Schönen guten Abend,

hier ein interessanter Artikel der in "Unser Danzig", Nr. 10 von Pfingsten 1964 auf den Seiten 12-14 erschien. In ihm wird mehrfach auf Fotos/Bilder hingewiesen, die im Original-Artikel vorhanden sind... - und möglicherweise bald wird der "Bund der Danziger" den Original-Artikel mit Bildern anbieten können.

Das Schullandheim der Helene-Lange-Schule
Käthe Lehmeyer-Schreder

In Östlich Neufähr stand dieses Haus. Es war einst die Warte- und Abfertigungshalle für die Flugpassagiere der Linie Danzig - Schweden. Ein fester Steg davor, in die Weichsel hinein gebaut, diente den Fluggästen zum Einstieg in das Wasserflugzeug DO X, das auf einer breiten, schräg ins Wasser verlaufenden Brücke festlag.

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Als die Fluglinie eingestellt wurde, stand das Gebäude lange Zeit leer. Immer, wenn ich mit dem Schiff an Östlich Neufähr vorbeifuhr - und das geschah sehr oft -, sah ich hinüber, ob es inzwischen schon bewohnt sei. Ich wollte mich davon überzeugen und stieg eines Tages am Krug in östlich Neufähr aus. Das ganze Gelände mit dem Gebäude in der Mitte etwa war von einem Zaun umgeben, dessen Tor zu meiner Freude offenstand. Ich fasste mir ein Herz und ging zum Gebäude hin, um in die Fenster hineinzusehen. Bis auf den letzten Teil des Hauses (drei Fensterbreiten) war es tatsächlich unbewohnt. In der Wartehalle (Eingang vorne von der überdeckten, mit Klinkern gemauerten Terrasse aus) stand noch eine lange Anrichte, einige Tische und Stühle, und in der daneben liegenden Küche war ein großer gemauerter Herd und ein Tisch am Fenster, beide Räume durch eine Durchreiche und eine kleine Tür verbunden.

Da wir in unserer Helene-Lange-(Gudrun-) Schule, Langfuhr, schon lange den Wunsch hegten, ein Schullandheim zu besitzen, war sofort der Gedanke da: Dieses hier wäre geradezu ideal dafür! Eine Nachfrage bei dem Platzwärter, dem Bewohner des letzten Hausteiles, und auch bei dem Lehrer der Schule, die gleich gegenüber lag, ergab, dass der Danziger Senat für eine eventuelle Vermietung zuständig sei.

Der Zufall wollte es, dass ich am Abend dieses Tages bei einem Fest im Danziger Schützenhaus-Saal neben einem Vater von zwei Schülerinnen unserer Schule saß, der immer schon bedauert hatte, dass den Mädchen unserer Schule das Erlebnis eines Schullandheim-Aufenthaltes versagt blieb. Ihm erzählte ich nun begeistert von meiner Entdeckung in östlich Neufähr, und dass der Senat für das Gebäude zuständig sei. Seine Reaktion war blitzschnell. Er sprang auf, zogmich mit sich fort, und kurz darauf standen wir vor dem damaligen Senatspräsidenten Greiser, der glücklicherweise auch anwesend war und den er kannte. Wir trugen unser Anliegen vor, und Herr Greiser war sofort bereit, eine eventuelle Vergabe des Gebäudes an unsere Schule vorzunehmen. Wir waren glücklich und dankbar

Am nächsten Tag war mein erster Gang in der Schule zu Frau Oberstudiendirektorin Dr. Lehmann-Kienast, die auch für die Sache begeistert war und sofort alles in die Wege leitete. - Wir hatten also ein Schullandheim!

