlingssturmnacht! Kaum lieg ich und bin einjedrusselt und seh
lauter Wallensteinhiete ieberm Stärnhimmel sejeln, da klingert's! Ich
raus, Fänster auf, de Gardinen sausen, unten schreit einer: "Is das
Ihr Hund, wo hier anne Tier huckt und kajihnt? Lassen Se das Vieh doch
rein" Da misst der Tierschutzväein..."

Ich runter, da war das Biest und schult mir vonne Seit an mit'n
einjekniffnen Schwanz. Aber ich kickt ihm gar nich an und ließ ihm.
Ändlich wieder im warmen Bätt. -

Knapp einjedrusselt, Mordsjeklinger! De Ollsche is all hoch, ich halb
im Schlaf am Fänster.

"Was is da los?" Da schrein se von unten: "Härr Poguttke, vämissen Se
nich en Hut?"

"Tjawoll" schrei ich, "is son großer, so Modäll Wallenstein?"

Darauf gneddert's unten, und dänn meint einer: "Wir hahm hier einen
jefunden, der hat äntschieden historisches Format. Scheint Modell
Aläxander der Große oder Mussolini der Jewaltije!"

Ich runter, aufjeschlossen, und was dänken Se? Da reicht mir doch son
anjeduhnter Leidack aus Adolf Schaweiter seine Freindschaft son
Riesen-Blächzilinder rein, dem woll der Sturm vonnen Hutjeschäftshaus
mus runterjerissen hahm!

Eh ich noch dem Limmel was Jeheerjes sagen kennt, is die Bande
kreetsche abjehaut.

Nu, västehn Se, jing mich der Roogen hoch. Stirmisch! An Schlaf war
nich mehr zu dänken. Ich saacht kein Wort vor Wut, fillt dem
Riesen-Blächzilinder mit Wasser und stäält ihm am Fänster hin. Jingen
gut zwei Eimer rein.-

Nu lag ich, heert dem Sturm sausen und Sankatrinen spielen. Auf
einmal: richtich: klingert wieder son Kreet! Ha, sießer Tach der Rache!

Ich Fänster auf: "Was is los?" Ob ich Härr Poguttke weer und mein Hut
vleicht vämissen teete,

"Tjawoll, vleicht!" schrie ich, krieg mit Muskelkraft dem
Bläch-Riesenhut mit die Wasserladung zu packen, jieß se die Luntrusse
aufe Kepp, das pladdert Ihn' wie der Niagara, und hau das Fänster zu!
Das beruhichte mir sichtlich, so dass ich ändlich, ändlich in die
Sturmnacht nu schlafen kennt.

Aber nich lang. Dänn nu jing das Jeklinger nach ne Weil erst richtich
los. Ich missd richtich wieder hoch und am Fänster. Ei, der Krach!
Meinen Härren! Und mitten mang zwei Schupos! Und ich sollt
augenblicklich runter kommen!

Was soll ich Ihn sagen? Ich jeh runter, da stehn da wie aus de Mottlau
jezogen so volljepladdert paar junge Leit ganz blass, und die hahm
wahr und warraftich mein Hut! Nummro eins! Auch quitschnass von mein
Guss. Na, das war ja vleicht Sporrt! Die Auseinandersätzung!

Kurz: nu blieht mir auf meine alte Tage noch ne Vorladung vorm
Schiedsmann wejen teetliche Beleidigung und schwere Sachbescheedjung
durch Bejießen "mittels eine Badewanne"! Die Brieder waren doch nich
davon zu ieberzeijen, das ich sie bloß mit en Hut begossen hätt!
Außerdem soll ich von elf Parteien wejen nächtliche Ruhesteerung
väklaacht werden! Nu reden Sie!

So kann es en friedlichen, unterm Schutze des Velkerbundes stehenden,
steierzahlenden, alten Danzjer Freistaatbirjer äjehn, wänn er sich mal
im Friehlingssturm seine nächtliche Ruh jennen mecht! Is de Wält nu
värickt oder nich? Hä? Und derweil hucken die Schussels in Jänf rum
und... na, ich sag gar nuscht. Lasst mir zufrieden!