Das Buch von Ruhnau "DANZIG - Geschichte einer deutschen Stadt" habe ich vor Jahren mal um ein paar Mark auf dem Flohmarkt erstanden. Hübsche Bilder, schöne Karten. Bei genauerem Lesen zu Hause waren meine ersten Gefühle: (Neo-)Nazi, Antisemit. Beides ist bei noch genauerem Lesen zwar falsch. In seinem Buch „Kalte Heimat“ bemerkt Andreas Kossert an einer Stelle aber (sinngemäß), dass viele aus dem Vertriebenenbereich nach dem Krieg geistig in den dreissiger Jahren stehen geblieben sind. Ruhnaus Texte scheinen mir ein Beispiel dafür.
Da wird zwischen den „deutschgesinnten Juden“, die in den „Volkskörper“ zu integrieren sind und den „Ostjuden“ unterschieden. „Auch in Danzig hatten die „Ostjuden Kontakt mit dem sowjetischen Konsulat“. Im Übrigen geht es Ruhnau um „Polens Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs“. Ruhnau beschreibt weder den Völkermord an den Juden noch den versuchten Völkermord an den Polen.
Oh Deutschland hoch in Ehren.
Bloß in welchen. Das alles ist eine Art deutsch-nationalistischen Denkens, die heute insbesondere für die absolute Mehrzahl jüngerer Menschen in Deutschland schlicht nicht mehr verständlich ist und zu meinen geschilderten Erstreaktionen führte. Das Buch von Ruhnau ist wohl 1971 erschienen.
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Wegen der jüdischen Danziger hier noch die folgenden Auszüge aus dem Buch von Frank Fischer, Danzig. Die zerbrochene Stadt, 2006, S. 337ff.:
(…) Mit dem Wahlerfolg von 1935 im Rücken verspürte Forster keinerlei Hemmungen mehr, auch den Juden gegenüber sein wahres Gesicht zu zeigen. Die Diffamierung und Demütigung der jüdischen Minderheit … auf allen Gebieten der politischen, gesellschaftlichen und beruflichen Betätigung hatten die Nazis von Anfang an mit perfider Energie vorangetrieben. Die Neuzulassung von jüdischen Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und Anwälten war seit Juli 1933 praktisch unmöglich … Das Gros der jüdischen Beamten an Schulen und Behörden war 1933/34 entlassen worden, dazu die jüdischen Künstler, die beim Danziger Rundfunk, am Stadttheater oder an der Zoppoter Waldoper gearbeitet hatten. Beschmierte Wohnhäuser und Geschäfte … Boykottaufrufe gehörten seither zum Alltag in der Freien Stadt; Beleidigungen, Belästigungen und Überfälle auf offener Straße inbegriffen.
Trotz alledem, berichtet der jüdische Lehrer Samuel Echt … „soll anerkannt werden, dass im Jahre 1935 und noch zum Jahresbeginn 1936 in wenigen Fällen das Recht siegte und Übeltäter … verurteilt wurden; bald aber geriet auch das Gericht völlig unter den Einfluss der Partei.“
…Den Wendepunkt markierte die Rede, die Forster auf dem Danziger Gauparteitag am 10. Oktober 1937 hielt…Bis zum Frühjahr 1938, verlangte Forster wenige Wochen später kategorisch, müsse die „Judenfrage“ in Danzig gelöst sein.
Eine Welle der Gewalt brach über die jüdische Bevölkerung herein, begleitet von antisemitischen Gesetzen, die dem braunen Terror ein fadenscheiniges Mäntelchen der Legalität umhängen sollte. … Wer es sich leisten konnte … suchte sein Heil in der Flucht.
Seit dem Sommer 1938 prangten in sämtlichen Badeorten, im sogenannten Weltbad Zoppot ebenso wie in Glettkau oder am berühmten Hotel „Seestern“ in Brösen, Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“. Am 23. November 1938 traten die … „Nürnberger Gesetze“ … in Kraft.
…Im August 1939 … lebten noch tausendsiebenhundert Juden unter entwürdigendsten Umständen in Danzig. Nicht einmal die Hälfte von ihnen schaffte es auf einen der Transporte nach Palästina, Schanghai, England oder Bolivien. Wer zurückblieb, wurde bis Mitte 1943 von den deutschen Behörden deportiert, was einem Todesurteil in der Regel gleichkam. Die Spur der Verhafteten verlor sich entweder im Warschauer Ghetto oder endete in den Konzentrationslagern …