Nun ging es ans Einrichten in östlich Neufähr. Unser sehr geschickter Schulhausmeister Volkmer zimmerte und hämmerte herum und baute auch ein langes Regal für den Flur mit vielen kleinen Wandschränkchen, die von einer Klasse lustig bemalt wurden, jede Schranktür anders als sicheres Kennzeichen für die jeweiligen Besitzerinnen. Bettgestelle (übereinander) kamen in die Zimmer, Strohsäcke wurden gestopft und in zwei Zimmern sogar die Bettgestelle angestrichen. So gab es ein rotes und ein blaues Zimmer, während in dem dritten, dem größten Raum, sowie in dem kleinen Lehrerzimmer die Bettgestelle nur neu gefirnisst wurden. Da wir zum Teil auch große Klassenfrequenzen hatten, musste viel überlegt und ausprobiert werden, um den vorhandenen Raum gut auszunutzen.

Zwei Elternpaare als Vertreter unserer Schullandheim-Gemeinschaft und einige Lehrkräfte wurden von Frau Direktorin Dr. Lehmann-Kienast zur Besichtigung des fertigen Schullandheimes eingeladen und, da es ein schöner Tag war, wurde zum ersten Mal aus den heimeigenen Tassen auf der Terrasse Kaffee getrunken. Zur Erinnerung wurde dieses Foto von Dipl.-Ing. Eggert geschossen, dem wir auch für die Vermittlung beim Senat sowie viele gute Ratschläge zu danken hatten.

Bald fuhr dann auch die erste Klasse für eine Woche hinaus. Die Begeisterung war groß. Schon zuerst die Dampferfahrt von der Langen Brücke, die nicht nur wunderschön war, sondern auch für manches unserer Langfuhrer Kinder etwas ganz Neues bedeutete. Beim Zurückblicken während der Fahrt das wunderbare Bild: das Krantor, die anderen Tore und die Türme dahinter, die ganze Lange Brücke und die Speicherinsel, vorbei am Fischmarkt und seinem Turm "Der Schwan" und weiter dann an den Werften und Heubude vorbei, rechts grüne Weiden und links Wald. Alles war ja so wunderschön! Besonders interessant war die Einfahrt in die Plehnendorfer Schleuse, das Schließen der Schleusentore hinter dem Dampfer und das Ausgleichen des Wasserstandes mit dem Wasserspiegel der Stromweichsel. Und dann das öffnen der Schleusentore zur Einfahrt in die Stromweichsel! Der Blick durch den Weichseldurchbruch auf das Meer am Horizont und das Hinübergleiten des Schiffes auf Östlich Neufähr! Alle standen schon bereit mit dem Rucksack auf dem Rücken und konnten das Anlegen kaum erwarten. Himmel, war das eine Aufregung! Der kurze Weg bis zum Heim, der Sturm auf die Zimmer und das Betten belegen! Da sich ja doch immer wieder die Freundesgruppen in den Zimmern zusammenfanden, wurde dann durch Wechseln der Tischnachbarn bei den Mahlzeiten ein Ausgleich geschaffen, damit die Klasse zu einer wirklich guten Kameradschaft zusammenfand.

Am 1. und 2. Tag wurde erst einmal Östlich Neufähr "entdeckt"; an den folgenden Tagen gab es auch Unterricht am Strand, im Wald, im Haus, je nach Wetterlage, und dann wurde in der See gebadet. Wie schön war doch unser Östlich Neufähr! Die weißen, sauberen Fischerhäuser in kleinen Gärtchen mit oft erstaunlich schönen Blumen trotz dem Sandboden, und dahinter begann der Dünenwald mit seinen Kiefern, in denen oft Aalreusen nach dem Fang zum Trocknen aufgehängt waren.

Zwischen dem hügeligen Kiefernwald und dem Dünengelände gab es Birken und Erlen im oftmals sumpfigen Gelände im hohen Gras; sie wirkten mit ihrem frischen Grün wie Oasen.

Dann war da auch noch der See, Überlaufgebiet vom Weichseldurchbruch, von Sträuchern und Bäumen umstanden, die liebevoll den begrenzenden Drahtzaun verdeckten. Es war Naturschutzgebiet geworden, und es gab viel Seltenes an Vögeln und Pflanzen zu sehen. Wie oft wurde der Sonnentau (fleischfressende Pflanze), der hier am Weg entlang des Sees wuchs, beobachtet, wenn sich seine Blätter um ein Insekt schlossen, das dabei sein Leben lassen musste. Und weiter nach dem Durchqueren der mit Strandhafer bewachsenen welligen Dünen der Blick auf den weiten, weißen, einsamen Strand und die blaue See! Wie war das schön und zu jeder Tageszeit wieder anders und neu!

