Ein Ausflug zum Forsthaus Freudental


Samstag, 03. Mai 2003

Freudental. Wer kennt Freudental nicht? Wessen Spaziergänge mit Vater, mit Mutter, mit Geschwistern und vielleicht auch mit anderen Verwandten und reunden der Familie haben nicht auch einmal nach Freudental geführt? Freudental. Forsthaus Freudental. Das Tiergehege. Hirsche, Rehe. Der Teich. Fische, Wasservögel. Terrasse mit Waldmeisterlimo, mit Kaffee und Kuchen. Selbst im Winter ein Ausflugsparadies mit der nebenbei liegenden Skihütte, an dessen Dach die abgesägten Spitzen ausrangierter Skier koppheister nach unten angenagelt waren. Freudental. Erfrischendes Wasser, der Teich, der Bach. Schattenspendende Bäume. Dichter Wald, der sich beidseits des Tales empor zog...

Freudental - Forsthaus Freudental. Ich habe vor langen Jahren das erste Mal davon gehört. Und als ich meine erste alte Postkarte mit dem Forsthaus in den Händen hielt, fragte ich mich, ob nicht nur der Name des Schwabentales sondern vielleicht auch der Name des Forsthauses etwas mit angesiedelten Schwaben zu tun haben könnte. Ich wohnte seinerzeit im schwäbischen Freudental und da ich wusste, dass viele Schwaben in ihrem seinerzeit kargen Ländle den Lockrufen preußischer Werber gefolgt waren, hielt ich das für gar nicht so abwegig.

Am Ortsausgang von Oliva halten wir uns links und biegen ab in die Ulica Kwietna, den Olivaer Rosengarten, kommen kurz darauf in die "Ulica Bytowska". Rechts zeigt sich ein Reet gedeckter Gebäudekomplex. Es ist das neu entstandene "Dvor Oliwski", der "Olivaer Hof", dessen ursprüngliche Bauten auf das Jahr 1611 zurück zu führen sind. Der Olivaer Bach schlängelt sich talwärts, mündet in einen Teich, in dem ein Storch auf seinen Stelzen langsam einherschreitet. Hin und wieder stößt sein Schnabel zu und seine Beute verschlingend stolziert er weiter. Wir haben unseren Wagen außerhalb des Olivaer Hofs abgestellt. Alle Gebäude sind mit luxuriösem Aufwand erstellt. Hinter der Hotelanlage erstrecken sich Schrebergärten den Waldhang hinauf. Der Fahrweg zum Hotel ist übersät mit hunderten platt gefahrener Kröten. Sie werden abgelaicht haben in dem dunklen Teich mit dem wild bewachsenen Inselchen, der sich vor dem Hotel in den Wald hineinschmiegt. Hier gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung und auch keine Warntafeln die zu vorsichtiger Fahrweise ermahnen. Nun ja, vielleicht wird man sie bald nicht mehr brauchen. Wir laufen rechts des Olivaer Baches in das Tal hinauf, kommen schon nach kurzer Zeit an ein altes weiß getünchtes Haus. Hinter diesem Gebäude, auf dem ansteigenden Waldhang herumspringend, etliche Ziegen. Ein junges Mädchen mit strähnigem Zopf und riesigen Stiefeln beäugt uns neugierig. Wir gehen weiter, stoßen auf teilweise sehr gepflegte, teilweise aber auch sehr ungepflegte Schrebergärten. Vor einem Wochenendhäuschen brennt ein Feuer, mehrere Frauen verrichten Gartenarbeiten, ein junger Mann sitzt mit ausgestreckten Beinen auf einer Bank und schaut ihnen zu. Das Dosenbier schmeckt ihm.

Der Weg wird schmaler und wir beschließen zurückzugehen, um auf der anderen, der linken Seite, weiterzulaufen. Der Weg ist asphaltiert, links und rechts schließen hohe Büsche und Bäume über uns ihr noch dünnes Laubdach. Im ganzen Tal dicht bei dicht Schrebergärten und schmucke Gartenhäuschen. Spitzwinklige Häuschen, weiß, rot, gelb, blau, alle Farben. Ein alter Mann kniet, jätet Unkraut. Eine Bulldogge läuft auf uns zu, bleibt am Maschendrahtzaum stehen, beobachtet uns argwöhnisch. Niedrigwachsende Obstbäume, deren Stämme zum Schutz vor Schädlingsbefall weiß gekalkt sind. Im Hintergrund einige Nadelbäume. Gelbe Forsythiensträucher, grün gestrichene Trennwände zwischen zwei dicht aneinander stehenden Gartenhäuschen, ein verglastes Gewächshaus.

