Es war in den Tagen des vergangenen Krieges.Ein herrlicher Sonnenhimmel
spannte sich wie ein azurener Baldachin über der alten Hansestadt an der
Weichselmündung.Die Sonne hüllte die heimatliche Erde in ihren goldenen
Mantel und ließ die Zierate an den Fassaden der Giebelhäuserauf den
Langen Markt aufblitzen.
An einem dieser strahlenden Sommernachmittage ging Peter mit seiner
jungen Frau durch die Gassen.Sie waren am Tage zuvor kriegsgetraut worden,und das Glück lachte aus ihren Augen.Obwohl er erst seit ein paar
Tagen in Danzig auf Urlaub war,kamen ihm die Steppen Rußlands so fern
und unwirklich vor,als sei er nie dort gewesen.Hier in der Heimat war Frieden und Geborgenheit,war das Leben,hier konnte ma den Schrecken
des Krieges vergessen.
Peter zeigte seiner jungen Frau die Schönheiten und Besonderheiten seiner
Stadt,und sein Herz war weit vor Stolz und Freude.
Mit großen Augen schaute sie umher und freute sich ihrer neuen Heimat,
in der sie nun wohnen und glücklich sein sollte.Sie stammte aus dem
Reiche.Die Föhren der märkischen Wälder hatten ihr in ihrer Kindheit
das Wiegenlied gesungen.
Plötzlich hielt die junge Frau im Gehen inne und faßte den Arm ihres Mannes."Schön ist es hier.-Eine wundervolle Stadt!-Hier könnte ich leben,
hier möchte ich leben,Peter -mit dir!"
"Dafür bekommst du einen Extrakuß von mir,Kleines",lachte er und küßte
sie mitten auf der Straße und vor allen Leuten.
"Kick,-ei er dir!"riefen ein paar kleine Jungen,als sie die Küsserei bemerkten,aber Peter winkte ihnen fröhlich zu und ging mit seiner Frau
weiter.Ihr freimütiges Bekenntnis machte ihn unendlich froh.Sie hielten
sich an den Händen und schritten dahin wie zwei Kinder,jung und unbeschwert,und der Krieg war für sie nicht mehr da.Als sie an dem Portal
der Katharinenkirche vorbeikamen,verhielt Peter den Schritt.Etwas Ungewöhnliches hatte seine Aufmerksamkeit erregt.Das Portal war weit geöffnet.Im Innern der Kirche machten sich Arbeiter an einigen Seilen
zu schaffen.Ein großes,hölzernes Traggerüst stand in der Nähe,über dem
eine der berühmten alten Glocken schwebte.Langsam wurde sie auf das
Traggerüst gesetzt und verkeilt.Peter war blaß geworden.Das Lachen in
seinen Augen war verschwunden.Hatte sich nicht die Sonne verdunkelt?
Die Welt war ihm wieder fremd und feindlich,und der Krieg war plötzlich
da und fraß sich ihm in Herz und Hirn.Eine dumpfe Ahnung von einem
nahen Unheil überfiel ihn mit jäher Gewalt.
Die junge Frau sah ihn besorgt und zärtlich an:"was ist geschehen,- ist
dir nicht gut?"-Die plötzliche Veränderung im Wesen ihres Mannes hatte
sie beunruhigt und erschreckt.
Er mußte aus seiner schmerzvollen Versunkenheit lösen,ehe er zu antworten vermochte.
"Ja,weißt du,das ist nämlich so",begann er stockend,"es geht da eine alte
Sage bei uns um.Wenn die Glocken gehen,-dann stirbt die Stadt.Und nun,
siehst du ,-die Glocken gehen von uns.Die alte Stadt wird sterben,
Kleines,-Ich fühle es!-Wir werden hier nicht mehr leben können,- du nicht
und ich nicht,und die Menschen unserer Heimat auch nicht.Der Traum
war zu schön,-er ist nun ausgeträumt."
"Aber Peter,du siehst zu schwarz",rief sie und drängte sich ungestüm an
ihn." Das Niederholen der Glocken ist doch sicher nur eine vorsorgliche
Maßnahme,um sie vor einer eventuellen Vernichtung zu bewahren.Das
muß man sogar tun,-es ist ja Krieg nicht wahr?-Aber dieser Krieg wird
einmal zu Ende gehen!Dann wirst du wieder bei mir sein,und zwar hier
in Danzig.Und die Glocken werden auch da sein und sie werden läuten,
wie sie es immer hier getan haben,glaub´mir´s doch!"