Nach dem Mittagessen lag man im Gras vor dem Heim (bis auf den jeweiligen Küchendienst) oder ging zum Fotografieren auf den Steg (eigentlich ein Tabu wegen der möglichen Gefahrenquellen). Dieses Foto lässt die Breite der Weichsel so gut erkennen.

Die Räuchereien lagen so malerisch und wunderbar farbig mit ihrem warmen Rot der Ziegel am Wasser, in dem sich die vertäuten Kutter und Boote spiegelten, wie es das Ölbild unten - einmal in den großen Ferien von Käthe Schreder gemalt - zeigt.

Die Räuchereien wurden besichtigt, und wir erfuhren dort viel von der Arbeit der Fischer und dem Arbeitsvorgang beim Räuchern der Fische.

In hohen, dichten Maschendrahtumzäunungen hielten sich die Räuchereibesitzer Frettchen, die mit den Fischabfällen gefüttert wurden, und man musste höllisch aufpassen - besonders bei kleineren Schülerinnen -, dass trotz allen Ermahnungen nicht doch ein Finger durch den Draht gesteckt wurde. Nicht auszudenken, was da hätte passieren können!

Abends war man dann fröhlich beisammen; es wurde gesungen, gespielt, vorgelesen oder erzählt, und besonders am letzten Heimabend wurden köstliche Aufführungen improvisiert. (Der Dorfkaufmann hielt für eventuelle Kostüme viele Rollen farbiger Krepp- und Seidenpapiere bereit.) Alle waren sich nach diesen Abenden darin einig, dass es "himmlisch", "schick" oder "ganz groß" war!

Auf den Fotos sieht man Klassen mit kleinerer Schülerzahl; mit großen Klassen gab es viel Hallo und auch oft, je nachdem, ob in der Klasse "Betriebsnudeln" mit viel Aktivität und Phantasie waren, Dorffeste, wozu die ganzen Dorfbewohner meist in origineller Weise eingeladen wurden. Zuerst kamen sie zögernd, und besonders die Burschen blieben zunächst mal vorsichtig am Zaun von außen stehen. Als dann aber Aufführungen und gemeinsame Spiele folgten und sogar ein allgemeiner Tanz auf der Wiese startete, stand bald keiner mehr draußen, und es fiel oft schwer, nicht zu spät Schluss zu machen.

Am nächsten Morgen musste früh aufgestanden werden, es wurde gepackt und geputzt; denn die nachfolgende Klasse sollte das Heim doch sauber vorfinden. Auf dem Wege zur Abfahrtsstelle wurden dann noch die vorher bestellten Räucherbücklinge (oft noch warm) abgeholt, die trotz Pergamentpapier und vielen Zeitungen drum herum doch durchfetteten und manche Schwierigkeit beim Transport ergaben. Aber sie waren doch das Mitbringsel für zu Hause, und irgendwie fand sich dann ein Ausweg, und wenn die Bademütze herhalten musste.

Das letzte Bild zeigt nochmals eine Gruppe auf dem Dampfer bei der Heimfahrt, oft gar nicht so glückliche Gesichter, weil es wieder in den Schulalltag nach Hause ging, aber doch strahlend, wenn dann in Danzig Eltern oder Geschwister dem Schiff entgegen winkten und ihre braungebrannten Mädchen in Empfang nahmen.

Ganz am Schluss möchte ich noch an die Spitznamen unserer Schule und unseres Schullandheimes erinnern. Unsere Helene-Lange-Schule (etwa 200 oder mehr Meter lang) hieß im Volksmund "Die lange Helene", was lag da also näher, als unser kleines, auch langgestrecktes Heim in östlich Neufähr "Die kleine Helene" zu nennen?

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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