Plötzlich nehmen wir lauter werdendes Rauschen wahr. Kommen wir an Wasserfälle? Der Weg verbreitert sich, vor uns, auf der rechten Seite, ein Parkplatz. Zum Bach hin, hinter hohem Maschendrahtzaun ein neues dreistöckiges Wohngebäude mit hässlichen roten Kunststoffdachschindeln. Von dort unten kommt auch das Rauschen. Ich gehe zum Zaun, schaue hinunter. In zahlreiche Fischzuchtbecken wird Frischwasser eingeleitet. Hinter den Bassins schließt sich ein mit Betonsteinen gepflasterter Hof an. Rechts davon ein Kühlhaus mit daneben hoch aufgestapelten Styroportransportkisten. Ich trete ein paar Schritte zurück, sehe direkt oberhalb der Fischzuchtanstalt einen nur durch einen schmalen Weg getrennten malerischen Teich. Oh, denke ich mir, hier sollte anstelle dieser Fischbrutstätte eigentlich besser ein kleiner Rastplatz sein, vielleicht mit Grillmöglichkeit...

Ich suche nach einem Platz von dem ich gute Photos über den Teich hinweg schießen kann, gehe ein Stückchen den schmalen staubigen Weg vor. An dessen Ende, gerade mal einen Steinwurf entfernt, ein interessantes altes Gebäude mit drei Etagen. Unten Backsteinziegel, Rundbogenfenster, oben Fachwerk, ockerfarbener Putz und rechteckige Sprossenfenster. Aus dem Krüppelwalmdach des lang gestreckten Gebäudes ragt eine Dachgaube hervor, die sich nach unten in einem kleinen Erker fortzusetzen scheint. Darunter endet eine zweiflügelige Tür im Freien etwa eineinhalb Meter über dem Erdboden. War hier ein Balkon? Ist er weg gebrochen? Auf dem Schwellenholz des darüber liegenden Erkers ist die eingeschnitzte Jahreszahl 1906 zu lesen. Wir laufen um das Haus herum. Ein Hauseck ist restauriert. Ringsherum wurden verwitterte Ziegel im Erdbereich durch Natursteinmauerwerk ersetzt. Dadurch ist die Harmonie des Baukörpers empfindlich gestört, die Steine sind einfach unpassend. Die Architektur ist trotzdem zeitlos schön und spannend. Das zeigt sich nicht nur in der Grundform des Gebäudes sondern auch in zahlreichen Details an Dach, Fenstern und an den Drechslerarbeiten am Gebälk. Es ist nur wenig zur Instandhaltung getan, aber alles was gemacht wurde, stört. Links von diesem Bauwerk führt unter Bäumen ein mit sechseckigen Wabensteinen gepflasterter Weg auf ein riesiges eingezäuntes Areal auf dem sich drei kleine nette Wohnhäuser befinden. Der Rasen ist sauber gepflegt. Wir gehen die paar Schritte zum Teich und ich filme ein kleines Baum bestandenes Inselchen. Plötzlich lautes Hundegebell. Mehrere Hunde kommen aus Richtung der Häuser, fliegen fast auf uns zu. Eilig hasten wir zum Eingang zurück. Ein VW Golf kommt angefahren, hält beim Eingang. Der Fahrer verschließt das Tor, fährt wieder hinauf zu den Häusern.

Wir schlendern langsam den Weg zurück. Ich drehe mich um, sehe noch einmal das Ziegelgebäude. Und ganz plötzlich, erst jetzt, stelle ich fest, das muss das Forsthaus Freudental sein. Ich bin mir sicher, kann mich an jedes Detail erinnern. Einzelheiten, die ich auf historischen Postkarten sah. Weiß, dass sich die ins Freie führende Türe zur Terrasse hin öffnete.

Freudental, beliebtes Ausflugsziel, heute vergessenes, untergegangenes Idyll. Wenn diese hässliche Fischzuchtanstalt nicht an der Stelle des früheren alten Holzhauses errichtet worden wäre, ließe sich dort auch heute noch ein herrlicher Wandertreff einrichten. Freudental, heute vergessen, morgen wieder zu neuem Leben erweckt? Nein, das ist nicht vorstellbar. Zu viele Bausünden verhindern das.

Wir biegen auf den Weg Richtung Oliva. Am Eck eine Eiche mit unübersehbarem Plakat, das vor Tollwut warnt: Hunde sind an der Leine zu führen. Einen älteren Mann stört das nicht. Er läuft vorbei, lässt seinen Hund weiter unangeleint springen.