Liebe Danziger Freunde.
In einem Beitrag schrieb ich zum Thema "Sylvester":
>>> Im LACHS waren die feuchtfroehlichen Stunden wie im Fluge vergangen als die Uhr nun ihre zwoelf Schlaege schlug. Man beglueckwuenschte sich aneinander und stiess mit den kurz zuvor wieder aufgefuellten Glaesern auf ein gutes Jahr an. Die Fenster wurden geoeffnet, und man ging - teils schwankte man - hinaus auf die Breitgasse, um dem Laeuten aller Danziger Kirchenglocken zuzuhoeren, und den Nachbarn zuzurufen: "P R O S I T N E U J A H R !" <<<
Liebe Freunde, aber nicht allein in den Restaurants sondern vielmehr feierten die Danziger zu Hause im trauten Familienkreis die Jahreswende. Dort sass man beisammen, knackte Nuesse und Krachmandeln, ass Traubenrosinen, Datteln, Feigen, Thorner Katharinchen, Steinpflaster und MIX-Marzipan durcheinander, und setzte sich schliesslich zum Abendessen zusammen, dass eigentlich aus Spiegelkarpfen bestehen musste, von denen man sich ja etliche grosse Schuppen aufhob, damit man das naechste Jahr ueber Geld hatte. Man ass ihn, in dunklem Bier gekocht, mit einem Zusatz von Speisepfefferkuchen und ganzen, mit Nelken bespickten Zwiebeln. Danach erst begann die eigentliche Sylvesterfeier, bei manchen, die streng die alten Sitten beachteten, sogar erst eine Stunde vor Mitternacht.
Das Bleigiessen wurde fast in jeder Familie vorgenommen. Dazu sammelten manche Haushalte schon das ganze Jahr hindurch Material, denn die kaeuflichen duennen Bleifiguerchen waren unnoetig teuer. Als Schmelzgefaess genuegte jede Kohlenschaufel. Hob man schliesslich das in den gefuellten Wassereimer geschuettete bizarre Gebilde des Gusses heraus, machte man sich sogleich ans Deuten, worauf sich am besten die Frauen verstanden. Bald wollte man ein Schiff auf hoher See erkennen, bald einen Baum, ein Haus oder ein Tier. Wehe, wenn man ein Kreuz oder gar einen Sarg zu erblicken meinte! Aber fast immer fand sich dann ein verstehendes Frauenherz, das darin viel eher einen Stern oder eine Schatztruhe zu sehen vorgab. Nur in etwas war man sich immer gleich einig: die fast stets vorkommenden rauhen, kleinperligen Auswuechse hatten Geld zu bedeuten. War der Betreffende mit seinem Erzeugnis unzufrieden, durfte er es noch einmal umgiessen, aber was dann herauskam, das galt! In einigen Familien war es ueblich, das Bleierzeugnis des Sylvesterabends am Dreikoenigstag umzugiessen, aber das war selten.
Liebe Freunde wir sind immer noch in Danzig, und zur Sylvesterfeier gehoerte auch das "Gluecksgreifen", das auf verschiedene Weise vor sich gehen konnte. Man liess zum Beispiel die Anwesenden der Reihe nach einen der zahlreichen vorher umgestuelpten Teller lueften, unter die man vorher symbolische Figuren oder Gegenstaende gelegt hatte. Solche pflegte man in der Stadt nicht selten einfach zu kaufen, waehrend sie auf dem Lande seit altersher in den ueblichen fein geschnitzten Holzformen, den "Modeln", vorgebildet und dann gebacken worden waren. Eigentlich hatte es "neunerlei Gebaeck" zu sein, denn die Zahlen 9, 7 und 3 galten von jeher als heilige Zahlen. Es bedeuteten nun:
> ein Ring = Verlobung
> ein Kranz, eine maennliche oder weibliche Figur = Hochzeit
> ein Wickelkind oder eine Wiege = Taufe
> ein Brot oder ein Geldstueck = gutes Einkommen
> ein Schiff = Glueck
> ein Kamm = lausige Zeit
> eine Leiter = Himmelsleiter
> ein Schluessel = Himmelsschluessel
> ein Totenkopf oder Sarg = Tod
Sehr vereinfacht wurde dieser Brauch, z.B. teilweise auf der Danziger Hoehe, bisweilen dadurch, dass man junge Leute nur unter drei verdeckten Schuesseln, "Baulchen", waehlen liess, von denen die eine einen Myrtenzweig (= Hochzeit), die andere Wasser (= Kindtaufe), die dritte Sand oder Erde (= Tod) enthielt.
Eine weitere Art der Schicksalsbefragung bestand im "Schlorrenschmeissen". Das wurde im Danziger Land auch noch an einem anderen "Lostag" geuebt, naehmlich zu Johanni, in der Mittsommernacht also. Auf dem Lande verstand man unter einem Schlorr ja nicht den gewoehnlichen, stoffueberzogenen Hauspantoffel wie in der Stadt, sondern, den, wenigstens bis zum ersten Weltkrieg, aermere Kinder allerdings auch in der Stadt trugen. Diese, auf dem Buergersteig viel Laerm erzeugende Gebilde hiessen bekanntlich allgemein "Klotzkorken", und der Volksmund hatte die Volksschulen nach ihnen "Klotzkorken-Gymnasien" getauft. Die Korkenmachergasse in Danzig hatte ihren Namen nach den Verfertigern dieser Fussbekleidung, die in frueheren Jahrhunderten bei Regen und Schmutz viel gebraucht wurde. "Trippen" hiessen damals die spaeteren Klotzkorken.
Das Schlorrenschmeissen nun wurde fast nur von Maedchen ausgeuebt. Man setzte sich dazu, mit dem Ruecken nach der Stubentuere, auf einen Schemel oder Stuhl und scheuderte nun einen Schlorr sich selbst ueber den Kopf nach rueckwaerts. Zeigte seine Spitze dann nach der Tuere, bedeutete das, man werde im neuen Jahr aus dem Haus gehen, d.h. den Dienst wechseln oder heiraten.
Ueber den eigenen Kopf hinweg konnte man auch die sorgfaeltig abgeschnittene Schale eines ganzen Apfels werfen. Aus ihrem Gekringel liess sich dann unter Mithilfe der Phantasie der Anfangsbuchstabe des Namens des oder der Zukuenftigen herauslesen.
Liebe Danziger Freunde, selbstverstaendlich hatte nicht alles Tun am Sylvesterabend etwas mit Schicksalsbefragung zu schaffen. Man wollte ja auch froehlich beisammen sein. Dazu gehoerte das Schmausen unserer so sehr beliebten Porzeln, die teilweise im Danziger Werder und auf der Hoehe auch "Pummelchen" hiessen. Und dazu trank man Punsch.
Beliebt am Sylvesterabend waren auch Pfaenderspiele auch mancherlei Kurzweil wurde getrieben. Wenn nicht schon frueher, dann wurden kurz vor Mitternacht ueberall die Kerzen am Weihnachtsbaum entzuendet, und sie durften auf keinen Fall mehr geloescht werden, sondern mussten von selber ausbrennen, denn das Loeschen haette jetzt eine ueble Vorbedeutung gehabt. Kamen die letzten Minuten des alten Jahres heran, pflegte es in der Stube immer stiller zu werden, und viele falteten die Haende zum Gebet fuer.....
EIN GESUNDES UND GLUECKLICHES NEUES JAHR!
Mit diesem Wunsch fuer Euch und Euren Lieben,
gruesst herzlich
der Ohrsche Siegfried