Günter Grass beim Bund der Deutschen Minderheit in Danzig


Montag, 02. Juni 2003

Ich habe mich in "Schale" geworfen. Dunkelblauer Anzug, graues Hemd, Krawatte, schwarz gewienerte Schuhe. Günter Grass ist der Anlass. Für zwei oder drei Tage hält er sich in Danzig auf. Hier will er nicht nur im Nationalmuseum eine Ausstellung seiner Bilder eröffnen, sondern auch in verschiedenen Veranstaltungen sprechen. Für 10 Uhr 30 hat er sich beim Bund der Deutschen Minderheit im Brunshöfer Weg in Langfuhr angesagt. Ich kam bereits ein Weilchen vorher um alte Bekannte zu treffen. Und nun steht der Zeiger der Uhr im großen Versammlungsraum auf 10 Uhr 30. Wir müssen noch ein klein wenig warten, aber um 10 Uhr 35 ist es soweit. Günter Grass und seine Frau kommen. Im Schlepptau ein ganzes Gefolge von Begleitern, sogar ein persönlicher Leibwächter ist dabei, ein kurz geschorener bulliger Kleiderschrank. Nu ja, ob die alten Leutchens dem Günter Grass wirklich gefährlich werden?

Er schiebt sich nach vorne, entspannt, ruhig, lächelnd. Braunes Cordsakko, blaues Hemd, der Kragen leger geöffnet. Nach Begrüßung wird ihm der Bund der Deutschen Minderheit in Danzig vorgestellt: 4.500 deutschstämmige Mitglieder in 6 Ortsgruppen mit dem Danziger Club, einer Frauengruppe sowie einem Senioren- und einem Jugendclub. Grass sagt, er sei nach dem Erscheinen seines Romans "Die Blechtrommel" im Jahr 1958 das erste Mal seit Kriegsende wieder in Danzig gewesen. Er interessiert sich für die Minderheit, beginnt ein nettes Plaudern, stellt Fragen. Wie es denn mit den Enkeln der alten Danziger sei, ob es Verwandtschaft in Deutschland gebe. Ich vermeine einen leichten Stoßseufzer zu hören als ihm geantwortet wird, die Jungen seien leider nicht so aktiv, sie hätten ja auch keine Zeit. Und Verwandte in Deutschland? Nun, es seien eben viele nach Deutschland ausgereist. Eine Begleiterin von Grass fragt, warum denn die hier Anwesenden in Danzig geblieben seien, was denn passiert sei. Ja, heißt es, man sei eben hier geblieben, viele hätten auch hier bleiben müssen, man habe sich mit Polen angefreundet, habe polnische Ehepartner gefunden, geheiratet.

Grass erzählt kleinere Anekdoten aus seiner Jugendzeit, als er vom Labesweg, wo er wohnte, über den Brunshöfer Weg zum Conradinum lief. Eine ältere Dame wirft ein, sie habe gegenüber, im Labesweg 12 gewohnt, vielleicht seien sie ja befreundet gewesen. Seine Familie, sagt Grass, käme aus der Gegend von Zuckau: "Sie konnten alle nicht schwimmen und sind dann an der Ostsee in Brösen gelandet".

Grass wird gefragt, warum er in Deutschland umstritten sei. Das habe kürzlich der Apostolische Visitator Johannes Bieler angedeutet. Er antwortet, das käme daher, weil er schon sehr frühzeitig gesagt habe, die an Polen gefallenen Gebiete seien für immer verloren. Er sei dafür eingetreten, die Grenzen anzuerkennen und sich mit Polen zu verständigen. Ich muss mir die auf der Zunge liegende Frage verkneifen, ob er denn früher nicht die gleichen Aussagen auch in Bezug auf die DDR gemacht habe. Grass führt weiter aus, mit dem Bund der Danziger und deren Berufsfunktionären könne er auch nichts anfangen.

Plötzlich, es ist noch nicht einmal 11 Uhr, sagt Grass, er müsse nun fort, er habe noch weitere Termine. Noch ein paar Photos und weg ist er. Es war ein nettes kleines halbes Stündchen. Ein bisschen Plaudern, nichts tief schürfendes, sich ein bisschen zeigen. Die dreißig, vierzig Besucher scheinen zufrieden. Sie haben ihren Günter Grass, ihren Nobelpreisträger, gesehen.

Ich werde jetzt gleich den Anzug gegen Jogginghose und T-Shirt wechseln und zurück nach Deutschland fahren. Meine 5-tägige Stippvisite nach Danzig geht dem Ende entgegen...