Aus "Unser Danzig", Weinachten 1964, Nr.24, Seite 5
Weihnachtsstimmung im alten Danzig
von Erich Freiwald
Die Winter in unserer Heimat waren anders; vielleicht sind sie, wie allgemein, jetzt auch dort milder geworden. Doch als wir noch "zu Hause" waren, war Weihnachten ohne Schnee so gut wie undenkbar.
Wenn starker Schneefall eingetreten war, und das war nicht so selten wie heutzutage, dann war unser schönes Danzig in eine große weiße Decke eingehüllt. Der Schnee blieb zu unserer Freude oft wochenlang liegen. Dann standen auf dem langen Markt statt Pferdefuhrwerke Schlitten und warteten auf ihre Fahrgäste; da litten auch die Spatzen keine Not und kamen gut durch manchen sehr kalten Winter. Wie herrlich war es, wenn so ein Schlitten mit den Glocken und dem Schellengeläut durch die Straßen glitt. Oft fuhr ein herrschaftlicher Schlitten durch die Langgasse, der Kutscher saß hinten breitbeinig auf seinem Sitz und feuerte, mit der Peitsche knallend, die Pferde an, weil es ja keine Geschwindigkeitsbeschränkungen gab. Mancher blieb da stehen und sah diesem Bilde nach.
Wir Jungen und Mädchen konnten ungefährdet auf unseren Schlitten durch die Straßen fahren, und nur ab und zu erinnerte der Peitschenknall eines Kutschers daran, daß wir zur Seite gehen mußten, doch alles geschah in Ruhe und Gemütlichkeit. Fuhren dann die Petroleumwagen mit ihren großen Rädern knirschend durch den tiefen Schnee, dann strömten die Frauen aus den Häusern, um einen Kanister des so unentbehrlichen Öls zu kaufen. Alle waren fest eingemummt, wir Jungen hatten die runden Mützen auf, die wir herunterziehen konnten, so daß nur die Augen hervorschauten. In der Langgasse lockten uns vor den Kaufhäusern die großen Bogenlampen, die ab und zu auch streikten, weil ihre Kohlenstifte verbraucht waren und durch neue ersetzt werden mußten.
Was waren dort in den Schaufenstern der Geschäfte nicht für Herrlichkeiten zu sehen! Wir drückten unsere Nasen platt, um uns nichts entgehen zu lassen. Freymann, Edelstein und Sternfeld waren die Hauptanziehungspunkte. In der Heiligen-Geist-Gasse war ein Geschäft, das Hunderte von Kindern anlockte, die frierend davorstanden und dem Kasperlespiel zuschauten. In anderen Jahren war dort das Johannisfest in Jäschkental in Miniaturausgabe aufgestellt. Die Paare drehten sich sogar im Kreise, kleine elektrische Birnen illuminierten den Festplatz, und wir konnten nicht genug davon sehen. Kein noch so starker Frost hielt uns davon ab, wir standen stundenlang und konnten uns nicht davon trennen.
Der Heumarkt zog uns im Winter mächtig an. Da standen die Händler und boten ihre Weihnachtsbäume an. Ein wahrer Wald war aufgebaut, von weitem rochen wir schon den Tannenduft. Bei kärglicher Beleuchtung durch einfache Stalllaternen wirkte alles so romantisch und vorweihnachtlich auf uns, kleine Tannenzweige gaben die Händler gerne, die sich im "Blanken Tonnchen" ab und zu aufwärmten. Gelegentlich durften wir auch für ein oder zwei Dittchen einer Madame ihren Baum heimtragen, und das taten wir natürlich so gerne, denn die Dittchen waren für uns Kinder eine Seltenheit und blieben es auch. Damals gab es noch für wenig Geld eine Menge Herrlichkeiten zu kaufen, es waren eben "Herrlichkeiten" für uns. Gingen wir dann durch das Langgasser Tor heim, dann standen dort in der Georgshalle, wo die Blumenhandlung Brüggemann war, die manchmal sehr kleinen Kinder und hielten vor sich eine selbst gebastelte Weihnachtskrippe, meistens nur aus einer Zigarrenschachtel hergestellt, und sangen die schönen Weihnachtslieder auf ihre Art, oft mit zitternder Stimme. Die Nasen leckten, die Hände froren, aber manch ein Pfennig oder gar Sechser oder Dittchen wanderte in ihre Krippe. Das gehörte nun einmal in die Zeit vor Weihnachten, und man konnte sich keine Adventszeit vorstellen ohne diese Krippensänger. Jeder hatte sein Herz geöffnet und gab gerne.
An Sonntagen in der Adventszeit erklangen vom Marienkirchturm die schönen Weisen, und andächtig hörten viele Menschen zu und wurden froh und freudig. Gingen wir dann zur Langen Brücke, da staunten wir: die Mottlau war zugefroren, und Eisbrecher rissen eine Fahrrinne auf, aber leichtsinnige Buben riskierten es doch, aufs Eis zu gehen. Oft war dann der Frost schon so stark und strenge gewesen, daß an der AschbrüCke bereits die Eisbahn eröffnet werden konnte. Dann wurden schnell die Schlittschuhe vom Boden geholt, für fünf Pfennige Eintritt konnte man sich in der Kunst des Eislaufes üben bei der Musik eines Leierkastens. Da sah man alt und jung sich tummeln. War man müde oder gar durstig, oder war einem kalt geworden, dann konnte man in das auf einem alten Prahm gebaute Restaurant gehen und dort einen heißen Grog trinken oder eine Porzel und auch anderes verzehren. Tourenläufer liefen auf der etliche Kilometer weiten Eisbahn nach Krampitz. War das schön, auf der spiegelglatten, aber mitunter auch unebenen Eisbahn schnell dahinzugleiten! Einige benutzten dabei sogar ein kleines Segel, das sie vor sich hielten, und kamen dann in wenigen Minuten nach Krampitz oder gar noch weiter. Selbst in den Schulen wurde damals am Nachmittag der Eislauf gepflegt, und das machte die Jugend gesund.
Ja, so war das vor etwa 50 oder 60 Jahren in der Vorweihnachtszeit, die in unser Gedächtnis so tief eingegraben ist, daß wir uns jetzt daran sonnen und erfreuen und damit auch unsere alte, liebe Heimat Danzig nicht vergessen können.
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Wolfgang