Geliebte Puppen
Was gibt es für kleine Mädchen Schöneres und Wichtigeres als eine Puppe.
Die Puppe ist lebendig, sie kann zuhören, sie kann trösten, sie kann zärtlich blicken, sie braucht Liebe und Zuwendung.Und hat eine Puppenmama erst einmal ihren Liebling ins Herz geschlossen, dann bleibt diese Liebe für immer und ewig. Von dieser lebenslangen Liebe habe ich gestern einige Beispiele von meinen Schulfreundinnen erzählt bekommen. Wir hatten nämlich unser Klassentreffen.
Die gemeinsame Schulzeit begann vor 60 Jahren, als wir unsere Lehrerausbildung in Magdeburg begannen.
Damals endete die Schulzeit nach 8 Jahren.Danach kamen wir gleich an das Institut für Lehrerbildung in Magdeburg, Damals, 1953, war noch Vieles anders, auch der schulische Werdegang.Nun gut, wir waren also bereit und „erwählt“, in den Schuldienst zu treten.
Die Ausbildung dauerte vier Jahre, und wir sagen alle noch heute: es waren wunderbare gemeinsame Jahre.
Als wir 1957 tränenreich voneinander Abschied nahmen, versprachen wir uns, uns nie zu vergessen.Unsere Lebenswege trennten sich, und erst nach der Wende fanden wir uns wieder. Weil wir nun keine trennende Grenze mehr zwischen uns hatten.Nun sind wir immer wieder zusammengekommen, und es ist wunderbar, wenn wir alten Mädchen uns wieder in die Arme schließen können.Dann wird erzählt und gelacht, dann kommen Geschichten hoch, jeder weiß etwas, und die Zeit wird uns nicht langweilig.
Diesmal trafen wir uns in Halle, und dort kamen also unsere Puppen ins Gespräch, und davon will ich etwas erzählen.
Meine Freundin Karin schilderte, wie sie sich von ihrer Puppe Lilli Marlen trennen musste.
Ja, sie hieß Lilli Marlen nach dem bewussten Lied, das zu unserer Zeit oft im Radio gespielt wurde.
Lilli Marlen musste mit auf die Flucht. Von Wusterwitz in Pommern ging es zu Fuß im Winter 1944 weg. Karin war gerade 6 Jahre alt, sie hatte einen Tornister auf dem Rücken und ihre Puppe im Arm. Allmählich ließen ihre Kräfte nach, sie konnte bald nicht mehr mithalten mit den Erwachsenen und die Mutter wusste keinen anderen Rat und sagte: „Schmeiß die Puppe in den Graben, dann kannst du leichter gehen.“
Aber das konnte und konnte Karin nicht übers Herz bringen. Sie presste die Puppe an sich und immer weiter lief sie mit der Puppe im Arm. Irgendwann dann konnte sie selbst nicht mehr. Sie setzte ihre Lilli Marlen an einen Baum am Straßenrand, deckte sie mit einem Taschentuch zu und flüsterte ihr zu: „Schlaf schön.“ Dann musste sie weiter....
Diese Puppe am Baum hat Karin nie vergessen.
Als sie dann in ihrem neuen Wohnort sesshaft wurden, hatte sie keine Puppe und doch immer Sehnsucht nach ihr.
Ihre Mutter nähte in einem Haus,und dort durfte sie mit einer Puppe spielen, die auf dem Sofa saß. Immer freute sie sich, wenn die Mutter bei diesem Bauern wieder was zu nähen hatte.Und die Bäuerin bemerkte die große Liebe zwischen der Puppe und der kleinen Karin.Karins Mutter auch.Wie groß war Karins Freude, als sie zu Weihnachten genau dies Puppe geschenkt bekam. Ihre Mutter hatte von dem erarbeiteten Geld als Näherin der Bäuerin die Puppe abgekauft.
Der Puppe wurde ein Wutanfall des Bruders zum Verhängnis. Er schmiss sie auf die Erde, und der Kopf brach entzwei. Karin war aufgelöst in Trauer. Die Mama nahm den kaputten Puppenkopf, wickelte ihn schön ein, und nach einiger Zeit fand sich ein Puppendoktor, der alle Teile zusammenklebte. Nun ist die Puppe immer noch auf dem Sofa von Karin, bisschen lädiert zwar, aber mit einer bewegten Geschichte.
Und weil wir bei den Puppen waren,da konnten wir alle noch die Namen unserer Lieblinge sagen.
Eine hatte gleich drei Puppen:Rosemarie, Heidemarie, Annemarie.Rosemarie stand in der Gunst am höchsten.
Mit einer geliebten Puppe im Arm konnte man die bittere Gegenwart unserer Kindheit viel besser ertragen.
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Schöne Grüße, Christa