Aber Peter hatte die Lippen zusammengepreßt und wandte sich ab.
Für ihn war das Schicksal seiner geliebten Vaterstadt besiegelt.Er glaubte
nicht mehr daran,das die Glocken der ehrwürdigen Kirchen Danzigs ihre
klingenden Gebete jamals wieder in den Himmel senden würden.
" Komm´weiter Kleines",sagte er rauh,"ich kann das hier nicht mehr
ansehen!-Die Glocken gehen,und damit geht die Seele unserer Heimat
von uns.Wenn die Seele den Körper verläßt,stirbt man,nicht wahr?Ich
habe heute den Tod meiner Heimatstadt gesehen,aus der die klingende
Seele davongeht.Es gibt für uns keine Wiederkehr."-
Die Jahre gingen dahin.Sie waren angefüllt mit Grauen und Not,Hunger
und Elend,Flucht und Gefangenschaft.Peter hatte recht behalten,seine
geliebte Vaterstadt war gestorben.In einem furchtbaren Feuersturm war
sie untergegangen,-aber sie selber lebten.Allerdings lebten sie in einer
ihnen fremden Stadt des deutschen Westens,unter Menschen,die sie nicht
verstanden und mit denen sie eigentlich nur die Sprache gemeinsam hatten.
Sie hatten beide das Leben unter erschwerten Bedingungen angepackt
und sich aus der Tiefe aufgerafft.Sie besaßen sogar eine nette,kleine
Wohnung.Das Stahlwerk,in dem Peter beschäftigt war,hatte ihm dazu verholfen.Das Leben begann,wieder in normalen Bahnen zu verlaufen.
Wieder einmal war das Jahresende gekommen.Peter saß mit seiner Frau
in der gemütlichen Ecke seines Wohnzimmers.Sie unterhielten sich leise
und lauschten den heiteren Klängen,die aus dem Radiogerät strömten
und den Raum erfüllten.In den Gläsern funkelte ein Guter Wein.Sie wollten
beide auf ein glückliches,neues Jahr anstoßen und sich zutrinken,wie es
der Brauch war.Die frohen Klänge der Tanzmusik waren allmählich verstummt.Feierlich dröhnten nun die Glocken der deutschen Dome durch
das Zimmer.Sie lauschten diesen Klängen und ließen sich von denen tragen.
Da sagte der Ansager:"Und nun hören Sie die Glocken der Sankt
Katharinenkirche zu Danzig,die in der Lübecker Marienkirche eine vorläufige
Heimstatt gefunden haben.Mit diesen Klängen grüßen sie die Danziger
in nah und fern."Und dann erklangen wirklich die altvertrauten Glocken
von St.Katharinen.
Peter lauschte mit angehaltenem Atem.-Das war doch nicht möglich?
Das war doch die Stimme der Heimat,die ihn in der Ferne grüßte,ihn wie
eine Mutter liebkoste,-ihn,den Heimatlosen!-
"Die Seele ist wieder da,Kleines", stammelte er fassungslos,"sie ist wieder
da.Dann lebt die Heimat noch,-dan kann sie ja garnicht tot sein.Sie hat ja
ihre klingende Seele wieder!"
In seinen Augen standen Tränen,aber in seinem Herzen war ein tiefes
Glücksgefühl.Es war,als hätte er etwas wiedergefunden,was er unwiederbringlich verloren geglaubt hatte.
Seine Frau schaute ihn glücklich an."Ich hab´s dir ja damals in Danzig
gesagt,das die Glocken wiederkommen werden,aber du hattest es nicht
glauben wollen.-Und nun läuten sie wieder,Peter."
Da stand er langsam auf und faßte seine Frau um die Schulter.Sie nahmen
die Kelche auf und grüßten das neue Jahr,das soeben heraufdämmerte.
In den Augen des Mannes aber war der Glanz der Zuversicht und der
Hoffnung gekommem.
Von Werner H.Gapert
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Grüße von Rudi