Bei der Nachbarin in Prinzlaff


Donnerstag, 08. Mai 2003, mittags

Die schmale, kleine Allee ist mit alten Laubbäumen bestanden. Ich fahre den sandigen Weg mit Gras bewachsenem Mittelstreifen hoch, halte auf Höhe des Hauses meiner künftigen Grundstücksnachbarn. Henryk, der alte Elektriker kommt mir entgegen, ein Zigarettchen im Mundwinkel. Er freut sich: "Witam!". Im Hausflur steht Astrid, seine Frau: "Guten Tach". Auch sie strahlt. Ich schüttle ihr die Hand. An der Wand des Schuppens hinter dem Haus sitzt ihr Sohn auf einem alten Stuhl, über den Oberschenkeln eine verschlissene Decke, auf ihr ein Berg getrockneter strohfarbener Bohnenschoten. Er pult Saatbohnen und wirft sie in eine weiß emaillierte Blechschüssel.

"Ja", sagt Astrid, "schön ist's jetzt wieder. In den letzten drei, vier Tagen is nu endlich alles grün jeworden. War ja auch ein langer harter Winter. Meine ganzen Rosen sind erfroren. Wird lange dauern bis wieder alles so aufjewachsen is wie frieher." Astrid, ihr Mädchenname ist Kirschen, ist in Fürstenwerder geboren und nach dem Krieg in Schönbaum geblieben. Sie hat Henryk, ihren polnischen Mann, geheiratet. Ihr Garten ist ein kleines buntes Blumenparadies
an der Elbinger Weichsel. Jetzt blühen gelbe und rote Tulpen. Mit ausholender Handbewegung zeigt sie ihren Garten, wiederholt: "Schön is es hier!"

Ich laufe hinunter zum Fluss, schaue mir an wie der kleine Yachthafen ausgebaggert ist. Er wurde L-förmig angelegt. Der ausgehobene Sand ist zu großen Haufen aufgeworfen. Rund 20 Meter der frisch gepflanzten Hecke sind unter den Massen begraben.. "Der hat sich dabei auch nichts gedacht" geht mir durch den Kopf. Den Sand hätte er doch auf der großen Fläche verteilen müssen. Astrid war mir gefolgt, sieht mich den Kopf schütteln. "Der war doch besoffen. Den hätten Se sehen müssen, der konnt sich doch kaum auf dem Bagger halten". Ich kletter auf einen Sandhaufen. Vor allem die Einfahrt in den Yachthafen scheint nicht tief genug ausgebaggert. Etwas Schilf ragt aus dem Wasser. Nun ja, nächste Woche kommt noch mal ein großer Schaufelbagger, wird den Sand verteilen und noch ein bisschen mehr ausheben.

"Und Se wolln hier bauen?" fragt Astrid. Ich bestätige ihr das, sage, ich müsse aber noch ein paar Jährchen arbeiten bevor ich hierher zöge. "Und ich hab schon jedacht, Se arbeiten gar nich mehr, so oft wie Se hier sind. Und Se wollen wirklich her? Na, ich sach Ihnen, ich weiß nich..." Sie schaut mich skeptisch an, kann offensichtlich nur schwer nachvollziehen, wie jemand aus Deutschland hierher ziehen möchte. "Da drüben", macht sie mich aufmerksam, "baut Ihr Nachbar, einer vom finnischen Konsulat in Danzich, glaub ich. Der wird dann auch
hierher ziehen. Zwei Jahre noch, dann will er herziehen. Und da dort drüben", sie zeigt mit dem Finger nordwärts die Elbinger Weichsel hinab, "das dort jehört dem Bauern da. Der hat so unjefähr 70 Hektar. Aber die Bauern haben's schwer. Der hat erst jetzt sein Geld für die Zuckerrüben vom letzten Jahr bekommen. Aber die Steuern und den Kunstdünger, den muss er gleich zahlen. Was soll'n die Bauern denn hier tun? Wenn er nuscht mehr anbaut hat noch wenjer als nuscht. Auch wir ham frieher Kartoffeln anjebaut, und ein Schwein zur Mast das ham wir auch jehabt. Aber das können wir heute gar nicht mehr verkaufen. Kauft keiner
nuscht mehr. Kommt heute alles aus Europa und wir könn nuscht mehr verkaufen. Lohnt sich nich mehr". Sie zuckt resignierend mit den Schultern. "Und der Sohn", sagt sie, "ja der hat früher auf der Werft in Danzich jearbeitet, der is Schlosser, wissen Se, da hat er dann die Arbeit verloren und dann hat er wieder jearbeitet wo anders als Schlosser bis Februar und da hat dann der Betrieb dicht jemacht. Und nu hat er wieder keine Arbeit. Wissen Se, es gibt auch reiche Leute hier, richtich reiche Leute, aber die ham das was sie ham nich durch ehrliche
Arbeit. Und jeklaut wird auch. Und die Polizei tut nuscht. Weiss nich, ob Ihnen der Zbyszek das erzählt hat, da drüben bei dem Alten, also bei dem Alten seiner Tochter der Sohn, der klaut. Wir wissen hier alle wer hier klaut. Aber dann kommt die Polizei und tut nuscht. Is nicht schädlich sagen die".

Sie stiefelt wieder hoch Richtung Haus, den Grundstücksgrenzen entlang. "Ja, is noch nich lange her, da sind hier Kühe jehütet worden. Bei mir und da bei Ihnen. Jetzt sieht das ja nich so gut aus". Wir gehen auf mein künftiges Grundstück. "Sehn Se", sagt sie, "das hat die Natur hier jemacht." Sie zeigt auf eine kleine Birke, vielleicht 50 Zentimeter hoch. "Und da is noch eine und dort auch. Is alles von alleine jekommen. Die sollt man wo anders anpflanzen, wenn's ein bisschen jeregnet hat. Mein Mann kann das ja an die Grundstücksgrenze umsetzen."

Ich mache noch ein paar Photos vom Grundstück, lasse mir durch den Kopf gehen, was ich hier machen möchte. Lasse einfach der Phantasie freien Lauf. Es gefällt mir. Die Landschaft ist einfach herrlich hier.