Im Standesamt Tiegenhof (Nowy Dwor Gdanski)

Donnerstag, 23. August 2007, vormittags

Vor etwa eineinhalb Jahren erhielt ich ein Email in der mich eine bis dahin unbekannte Verwandte anschrieb, die meiner mütterlich-großmütterlichen Seite entstammt. Es ist ein Zweig von dem ich selber nichts wusste, aber meine Mutter erinnerte sich an eine Cousine, die sie das letzte Mal im Krieg gesehen hatte. Deren Tochter hatte meine Internetseite www.danzig.de entdeckt und ihre Mutter darüber informiert, dass dort Daten ihrer Vorfahren zu finden seien.

Vor einem knappen Jahr war ich in Lübeck und besuchte dort die Cousine meiner Mutter. An einem langen Nachmittag erwähnte sie, sie sei in Schönbaum, dem heutigen Drewnica, geboren. Als die Familie flüchtete, hätten sie nichts mitnehmen können. In Westdeutschland angekommen, musste sie den Behörden gegenüber glaubhaft machen, wer sie sei und woher sie stamme, da alle Unterlagen und Urkunden verloren waren. Sie sagte, bis heute besäße sie keinen Nachweis ihrer Geburt in Schönbaum. Da ich wusste, dass viele standesamtliche Unterlagen nicht vernichtet waren, sondern erhalten blieben und heute in polnischen Standesämtern und Archiven liegen, machte ich ihr ein bisschen Hoffnung, einen Geburtsnachweis beschaffen zu können.

Und heute ist es so weit. Ich bin in der Gemeindeverwaltung von Tiegenhof. Kinga hatte dort in den letzten Tagen angerufen und gefragt, ob es Unterlagen über Geburten in Schönbaum gebe. Sie selber hatte das bezweifelt, aber ihr wurde versichert, die Geburtenregister seien vorhanden. Das Ausstellen einer Geburtsurkunde dauere aber etwas Zeit, da man nicht alles lesen könne und der Text erst transkribiert und übersetzt werden müsse. Ich hatte Kinga gebeten noch einmal anzurufen und zu fragen, ob auch eine unbeglaubigte Fotokopie möglich sei. Dies wurde bejaht uns so machte ich mich heute Morgen auf den Weg.

Das Tiegenhöfer Standesamt ist in der Gemeindeverwaltung untergebracht, einem Nachkriegsbau an der Tiege (Tuga). Auf der anderen Seite des Flusses, direkt gegenüber, lag Stobbes Machandelbrennerei. Ich parke meinen Wagen vor dem Gebäude, finde die Räume des Standesamtes im Erdgeschoss. Vor dem Zimmer 6 einige wartende Bürger mit ausgefüllten Anträgen in den Händen. Blüht auch mir bürokratischer Aufwand? Endlich bin auch in an der Reihe. Ein Beamter winkt mich in das Zimmer. Soll ich versuchen, mein Anliegen auf polnisch zu erklären? Nun ja, zuerst frage ich ihn auf polnisch ob er deutsch oder englisch spreche, woraufhin er eine Kollegin ruft. Aber auch sie spricht nur polnisch und so mühe ich mich ab, gebe ihr einen Zettel mit den Geburtsdaten der Cousine meiner Mutter, erkläre, dass ich gerne eine „Fotokopia“ hätte. Die Beamtin erinnert sich plötzlich an das Telefonat mit Kinga, nickt mir freundlich zu, bestätigt, dass sie die Kopie machen werde und bittet mich, draußen auf dem Gang noch ein wenig zu warten. Es dauert auch nicht lange bis sie kommt und mir die Urkundenkopie in einer transparenten Umschlaghülle überreicht. Auf meine Frage, was ich zu zahlen habe, winkt sie strahlend ab „nie, nic!“, nein, nichts! Ich bedanke mich ganz herzlich, freue mich, sage ihr auf Wiedersehen.

Auf dem Weg zum Wagen schaue ich mir das Dokument näher an. Eine saubere kontrastreiche Fotokopie aus dem Geburtenregister des Standesamtes Schiewenhorst (Swibno), rot gestempelt mit dem Hinweis, dies sei keine offizielle Geburtsurkunde. Unterschrieben vom Standesbeamten. Hervorragend! Mehr wollte ich gar nicht. Diese Kopie ist viel schöner als eine nüchtern wirkende offizielle DIN A5-Geburtsurkunde in polnischer Sprache.

Ich bin mir sicher, der Cousine meiner Mutter im September, wenn ich beim bundesweiten Treffen der Danziger in Lübeck sein werde, zu ihrem Geburtstag ein wunderbares Geschenk machen zu können.

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P.S.: Und so war es auch. Als wir letzten September in Lübeck waren, war dies das schönste Geschenk das gemacht werden konnte. Die Cousine meiner Mutter hatte endlich einen schriftlichen Nachweis, dass sie tatsächlich geboren war. Und nicht nur eine amtliche Bestätigung, nach der ihre Geburt lediglich "glaubhaft" gemacht worden war.